Hamburg. Mehr Radwege, viel Straßenumbau: Wie der Verkehr der Stadt zukünftig aussieht. Laut ADFC fehlt der Wille zur Wende.
Hamburg soll Fahrradstadt werden – das ist ein erklärtes Ziel der Behörde für Verkehr und Mobilitätswende. Aber wie soll das genau aussehen? Zum einen soll der Anteil der im Umweltverbund, also mit dem öffentlichen Personenverkehr, Rad oder zu Fuß zurückgelegten Wegen bis 2030 auf 80 Prozent steigen. Innerhalb der nächsten neun Jahre soll auch der Anteil des Radverkehrs bei der Verkehrsmittelwahl auf 25 bis 30 Prozent wachsen.
Bis 2025 besteht außerdem das Ziel, den Bau des stadtweiten Veloroutennetzes mit seinen 14 Strecken abzuschließen. Die Routen verlaufen weitgehend abseits der Hauptverkehrsstraßen, wo Radfahrer auf der Fahrbahn mitfahren können, durch Tempo-30-Zonen und auf Fahrradstraßen, wie es auf der Webseite der Stadt heißt.
Mobilitätswende: Neue Fahrradrouten für Hamburg
Im Alltagsverkehr sollen die Wege bei jeder Witterung befahrbar und auch bei Dunkelheit sicher nutzbar sein. Zwölf sternförmig vom Rathausmarkt in die äußeren Stadtteile verlaufende Routen sollen die Hamburger City mit den wichtigsten Zentren der Bezirke verbinden, zwei Ringverbindungen führen in die weiteren Wohngebiete der Stadt.
Von Altona über Othmarschen und Blankenese nach Rissen verläuft beispielsweise eine Strecke, eine andere führt von der Uhlenhorst über Barmbek und Bramfeld nach Poppenbüttel und Duvenstedt. Die innere Ringroute führt dabei von Altona über Eimsbüttel, Winterhude, Barmbek und Eilbek bis nach Hamm. Die äußere Ringroute ist die längste Velorouten-Fahrradstrecke und verläuft 42 Kilometer lang zwischen Othmarschen, Schnelsen, Niendorf, Poppenbüttel und Billstedt.
Rekord: 62 Kilometer Radwege saniert oder neu gebaut
„Das Gesamtnetz der Velorouten hat eine Länge von rund 280 Kilometern, mehr als 190 davon sind inzwischen fertiggestellt, das entspricht 68 Prozent. Weitere 27 Prozent sind bereits geplant, es steht also auch ein Baubeginn fest“, sagt Behördensprecher Manuel Fricke gegenüber dem Abendblatt. „Lediglich für fünf Prozent hat, zumeist aufgrund von baulichen und zeitlichen Abhängigkeiten, noch keine Planung begonnen.“
Hamburg hat im Jahr 2020 rund 62 Kilometer Radwege saniert oder neu gebaut, heißt es weiter von der Behörde. Das seien 63 Prozent mehr als im Jahr 2019 und somit ein neuer Rekord. Die Zahl orientiert sich auch am Koalitionsvertrag von Rot-Grün, in dem 60 bis 80 Kilometer als „Zielkorridor“ definiert wurden.
Jährlich 83 Millionen Euro für den Radverkehr
Bis 2025 sollen die Erneuerungen so fortgeführt werden. „Außerdem nahm Hamburg in den letzten Jahren und nimmt auch in Zukunft so viel Geld für den Radverkehr in die Hand wie nie zuvor, die Ausgaben können sich – auch im internationalen Vergleich – sehen lassen“, sagt Fricke. „Allein für den größten Bereich Infrastruktur sind für 2021 bislang 64 Millionen Euro und für 2022 bislang 56 Millionen Euro vorgesehen.“
Zurzeit würden „erhebliche Anstrengungen“ unternommen, um diese Mittelansätze weiter aufzustocken. Hinzukommen die Ausgaben für die Bereiche Service, insbesondere für den Radverleih StadtRad, Bike+Ride, Winterdienst und Reinigung. Insgesamt will die Stadt jedes Jahr 83 Millionen Euro in die Förderung des Radverkehrs investieren.
Mit Wärmebildkameras: An 55 Orten werden Radfahrer gezählt
Die mehr als 3100 StadtRäder und 20 Lastenpedelecs, die über die Deutsche Bahn verliehen werden, sind an 250 Stationen im ganzen Stadtgebiet abholbar. Die ersten 30 Fahrminuten sind kostenlos, danach werden 10 Cent oder eine Jahresgebühr von 5 Euro im Normaltarif fällig.
Auch technische Neuerungen sollen künftig eine Rolle spielen: „Mit dem Hamburger Radzählnetz wurde die Grundlage dafür gelegt, die komplette Basis der Radverkehrsplanung zu digitalisieren und Verkehrsflüsse deutlich genauer einschätzen zu können“, sagt Behördensprecher Fricke. Dafür sind an 55 Punkten in Hamburg Dauerzählstellen eingerichtet worden. Wärmebildkameras zählen jeden Radfahrer, rund um die Uhr, die ganze Woche lang. Künftig soll die Zahl der Kameras noch steigen.
Immer mehr Menschen steigen aufs E-Bike um
Ein weiteres Projekt ist „Priobike-HH“, das im Rahmen des ITS Weltkongresses vorgestellt wird, wie Fricke sagt. Darin werde die Priorisierung des Radverkehrs durch Optimierung von Ampelsteuerungen und zur Steigerung von Sicherheit und Komfort getestet.
Zum Anteil von E-Bikes im Stadtverkehr gibt es hingegen keine Zielsetzung. Allerdings sei aus Sicht der Behörde zu beobachten, dass die elektrifizierten Räder an Beliebtheit gewinnen. „Zudem verlängern E-Bikes auch die durchschnittlichen Distanzen, die auf Fahrrädern zurückgelegt werden, und machen beispielsweise Radschnellwege noch attraktiver“, sagt Behördensprecher Fricke.
Insgesamt 300 Kilometer Radschnellweg in Hamburg
Seit August stehen die genauen Routen des für die Metropolregion Hamburg geplanten 300 Kilometer langen Radschnellwegnetzes fest: Jeweils von Elmshorn und Bad Bramstedt soll es rund 32 bzw. 40 Kilometer lang nach Hamburg gehen. 10 Kilometer Strecke sollen von Ahrensburg nach Wandsbek führen und sind teilweise heute schon befahrbar.
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Die Schnellstrecke von Geesthacht nach Hamburg ist 24 Kilometer lang, mit Verbindung zum neuen Stadtteil Oberbillwerder. Von Lüneburg nach Hamburg führen 50 Kilometer bis in die City. Von Tostedt nach Hamburg sollen es 32 Kilometer sein, mit dem Bau von neuen Brücken. Von Stade nach Hamburg kommen 55 Kilometer hinzu. Die maximal vier Meter breiten und innerorts beleuchteten Strecken sollen unter anderem dabei helfen, den Pendlerverkehr verstärkt aufs Rad umzulegen. Wann genau die Routen aber tatsächlich fertiggestellt und befahrbar werden, ist noch unklar.
Fehlt der Wille zur Mobilitätswende?
Der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC) Hamburg sieht noch Spielraum für die Förderung des Radverkehrs in Hamburg. „Was die Richtung angeht, sind wir uns einig mit der neuen Hamburger Verkehrsbehörde, aber trotz vieler positiver Veränderungen weg vom autozentrierten Denken fehlt uns der große Wurf“, sagt ADFC-Sprecher Dirk Lau.
Man beschränke sich in Hamburg auf einige Leuchtturmprojekte wie den autofreien Jungfernstieg, aber außerhalb der Innenstadt sei der Wille zur Mobilitätswende kaum zu spüren. „An einer Straße, am Jungfernstieg, wird jetzt versucht, den privaten Autoverkehr rauszuhalten, aber nicht zuletzt auf Hamburgs Magistralen wird immer noch dem Auto Vorfahrt gegeben.“
Lau: „Jetzt schon eine Fahrradstadt von morgen planen“
Im Alltag sei das Veloroutennetz wichtig, aber dessen Realisierung verlaufe schleppend und entspreche oftmals nicht mehr aktuellen Standards, was zum Beispiel Breite und Beschaffenheit der Radwege anbelange: „Nicht nur rund um die Alster, sondern auch im Osten und in den Randbezirken wie Harburg brauchen wir deutlich mehr Platz und Sicherheit fürs Rad und die Menschen durch Maßnahmen wie Fahrradstraßen, Tempo 30 und autoarme Viertel.“
Auch neu gebaute Abschnitte des Veloroutenprojektes würden teilweise nicht den modernen Qualitätsstandards entsprechen. „Oft reichen die Wege gerade so, um die aktuelle Anzahl an Radfahrenden aufzunehmen. Aber einem zukünftig stärkeren Aufkommen von Rad- und Fußverkehr werden diese Planungen nicht gerecht“, warnt Lau.
„Wenn man heute einen Radweg von 1,85 Meter Breite baut, dann reicht das vielleicht für den Radverkehr von gestern, aber nicht für den von morgen.“ Mit einem Lastenrad etwa hat man solche schmalen Radwege fast schon komplett ausgefüllt, andere Radfahrende könnten dann nicht mehr überholen. „Wir müssten aber jetzt schon perspektivisch für eine Fahrradstadt von morgen planen.“
ADFC: Aus Parkplätzen sollen Fahrradwege werden
Außerdem wünscht der ADFC sich mehr Verkehrsversuche wie die Pop-up-Bike-Lanes an der Max-Brauer- oder der Hallerstraße: „Solche Lösungen sind toll, sie müssten flächendeckend in Hamburg realisiert und verstetigt werden“, sagt Lau. An vielen Hauptverkehrsstraßen fehle es noch an Infrastruktur für Radfahrende, etwa an der Reeperbahn: „Der Straßenraum und die Wege verändern sich im Alltag der meisten Radfahrenden viel zu langsam – Hamburg wird nach wie vor vom Autoverkehr dominiert.“
Wichtig wäre aus Sicht des ADFC auch der flächendeckende Abbau von Kfz-Parkplätzen und die Umwidmung zugunsten von ÖPNV, Rad- und Fußverkehr – zum Beispiel mit eigenen Busspuren und Abstellflächen für Fahrräder an jeder Wohnstraße. „In Hamburg wird keine Statistik über die absolute Anzahl von Parkplätzen geführt, daher kann auch keine abschließende Kalkulation über den eingenommenen Raum durchgeführt werden“, heißt es dazu auf Abendblatt-Anfrage von der Verkehrsbehörde.
Fahrradparkhaus wird kaum genutzt
Aber: Der Hamburger Senat habe beschlossen, die Mobilitätswende voranzubringen – dazu gehöre auch, „den Straßenraum gerecht zu verteilen und zusätzlichen Raum für sichere Abstellplätze von Fahrrädern zu schaffen“. In Eppendorf an der U-Bahn-Haltestelle Kellinghusenstraße ist 2021 auch ein erstes öffentliches Fahrradparkhaus eröffnet worden. In dem zweigeschossigen Gebäude können rund 1000 Räder abgestellt werden. Nur genutzt wird es kaum.
Die weitere Umverteilung der Verkehrsflächen weg vom Auto wäre für den ADFC der „große Wurf“ in Hamburg. Städte wie Paris und Kopenhagen haben für den Club hier Vorbildcharakter: „Sie verteilen die Straßenfläche mutig zugunsten der klimafreundlichen Verkehrsmittel um. Und diesen Platz muss der Verkehrsträger abgeben, der am meisten hat, aber nicht klimafreundlich und ressourcensparend ist – das Auto“, sagt Sprecher Lau.
Veloroutennetz: Zu zwei Dritteln fertig
In Eimsbüttel erlaube die Bezirksversammlung gerade beispielhaft in einer Pilotphase den Anwohnerinnen und Anwohnern, Kfz-Parkplätze in ihrer Straße in Eigenregie umzugestalten und so zu nutzen, wie sie es wollen – beispielsweise zwei Autoparkplätze als Fahrradabstellraum zu nutzen.
„Man kann die Mobilitätswende innerhalb relativ kurzer Zeit umsetzen, wenn man bereit ist, konkrete Hebel wirksam anzusetzen: Zum Beispiel ließen sich belebte Wohnquartiere und Stadtteilzentren etwa in Ottensen, Eimsbüttel oder Billstedt rasch vom Kfz-Durchgangsverkehr befreien, indem zum Beispiel nur noch Anlieger und Liefer- bzw. Handwerkerverkehr dort mit dem Auto fahren dürfen“, so Lau weiter. „Sogenannte Modalfilter sorgen dabei für Verkehrsberuhigung und eine Unterbindung des Kfz-Durchgangsverkehrs. Autoarme Viertel bedeuten ein großes Plus an Lebensqualität für alle Menschen.“
Pop-up-Radwege und "Protected Bike Lane"
„Die Mobilitätswende ist ein Prozess, bei dem viele kleinere und größere Maßnahmen das Gesamtergebnis formen, und in der laufenden Legislaturperiode wurde schon viel erreicht. Das letzte Jahr hat gezeigt, wie groß die Fortschritte für den Radverkehr waren“, sagt Behördensprecher Fricke zu den vom ADFC angesprochenen Punkten. „Das Veloroutennetz, das in Hamburg das Rückgrat für die Alltagswege sein soll, ist inzwischen zu mehr als zwei Dritteln fertiggestellt. Auch hier hat das Tempo 2020 deutlich angezogen.“
Auf qualitativer Ebene seien in den vergangenen zwölf Monaten nicht nur die ersten vier Pop-up-Radwege fertiggestellt worden, sondern auch die erste „Protected Bike Lane“. Diese geschützte Radstrecke an der Hannoverschen Straße in Harburg ist durch eine Erhöhung von der Straße abgetrennt. 550 Meter Länge und 2,60 Meter Breite haben Radfahrer so für sich, Autos können dort nicht parken oder einscheren. Weitere seien geplant, so Fricke. Die Fahrradpegelmessungen in Hamburg zeige einen Anstieg um rund 60 Prozent seit 2015.
Dies werde auch bei der Planung oder Sanierung neuer Radverkehrsanlagen berücksichtigt, ebenso die zu erwartenden Verkehrsmengen in der Zukunft. „Dazu gehört, dass bestehende, ältere Planungen regelmäßig vor ihrer Umsetzung überprüft und gegebenenfalls auf den neuesten Stand gebracht werden, um den neuen Anforderungen Rechnung zu tragen“, so Fricke.