Hamburg. Der Jungfernstieg ist autoarm, in Mitte und Wandsbek kommt der Ausbau merklich voran – aber wie sieht es in Harburg oder Bergedorf aus?
Mit dem Fahrrad durch Hamburg zu fahren, kann durchaus Freude machen – zum Beispiel, wenn man über den seit Oktober 2020 autoarmen Jungfernstieg radelt. Seit letztem Jahr ist der Boulevard an der Binnenalster nur noch für Bus-, Rad-, Fuß- und Lieferverkehr geöffnet. Auch wenn viele Autofahrer das nach wie vor ignorieren – zusammen mit dem benachbarten Ballindamm mit seinen überbreiten Radwegen gehört der Jungfernstieg zu den Aushängeschildern der Hamburger Mobilitätswende, die viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen.
Doch wie kommt der Radweg-Ausbau in den Stadtteilen voran, die etwas weiter weg vom Zentrum liegen? Findet die vom rot-grünen Senat ausgerufene Mobilitätswende auch in Randbezirken wie Harburg oder Bergedorf statt?
Mobilitätswende: So steht es um den Radwege-Ausbau in Harburg und Bergedorf
Die Radwegebilanz für 2020 ließ das zumindest erahnen. Von einem Rekordwert sprach Anjes Tjarks (Grüne), Senator für Verkehr und Mobilitätswende, als er einen Zuwachs des Ausbaus von 63 Prozent im Vergleich zu 2019 verkündete. 62 Kilometer Fahrradweg wurden im letzten Jahr saniert oder neu gebaut, 2019 waren es nur 38 Kilometer.
Von 2016 bis 2018 bewegte sich der Ausbau lediglich zwischen 32 und 43 Kilometern. Doch bei genauerem Hinschauen wird klar: „Es gibt Bezirke, die hängen stark hinterher“, so Dirk Lau, Sprecher des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC), in Hamburg. „Das sind vor allem die Randbezirke wie Bergedorf, Harburg oder die Walddörfer.“
In Altona wurden 2020 nur 2,8 Kilometer neu gebaut oder saniert
Ein Blick auf die Zahlen stützt die Aussage von Lau. Demnach wurden 2020 im Bezirk Hamburg-Mitte 15,7 und in Eimsbüttel 15,0 Kilometer Radwege fertiggestellt – die Daten der Verkehrsbehörde unterscheiden dabei nicht nach neu gebaut oder saniert. Der einwohnerstärkste Bezirk Wandsbek konnte sich immerhin über 11,6 Kilometer neue Radwege freuen, in Hamburg-Nord waren es dagegen nur 6,7 Kilometer, in Bergedorf 5,7, in Harburg 4,3 und in Altona sogar nur 2,8 Kilometer.
Solche Jahreswerte sind allerdings nur bedingt aussagekräftig, da Planung und Ausführung vieler Projekte sich mitunter über Jahre hinziehen und es daher auch etwas zufällig ist, wann die Fertigstellung erfolgt. Doch auch die langfristigere Betrachtung offenbart enorme Unterschiede: So wurden in den Jahren 2015 bis 2020, also seit Antritt des rot-grünen Senats, hamburgweit gut 238 Kilometer Radwege neu gebaut oder saniert.
Radwege: Harburg und Bergedorf bilden Schlusslicht
Davon entfielen 57,4 Kilometer oder ein knappes Viertel allein auf den Bezirk Nord, gefolgt von 53,3 Kilometern im Bezirk Mitte. In Eimsbüttel waren es mit 37,1 und in Wandsbek mit 35,9 Kilometern schon erheblich weniger. Altona kam mit 25,8, Kilometern nicht mal auf die Hälfte der Werte von Nord oder Mitte, und Bergedorf (15,6 Kilometer) und Harburg (13,2) waren weit abgeschlagen.
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Dabei ist zu beachten: Bergedorf mit seinen 130.000 Einwohnern ist zwar der am dünnsten besiedelte, dafür aber mit 155 Quadratkilometern der flächenmäßig größte Bezirk. Auch Harburg hat zwar nur 170.000 Einwohner, ist mit 125 Quadratkilometern aber mehr als doppelt so groß wie Eimsbüttel (50 Quadratkilometer/267.000 Einwohner) und Nord (57,8 Quadratkilometer/315.000 Einwohner).
280 Kilometer Velorouten sollen in den nächsten Jahren fertiggestellt werden
Betrachtet man die Ausbaustatistik getrennt nach Velorouten sowie Radwegen an Hauptverkehrs- und Bezirksstraßen, fällt auf: Von den 78,5 Kilometer Veloroute, die seit 2015 fertiggestellt wurden, sind allein mehr als 19 Kilometer in Hamburg-Mitte entstanden. Schlusslichter sind wieder Bergedorf und Harburg mit acht und zwei Kilometern. Die anderen Bezirke liegen dazwischen. Die 14 sternförmig aufs Zentrum zulaufenden Velorouten sollen eine Gesamtlänge von rund 280 Kilometern haben und in wenigen Jahren fertig sein.
Bei den Hauptverkehrsstraßen, an denen insgesamt 109 Kilometer neue Radwege entstanden, lag hingegen Hamburg-Nord einsam auf dem ersten Rang. Fast 31 Kilometer Radinfrastruktur wurden hier neu angelegt. Während Mitte (18,6 Kilometer), Wandsbek (17,2), Altona (15,6) und Eimsbüttel (15,3) ähnliche Werte aufwiesen, wurde wiederum in Harburg (6,9) und Bergedorf (4,5) deutlich weniger fertiggestellt.
Der „große Wurf“ der Mobilitätswende lässt noch auf sich warten
Vergleicht man die Fortschritte auf den Bezirksstraßen in den vergangenen sechs Jahren, sticht dagegen die schlechte Performance von Altona ins Auge: Lediglich 795 Meter an Radwegen wurden dort an diesen untergeordneten Straßen gebaut oder saniert. In Hamburg-Mitte waren es im gleichen Zeitraum mehr als 15 Kilometer. Während es in Nord immerhin noch 11,9 und in Eimsbüttel 10,7 Kilometer waren, lagen neben Altona abermals Harburg mit 4,1 und Bergedorf mit 3,4 Kilometern am unteren Ende. Auch in Wandsbek (4,2 Kilometer) hat sich vergleichsweise wenig getan.
Insgesamt wurden seit 2015 rund 50 Kilometer an Radwegen entlang der Bezirksstraßen realisiert – also deutlich weniger als in den Bereichen Hauptstraßen und Velorouten. „Je weiter man vom Rathaus wegradelt, desto schlechter wird die Lage für Radfahrende“, sagt ADFC-Sprecher Dirk Lau. Er sieht die scheinbaren Fortschritte und den für letztes Jahr verkündeten Rekordwert des Senats daher kritisch: „Insgesamt fehlt uns bei der sogenannten Mobilitätswende der große Wurf, der nicht nur aus Leuchtturmprojekten wie am Jungfernstieg, am Ballindamm oder Pop-up-Radwegen im Innenstadtbereich besteht.“
„Das Problem ist, dass kaum Autospuren für Radwege entfernt werden“
Das seien keine Maßnahmen, die den Straßenalltag für die klimafreundlichen Verkehrsteilnehmenden verbessern würden. Stattdessen wünsche er sich mehr und schnellere Anstrengungen, vor allem in den äußeren Stadtteilen. Lau verweist auch auf die europäischen Fahrradstädte Paris, Kopenhagen und Amsterdam.
Diese hätten in den letzten Jahren deutlich mehr Geld in die Infrastruktur neuer Fahrradwege investiert, obwohl die Städte beim Ausbau bereits weit vor Hamburg lägen. Das Problem der schleppenden Mobilitätswende sieht Lau auch an der Herangehensweise der Verkehrsbehörde, die sich vom Pariser Plan unterscheide. „Das Problem ist, dass kaum Autospuren für Radwege entfernt werden. Damit macht man das Autofahren nicht unattraktiver.“
Die Infrastruktur müsse zugunsten der klimafreundlichen Verkehrsmittel umverteilt werden. „Es ist keine Verkehrswende, wenn der Senat allen Verkehrsarten gleichermaßen gerecht werden will“, so Dirk Lau. Der ADFC kritisiert auch die Qualität vieler Radwege. Viele neu gebauten Wege würden ohne räumliche Trennung neben Autospuren geplant. Damit laufe man Gefahr, viele Radfahrende zu verprellen. Denn wenn Lkw nur wenige Zentimeter an einem vorbeidonnern, würden viele wieder zurück ins Auto steigen, ist sich Lau sicher.