Hamburg. Zum 90. Geburtstag: Uni-Präsident Lenzen spricht mit Klaus Hasselmann über die Kindheit bei London, die Familie und den Klimawandel.

Vor knapp drei Wochen hat das schwedische Nobelpreis-Komitee bekannt gegeben, dass der Hamburger Klaus Hasselmann den diesjährigen Physik-Nobelpreis verliehen bekommt. Aus Anlass von Hasselmanns heutigem 90. Geburtstag hat Universitätspräsident Univ.-Prof. Dieter Lenzen den Alumnus und späteren Professor der Universität Hamburg zu einem Gespräch eingeladen. Begleitet wurde dieser dabei von seiner Ehefrau, Susanne Hasselmann-Barthe (85).

Dieter Lenzen: Es ist ja schon viel über Sie geschrieben und berichtet worden, im Zuge der Verkündung, dass Sie mit dem diesjährigen Nobelpreis für Physik ausgezeichnet werden. Zu Ihrem 90. Geburtstag möchte ich den Menschen Klaus Hasselmann in den Mittelpunkt rücken: Wie kamen Sie dazu, das zu sein, was Sie sind? Das mag auch zusammenhängen mit Ihrer Kindheit und damit, womit Sie sich früh beschäftigt haben. So habe ich etwa gelesen, dass Sie in Großbritannien aufgewachsen sind, weil Ihr Vater ein Verfolgter des NS-Regimes war. Das war er, weil er Sozialdemokrat war?

Klaus Hasselmann: Ja. Er war nicht direkt ein Verfolgter, sondern er wollte lieber ausweichen und ist rechtzeitig gegangen.

Sie haben in London gelebt?

Hasselmann: 30 Kilometer nördlich von London, in einer sehr schönen Gartenstadt, Welwyn Garden City.

Wie alt waren Sie, als Ihre Familie dort hingezogen ist?

Hasselmann: Ich war drei Jahre alt.

Können Sie sich an die Zeit davor erinnern? Es ist ja ungefähr der Zeitpunkt, an dem unsere Erinnerung einsetzt.

Hasselmann: Nein, das kann ich nicht. Meine Erinnerung beginnt mit England, in dem ich als Deutscher aufgewachsen bin – ich wurde nicht nationalisiert. Ich habe mich dort sehr wohlgefühlt.

Obwohl Deutschland für die Engländer ja Feindesland war, hat man Sie akzeptiert?

Hasselmann: Ja, davon war ich sehr angetan! Ich habe keinerlei Probleme gehabt, man hat mich absolut akzeptiert. Ich bin wie ein Engländer dort zur Schule gegangen und musste später, zurück in Deutschland, erst einmal wieder Deutsch lernen, etwa zwischen Du und Sie unterscheiden.

Hat sich bereits in England, in Ihrer Schulzeit, schon ein Interesse für die Physik gezeigt?

Hasselmann: Ja! Dafür habe ich mich immer schon interessiert. Allerdings hatten wir einen Physiklehrer, der mich nicht mochte, und ich mochte ihn auch nicht. Daher habe ich Physik ganz unabhängig vom Lehrer und der Schule gelernt. Einfach, weil es mich interessiert hat.

Das kann ich absolut nachvollziehen. Ich hatte auch einen Physiklehrer, den ich nicht mochte. Allerdings kann ich nicht sagen, dass er mich nicht mochte – er kannte mich gar nicht! Ich habe mich immer gefreut, wenn der Raum für Experimente verdunkelt wurde, denn dann konnte ich an etwas anderes denken – und wurde nicht dabei gesehen. Wie haben Sie es geschafft, dennoch an der Physik dranzubleiben?

Hasselmann: Mich hat einfach interessiert, wie die Natur funktioniert. Ich habe deshalb zu Hause Bücher gelesen und gebastelt. So habe ich als Schüler meinen ersten Detektorempfänger gebaut, mit dem ich Hörfunksendungen hören konnte.

Wann sind Sie nach Deutschland zurückgekehrt?

Hasselmann: 1949 sind wir nach Hamburg zurückgekommen. Das Abitur habe ich noch in England gemacht.

In welchem Fach waren Sie dabei am besten?

Hasselmann: Tatsächlich in Physik. Aber auch in Englisch und Geografie war ich recht gut.

Haben Sie eigentlich Geschwister?

Hasselmann: Ja, eine drei Jahre ältere Schwester, die Lehrerin gewesen ist, und zwei sieben Jahre jüngere Brüder – Zwillinge. Einer davon hat auch Physik gemacht, der andere war Architekt.

Haben Ihre Eltern in der Erziehung Unterschiede gemacht, etwa Sie als eines der älteren Kinder strenger erzogen als Ihre jüngeren Brüder?

Hasselmann: Meine Mutter war recht krank, weshalb ich mich mit um meine jüngeren Brüder gekümmert habe. Wir haben uns alle zum Glück sehr gut verstanden.

Als Sie 1949 nach Hamburg kamen, haben Sie dann direkt angefangen zu studieren?

Hasselmann: Nein. Ich habe erst einmal ein Maschinenbaupraktikum gemacht. Ich war mir damals nämlich noch nicht ganz sicher, was ich eigentlich werden wollte.

Die Idee, Professor zu werden, stand also nicht von Anfang an im Raum?

Hasselmann: Nein, das hatte ich ursprünglich nicht geplant, das hat sich so ergeben.

Sie haben dann angefangen, Physik zu studieren …

Hasselmann: Physik und Mathematik. Dort habe ich schnell Freunde gefunden, was mir geholfen hat, mich in Deutschland wohlzufühlen.

Und dort haben Sie auch direkt Ihre spätere Forschungsrichtung eingeschlagen?

Hasselmann: Das kam später. Angefangen hat es mit meinem Interesse für den Seegang, für Wind und Wellen. Dafür habe ich Messprogramme entwickelt.

Sie müssen davon ausgehen, dass ich nichts von dem verstehe, was Sie gemacht haben oder noch machen. Aber vielleicht ganz einfach: Wie misst man Wellen?

Hasselmann: Mit Stäben. Mit mehreren nebeneinander kann man die Wellenlänge und Wellenhöhe messen.

Und damit auch Vorhersagen machen?

Hasselmann: Ja, auch das haben wir gemacht. Wenn lange, große Wellen aus dem Atlantik reinkommen und in der Nordsee noch durch Wind angefacht werden, dann können diese sehr stark werden. Das kann man dann auch vorhersagen. Dazu muss man die Windentwicklung und Wellenentwicklung rechtzeitig messen.

Sie haben sich auch früh mit dem Klimawandel beschäftigt. Wie kam es dazu?

Hasselmann: Es hat mich schon lange umgetrieben, was natürliche Schwankungen im Klima sind und was durch den Menschen beeinflusst ist. Mitte der 1970er-Jahre habe ich dazu Mess­reihen angefangen, auch angeregt durch die Veröffentlichung des Club of Rome 1972.

Zusätzlich zu Ihren Studien sind Sie ja auch als Professor Lehrender geworden. Was würden Sie sagen, macht einen guten Lehrenden an der Universität aus?

Hasselmann: Ich kann Ihnen nur sagen, wie man es nicht machen soll. Ich habe mich immer gedrückt und habe mir Themen für Vorlesungen ausgesucht, zu denen möglichst wenige Studierende kamen, damit ich das dann möglichst schnell wieder aufgeben konnte. Ich war also der Inbegriff eines schlechten Professors. Aber: Ich habe mit den Studierenden in der Forschung zusammengearbeitet, das hat mir Spaß gemacht!

Was für ein Typ Forscher sind Sie denn dann? Eher der Einzelgänger?

Hasselmann: Das würde ich schon so sagen. Auf der anderen Seite hat es mir dann doch auch Spaß gemacht, für Messprojekte mit anderen Forschern zusammenzukommen.

Haben Sie Ihre Frau auch in diesem Zusammenhang kennengelernt?

Susanne Hasselmann-Barthe: Nein, wir haben uns im Chor getroffen.

Sie singen?

Hasselmann: Ja. Nicht gut, aber immer noch.

Es ist ja ein Phänomen, dass sie beide bereits 64 Jahre verheiratet sind. Was ist Ihr Geheimnis?

Hasselmann: Eine sehr geduldige Frau.

Braucht man denn Geduld, wenn man mit Ihnen zusammenlebt?

Hasselmann: Das fragen Sie besser meine Frau. Ich halte mich für recht charmant. (lacht)

Hasselmann-Barthe: Früher haben wir uns oft gestritten. Dann ist mein Mann darauf gekommen, dass er nur charmant sein muss, wenn ich mal böse war. Und ich bin jedes Mal darauf reingefallen. (beide lachen)

Sie, liebe Frau Hasselmann-Barthe, haben ja auch wissenschaftlich gearbeitet.

Hasselmann-Barthe: Ja. Eine Zeit lang habe ich mich um die Familie gekümmert, dann habe ich wieder angefangen.

War das schwierig, zurückzukehren?

Hasselmann-Barthe: Durchaus. Das haben mir auch viele Professoren über andere Frauen berichtet: Dass man den Rückkehrerinnen erst einmal Mut machen muss, wieder richtig einzusteigen. Das hat dann mein Mann bei mir gemacht.

Und wie sind Sie überhaupt auf die Mathematik gekommen? Das war ja für eine junge Frau, besonders zu der Zeit, ungewöhnlich.

Hasselmann-Barthe: Ich hatte in der Schule einfach Spaß daran, aber ich traute es mir erst nicht zu. In einer Berufsberatung wurde mir dann gesagt, wenn das der einzige Grund dagegen sei, dann sollte ich es unbedingt studieren.

Und das war dann ja auch für Sie die richtige Entscheidung. Die hat auch Ihr Mann anscheinend mit seinem Forschungsgegenstand getroffen, fand jedenfalls auch das Nobelpreiskomitee. Was genau hat zu Ihrer Auszeichnung geführt?

Hasselmann: Das weiß ich eigentlich auch nicht so genau. Aber ich vermute, dass ich den Preis verliehen bekommen habe, weil ich gezeigt habe, dass der Mensch das Klima ändert. Dass Klimaforschung also keine abstrakte Wissenschaft ist, sondern unmittelbar mit uns in Zusammenhang steht.

Was würden Sie denn sagen, welches Szenario für die nächsten 30 oder 50 Jahre am wahrscheinlichsten ist? Herr Prof. Stammer, Direktor des Centrums für Erdsystemforschung und Nachhaltigkeit unserer Universität, hat uns da bereits einiges gezeigt. Aber bringen in Ihren Augen diese Prognosen ein völlig neues Leben für uns mit?

Hasselmann: Ich sehe hier die Wechselwirkung zwischen Politik und Wissenschaft im Vordergrund. Wie also die Politik darauf reagiert, was die Wissenschaft schon seit Jahren sagt. Ich selber bin optimistisch, dass wir auf erneuerbare Energien umschalten können und auch werden. Und dass wir damit das Problem in den Griff bekommen können. Wie sehen Sie das?

Ich finde, dass wir uns als Deutsche nicht überschätzen dürfen, dass wir alleine alle Probleme dieser Welt lösen können. Es wird ja oft gesagt: „Die Deutschen müssen jetzt mal voran, die müssen ein Vorbild sein.“ Wenn Deutsch sein mit Vorbild sein verbunden wird, bin ich immer etwas vorsichtig. Den Anspruch gab es schon mal in anderen Zeiten. Zum Thema Bewältigung des Klimawandels bin ich nun kein Experte. Ich glaube aber, dass es eine Bewusstseinsfrage ist und eine Aufgabe für das Bildungssystem, dass wir den Menschen klarmachen müssen, dass nicht alles im Leben so weitergeht. Ich kann mir vorstellen, dass es erhebliche Konflikte geben wird in den kommenden Jahren über die Verwendung von Geld dafür und dass es dann daran scheitert. Ich bin also etwas skeptischer als Sie.

Hasselmann:Das Problem ist sicherlich, dass wir nicht gewohnt sind, langfristig zu denken. Man kann die Menschen gut motivieren, für die kommenden Monate etwas zu machen. Aber etwas, was sich über die nächsten zehn, zwanzig Jahre entwickeln muss, ist schwer zu vermitteln. Ich setzte auf die jüngeren Generationen, die vielleicht in der Lage sind, eine bessere Sprache zu finden, um die Menschen mitzureißen, Probleme aufzugreifen. Aber da bin ich eigentlich optimistisch, dass die Jugend, wie etwa die Fridays for Future-Bewegung, das hinbekommt, was uns als sturen Wissenschaftlern nicht gelungen ist.

Sie wohnen hier in Hamburg in einer Wohnung. Betreiben Sie selbst klimaschonendes Wohnen?

Hasselmann: Wir machen das, so gut wir können.

Hasselmann-Barthe: Wir haben auch ein kleines Reihenhaus auf Sylt. Da haben wir Erdwärme, ein Elektro-Auto, und unsere Urlaube sind ohne Flugreisen.

Herr Hasselmann, Sie sagten kürzlich, dass Sie noch eine Schnapsidee im Kopf haben, die Sie noch verwirklichen wollen. Das interessiert mich am meisten: Wissenschaftler, die Quatsch machen. Was genau ist das für eine Idee?

Hasselmann: Ich bin überzeugt davon, dass man die Physik völlig neu aufziehen kann. Dass man die Dualität zwischen Teilchen und Wellen aufheben kann. Und dass man von der Quantentherorie abrücken kann. Experten halten mich dafür für verrückt.

Es gibt ja einen Nobelpreisträger, der zwei Nobelpreise erhalten hat. Das sollte Ihr Ziel sein!

Hasselmann: Ja, das wird mein Nobelpreis der Zukunft. (lacht)