Hamburg. Geschlossene Psychiatrie der Asklepios Klinik Nord ist überfüllt. Das passiert mit Patienten, die nicht aufgenommen werden können.

Die Lage im sogenannten Maßregelvollzug wird immer prekärer: Anfang Oktober waren 365 als gefährlich geltende, aber schuldunfähige Straftäter und Tatverdächtige als Patienten in der geschlossenen Abteilung der Asklepios Klinik Nord/Ochsenzoll untergebracht, obwohl dort eigentlich nur 309 Plätze zur Verfügung stehen. Das hat der Senat in seiner Antwort auf eine Kleine Anfrage des CDU-Justizpolitikers Richard Seelmaecker mitgeteilt.

Damit nicht genug: Weitere 22 Frauen und Männer, deren Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus vor einem Urteil gerichtlich angeordnet ist, sitzen stattdessen wegen des Kapazitätsengpasses in der Untersuchungshaftanstalt (UHA) ein. Dort ist weder das Personal für die schwer psychisch erkrankten Menschen ausgebildet, noch sind die baulichen Voraussetzungen für deren Unterbringung gegeben. Der längste Aufenthalt eines Untergebrachten dauert bereits länger als 400 Tage, andere sitzen zum Teil seit mehreren Monaten in der U-Haftanstalt.

Untragbar: Zu wenig Platz für Patienten im Maßregelvollzug

Zum Vergleich: Vor einem Jahr saßen lediglich sieben Personen aufgrund eines sogenannten Unterbringungsbefehls in der UHA ein. Fünf weitere Patienten werden aktuell in psychiatrischen Krankenhäusern anderer Bundesländer behandelt und betreut.

„Das ist im Prinzip eine katastrophale Situation. Die Menschen, deren gesicherte Unterbringung angeordnet ist, sind sehr betreuungsintensiv. Keiner meiner Kollegen hat eine entsprechende psychiatrische Ausbildung. Sie empfinden die Situation als sehr belastend“, sagt René Müller, der Vorsitzende des Landesverbandes Hamburgischer Strafvollzugsbediensteter zur Lage in der U-Haftanstalt.

Hamburgs Gesundheitssenatorin Melanie Leonhard (SPD).
Hamburgs Gesundheitssenatorin Melanie Leonhard (SPD). © Markus Scholz / dpa

Wegen der Betreuung der Maßregel-Patienten fehlten Justizvollzugsbedienstete an anderer Stelle des insgesamt stark ausgelasteten Gefängnisses, so Müller, der auch Bundesvorsitzender des Bundes der Strafvollzugsbediensteten Deutschlands (BSBD) ist.

Justizbehörde möchte sich nicht äußern

Die Justizbehörde will die Lage nicht kommentieren. „Wir können uns dazu nicht äußern“, sagte Dennis Sulzmann, Sprecher der Justizbehörde, und verwies darauf, dass die Behörde nur in Amtshilfe tätig geworden sei.

Ende 2020 kündigte die zuständige Gesundheits- und Sozialsenatorin Melanie Leonhard (SPD) eine Erweiterung der Kapazitäten auf dem Gelände der Asklepios Klinik Nord/Ochsenzoll an. Laut aktueller Senatsantwort sollen in mehreren Schritten insgesamt 63 zusätzliche Plätze geschaffen werden. Voraussichtlich bis Ende dieses Jahres werden die ersten 17 Plätze in Betrieb genommen werden. Derzeit ist noch offen, ob die gesamte Kapazitätserweiterung am Standort Ochsenzoll realisiert wird.

Fast eine Million mehr Ausgaben

Doch mit einem schnellen Abbau des Unterkapazitäten ist nicht zu rechnen. „Die weiteren Maßnahmen befinden sich derzeit im Abstimmungsprozess zwischen der Sozialbehörde und der Asklepios Klinik Nord/Ochsenzoll. Der jeweilige Baubeginn wird voraussichtlich zwischen dem ersten Quartal 2022 und ersten Quartal 2023 erfolgen“, heißt es in der Senatsantwort auf die Seelmaecker-Anfrage.

Mit der Fertigstellung werde „zwischen Ende 2022 und dem ersten Halbjahr 2024“ gerechnet. Ursprünglich sollte es ein halbes Jahr schneller gehen. Die erforderlichen „umfangreichen Planungsprozesse“ haben nicht nur zu Bauverzögerungen geführt, sondern auch noch zu Mehrkosten: Statt mit Ausgaben in Höhe von 15,65 Millionen Euro rechnet der Senat nun mit 16,7 Millionen Euro.

„Absolut untragbar“: Monatelange Unterbringung ohne qualifizierte Behandlung

Zur vorübergehenden Nutzung für bis zu 23 Maßregelpatienten sollen auch zwei Stationen des Zentralkrankenhauses der U-Haftanstalt umgebaut werden. Noch ist nichts fertig. „Die für die Unterbringung vorgesehenen zwei Stationen der UHA werden derzeit noch abschließend baulich ertüchtigt und die personelle Ausstattung abgesichert“, schreibt der Senat in seiner Antwort.

Blick auf die geschlossene Psychiatrie Haus 18 in der Asklepios Klinik Nord/Ochsenzoll.
Blick auf die geschlossene Psychiatrie Haus 18 in der Asklepios Klinik Nord/Ochsenzoll. © Michael Rauhe / Funke Foto Services

„Seit Jahren verschläft der Senat, ausreichend Kapazitäten im Maßregelvollzug zu schaffen. Das führt zu einer unhaltbaren Situation. Schuldunfähige Personen warten statt in der Psychiatrie in der Untersuchungshaftanstalt auf ihren Prozess“, sagt CDU-Justizpolitiker Seelmaecker. Die teils monatelange Unterbringung ohne qualifizierte Behandlung sei nicht nur gesetzeswidrig, sondern sowohl für die Untergebrachten als auch für die Justizvollzugsbediensteten „absolut untragbar“. Seelmaecker fordert Justizsenatorin Anna Gallina (Grüne) auf, die „längst überfällige Vereinbarung“ mit den Asklepios-Kliniken über die Einrichtung der zwei Stationen im Zentralkrankenhauses zu treffen.

Gründe für steigende Patientenzahl sind unklar

„Das ist insgesamt eine schwierige Situation“, räumt Sozialbehördensprecher Martin Helfrich ein. Die Kapazität von 309 Plätzen in Ochsenzoll bemesse sich nach dem verfügbaren Personal, nicht nach dem vorhandenen Raum. Jede Ausweitung der Kapazität müsse mit den Asklepios-Kliniken verhandelt werden.

Die Gründe für den seit Jahren andauernden Anstieg der Patientenzahlen sind nicht eindeutig. Zum einen kann das gestiegene gesellschaftliche Sicherheitsbedürfnis verantwortlich sein. Zum anderen könnten die Fallzahlen auch real gestiegen sein. In der Regel spielen Drogenabhängigkeit, mehrfache psychische Erkrankungen sowie teils vor Jahren erlittene Traumata eine Rolle.