Hamburg. Dieter Lenzen erklärt, warum eine Stadtteilschule oft sinnvoller als ein Gymnasium ist. Das rät der Uni-Präsident Müttern und Vätern.

  • Wechsel auf weiterführende Schule: Das sollten Eltern beachten
  • Das denkt der Uni-Präsident über die Empfehlung der Grundschule
  • Diese Rolle spielt das Bundesland bei der Schulwahl

Wie jetzt?“ – so heißt ein Gemeinschaftsprojekt von Hamburger Abendblatt und Universität Hamburg. Darin unterhalten sich Chefredakteur Lars Haider und Uni-Präsident Dieter Lenzen über Fragen, die Wissenschaft und Journalismus gleichermaßen bewegen.

Heute geht es um die Frage, wie Eltern ihren Kindern die bestmögliche schulische Bildung ermöglichen und was die Empfehlungen der Lehrer damit zu tun haben.

Schule Hamburg: Eltern machen bei Schulwahl oft Fehler

Eltern wollen immer nur das Beste für ihre Kinder, wenn der Wechsel auf eine weiterführende Schule ansteht – und machen dabei manchmal nach Einschätzung von Dieter Lenzen, dem Präsidenten der Universität Hamburg, einen entscheiden Fehler: „Wenn sie ihr Kind in Hamburg an einem der besten Gymnasien anmelden, müssen Sie damit rechnen, dass Ihr normalbegabtes Kind dort mittelmäßig abschneidet. Genau das wollen Sie aber nicht“, sagt er.

Und weiter: „Die Eltern wollen doch, dass Ihr Kind eine gute Abiturnote hat und müssen immer bedenken, dass bei der Wahl eines Studienfachs der Numerus clausus eine Rolle spielt, aber nicht die Schule, auf die ihr Kind gegangen ist.“

Schule: Empfehlungen sind entscheidend

Das bedeute: Wenn man nicht weiß, dass das eigene Kind außerordentlich begabt ist, „dann kann ich nur raten, es auf einer normalen Schule anzumelden und dort zu versuchen, möglichst gute Noten zu bekommen.“ Insofern sollte man die Stadtteilschulen in Hamburg nicht als zweitklassig bezeichnen, so Lenzen, „ganz im Gegenteil.“

Lesen Sie hier das ausführliche Interview:

Lars Haider: Die Frage, über die wir heute sprechen wollen, werden sich viele Eltern am Ende des ersten Schulhalbjahres stellen: Denn dann geht es bei den Viertklässlern darum, auf welche Schule sie als nächstes gehen sollen. Lehrerinnen geben Empfehlungen ab, Eltern müssen sehr früh entscheiden, in welche Richtung die Schullaufbahn gehen soll. Wer kann das eigentlich am besten entscheiden? Wer weiß wann, was aus einem Kind werden kann?

Dieter Lenzen: Ich würde die Antwort nicht nur als Pädagoge, sondern auch als Vater geben wollen, der für seine Kinder natürlich das Beste will. In einem Land, das man auch gern als eine Verdienstrepublik bezeichnet und in dem Schulabschlüsse eine große Rolle spielen, sollten Kinder versuchen, den höchstmöglichen Abschluss zu machen. Denn das ist in der Regel der Start in ein besseres Leben. Deshalb war der Kampf um den Wert der Grundschulempfehlungen auch so verbittert und ist es immer noch. Vielleicht werfen wir einen Blick zurück. Als ich in die Grundschule gegangen bin, gab es eine dreitätige Prüfung für alle die, die auf das Gymnasium gehen wollten. In meiner Volksschulklasse waren 60 Kinder, vier durften am Ende auf ein Gymnasium.

Früher entschied die aufnehmende Schule

Es gab damals nicht die Möglichkeit, dass Eltern diese Entscheidung für ihre Kinder trafen?

Lenzen: Es entschied allein die aufnehmende Instanz, also das Gymnasium, an dem man die Aufnahmeprüfung machen musste. Die Volksschule und die Eltern spielten dabei keine Rolle. Die Gymnasien wollten erfolgreich sein und suchten sich nur die Schüler aus, von denen sie glaubten, dass sie den Ruf der Schule auf möglichst hohem Niveau halten können. Das hat sich umgedreht: Heute ist die Empfehlung der Grundschule entscheidend. Was die Frage aufwirft, wie gut diese Empfehlungen sind. Wenn sie sehr gut wären, dürfte ja so gut wie kein Kind, dass keine Empfehlung fürs Gymnasium bekommen hat, Abitur machen. Tatsächlich trifft das aber auf fast 50 Prozent der Kinder zu, bei denen die Eltern entscheiden, sie gegen den Rat der Grundschule aufs Gymnasium zu schicken. Das ist keinem Grundschullehrer und keiner Grundschullehrerin vorzuwerfen, weil sie nur die Vergangenheit beurteilen und all das, was sich nach der Grundschulzeit verändert, nicht vorhersehen können. Es gibt einfach zu viele Gründe, dass der Entwicklungsweg des Kindes auf einmal eine ganz andere Richtung nimmt.

Welche weiterführende Schule soll’s denn sein? Die Entscheidung führt oft zu Auseinandersetzungen in der Familie.
Welche weiterführende Schule soll’s denn sein? Die Entscheidung führt oft zu Auseinandersetzungen in der Familie. © Getty Images/iStockphoto

Bei Schulempfehlungen genau hinsehen

Was raten Sie dann Eltern, die am Ende die Entscheidung über die richtige Schule treffen müssen?

Lenzen: Ich rate ihnen, sich die Empfehlung der Grundschule genau anzusehen. Lehrer sehen viel, was Eltern nicht sehen. Aber umgekehrt gilt das genauso. Deshalb hätte ich als Vater oder Mutter keine Angst, mein Kind aufs Gymnasium zu schicken, auch wenn man mir auf der Grundschule etwas anderes vorschlägt. Allerdings nicht um jeden Preis.

Numerus clausus für die Universität entscheidend

Aber grundsätzlich sagen Sie: Immer den höchsten Abschluss anpeilen, das ist das Abitur, und wenn, dann gleich bei der besten Schule, die es in der Nähe gibt?

Lenzen: Das ist ein interessanter Aspekt. Wenn Sie Ihr Kind in Hamburg an einem der drei besten Gymnasien anmelden, müssen Sie damit rechnen, dass Ihr normalbegabtes Kind dort mittelmäßig abschneidet. Genau das wollen Sie aber nicht. Sie wollen doch, dass Ihr Kind eine gute Abiturnote hat und müssen immer bedenken, dass bei der Wahl eines Studienfachs der Numerus clausus eine Rolle spielt, aber nicht die Schule, auf die Ihr Kind gegangen ist. Das bedeutet: Wenn ich nicht weiß, dass mein Kind außerordentlich begabt ist, dann kann ich nur raten, es auf einer normalen Schule anzumelden und dort zu versuchen, möglichst gute Noten zu bekommen.

Auch auf Stadtteilschulen Abitur möglich

Also lieber eine Schule aussuchen, die vielleicht keinen exzellenten Ruf hat?

Lenzen: Es kommt hinzu, dass man auf den Stadtteilschulen, auf denen man auch Abitur machen kann, mehr Zeit hat, nämlich neun statt acht Jahre. Insofern sollte man die Stadtteilschulen nicht als zweitklassig bezeichnen, ganz im Gegenteil.

In Schulen muss es Durchmischung geben

Machen nicht viele Eltern einen Kardinalfehler, wenn sie unbedingt wollen, dass ihr Kind aufs Gymnasium geht? Würde es auf eine Stadtteilschule gehen, hätte es nicht nur ein Jahr mehr Zeit, sondern vielleicht auch die Chance auf eine bessere Abi-Note. Und auch hier unterscheiden die Universitäten nicht zwischen Abschlussprüfungen, die am Gymnasium oder an einer Stadtteilschule gemacht werden.

850 Schülerinnen und Schüler, 70 Lehrkräfte: das altsprachlich-humanistische Gymnasium Johanneum in Winterhude.
850 Schülerinnen und Schüler, 70 Lehrkräfte: das altsprachlich-humanistische Gymnasium Johanneum in Winterhude. © HA / A.Laible | Andreas Laible

Lenzen: So ist es. Man muss immer schon den übernächsten Schritt im Auge behalten. Als ich vor zwölf Jahren nach Hamburg gekommen bin, hat man mich öfter gefragt, ob ich als Schüler auf dem Johanneum gewesen sei. Ich wusste gar nicht, was das ist, und habe dann gelernt, dass das offenbar eine Frage der Zugehörigkeit zu bestimmten Milieus ist. Ich glaube, das spielt bei bestimmten Bevölkerungsgruppen eine wichtige Rolle. An einem Gymnasium wie dem Johanneum gewesen zu sein, schafft Vorteile in Netzwerken. Man kennt sich untereinander, bildet so eine Elite. Ein wesentlicher Grund in der Debatte für die Zukunft des Gymnasiums vor einigen Jahren war, dass man die dortigen Netzwerke nicht zerstören will. Die andere Konzeption ist, dass man in Schulen versuchen muss, eine Durchmischung hinzubekommen, damit sich Kinder aus unterschiedlichen Milieus gegenseitig helfen. Der Kampf zwischen diesen beiden Systemen ist aufgeschoben worden, aber er bricht immer wieder durch.

Schulen: Auch Bundesland spielt eine Rolle

Wenn man das Beste für sein Kind will, muss man die Schule also sehr strategisch aussuchen.

Lenzen: Oder das Bundesland. Wenn man taktisch denken würde, müsste man nach Berlin umziehen, denn dort ist die Leistungsdichte bei weitem nicht so groß wie etwa in Bayern. Das Problem war früher noch viel größer und wird inzwischen angegangen, etwa dadurch, dass die Schülerinnen und Schüler in den Kernfächern des Abiturs vergleichbare Aufgaben lösen müssen.

Welche Rolle spielt bei der Wahl eines Gymnasiums bewusst oder unterbewusst der Wunsch der Eltern, dass ihr Kind mit seinesgleichen in eine Klasse gehen soll? Die soziale Trennung der Gesellschaft beginnt damit doch schon…

Lenzen: Es gibt Schulen, die ein sehr homogenes Milieu abbilden, und solche, die eher heterogen sind. Die homogenen Schulen müssen dabei nicht immer die sein, auf die nur Kinder aus bildungsnahen Elternhäusern gehen, das funktioniert auch genau andersherum. Ob eine soziale Durchmischung für den Lernerfolg der Kinder entscheidend ist, und darum geht es am Ende, hat bisher leider nie im Vordergrund der Diskussion gestanden. Wir müssen überlegen, ob es für die Gesellschaft ein Gewinn wäre, wenn die Eliten unter sich bleiben. Ich glaube das nicht, weil unsere Gesellschaft sehr stark darauf angewiesen ist, dass die einzelnen Gruppen miteinander kommunizieren können. Das heißt ja nicht, dass funktionale Eliten abgeschafft werden. Die bilden sich von selbst im Laufe des Berufslebens. Dazu noch eine Nebenbemerkung: Das Abitur ist bedeutsam für den Hochschulabschluss, wer eine gute Abi-Note hat, hat auch eine höhere Wahrscheinlichkeit für ein erfolgreiches Studium. Aber das schlägt nicht immer durch bis auf die Berufserfolge. Man kann auch Karriere machen und viel Geld verdienen, wenn man in der Schule eher schlechter abschneidet.