Hamburg. Schon in drei Jahren könnten die ersten selbstfahrenden Autos durch die Parkhäuser rollen. Einen Ausblick gibt der ITS World Congress.
Hamburg 2035: Der Wagen kutschiert seinen Besitzer lautlos und autonom zum Arbeitsplatz. Eine sanfte Stimme informiert ihn während der Fahrt über aktuelle Nachrichten und Börsenkurse. Draußen dominiert das dezente Surren anfahrender E-Fahrzeuge, E-Bikes und E-Scooter. Auch einige Verbrenner sind dabei – doch selbst die bleiben dank des Wasserstoffantriebs nahezu abgasfrei. Sie alle halten die Hamburger Luft so sauber und klar wie auf einer Nordseeinsel.
Stau? Ein Relikt aus den 2020er-Jahren! Stattdessen gewährleisten intelligente Leitsysteme und Ampelschaltungen rund um die Uhr einen flüssigen Verkehr – auch durch den neuen Tunnel, der jetzt die ehemalige Köhlbrandbrücke ersetzt.
E-Autos: Lösen fahrerlose Fahrzeuge Parkplatzprobleme?
Am Arbeitsplatz angekommen, steuert der Insasse (früher Fahrer) zunächst den großen Sammelparkplatz an, steigt in der „Drop-out-Zone“ aus und weist seinem Elektrowagen via Dashboard einen freien Parkplatz in der fünften Etage zu. Geschmeidig kurvt der Stromer zum avisierten Stellplatz – einige Stunden später wartet er wieder am Ausfahrtstor, um dort seinen Besitzer für die Rückfahrt in Empfang zu nehmen.
Science-Fiction? Teils. Der Weg zur emissionsfreien Stadt mit autonom fahrenden Autos und digitalisierter Infrastruktur ist natürlich noch weit. Klar ist aber schon jetzt: Die sauberste Art, sich mit dem Fahrzeug durch die Stadt zu bewegen, ist der Elektroantrieb. Immer mehr Bürgerinnen und Bürger verschmähen deshalb Benziner und Diesel und entscheiden sich für einen Stromer. Allein im Juli 2021 kam fast jeder dritte neu zugelassene Pkw mit reinem Batterieantrieb oder als aufladbarer Hybrid („Plug-in-Hybrid“) auf die Straße.
E-Umstieg: So viel gibt der Staat dazu
Entsprechend stieg auch der E-Anteil am Gesamtfuhrpark der Hamburger auf 2,5 Prozent – das ist der bundesweit höchste Wert. Zwar liegt man damit immer noch deutlich unter dem Niveau von Elektropionier Norwegen, wo mittlerweile 13 Prozent erreicht sind. Doch die Bundesregierung macht den E-Umstieg mit Zuschüssen von bis zu 9000 Euro pro Stromer immer schmackhafter.
Für die etwas weniger sauberen Plug-in-Hybride gibt es immerhin noch bis zu 6750 Euro, wenn emissionsfrei 60 Kilometer drin sind. Auch Kauf und Leasing gebrauchter Stromer werden vom Staat bezuschusst. Und die Hersteller legen noch mal bis zu 3000 Euro Prämie pro Neuwagen obendrauf.
In Hamburg gibt es inzwischen mehr als 1300 E-Ladesäulen
Finanzielle Anreize sind auch in Zukunft notwendig, denn trotz der wachsenden Absatzzahl ist die Mehrheit der Deutschen noch immer elektroskeptisch. Nur 24 Prozent der Bevölkerung können sich vorstellen, ein E-Auto zu kaufen, beim Hybrid sind es 31 Prozent.
Das ergab eine Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach zum Mobilitätsverhalten der Deutschen (Mobilitätsmonitor). Ein Bremsklotz beim Umstieg vom Verbrenner auf ein reines E-Auto ist die Reichweitenfurcht – also die Sorge, mit leerem Akku liegen zu bleiben. Umso wichtiger ist ein dichtes Ladesäulennetz, das sukzessive erweitert wird.
Zwar gibt es in Hamburg mittlerweile mehr als 1300 E-Zapfsäulen, doch die Entwicklung konnte zuletzt nicht ganz mit der gestiegenen Zahl an Elektrofahrzeugen mithalten. Nach letzten Berechnungen des VDA teilten sich im Schnitt 13 Elektroautos eine öffentliche Stromzapfsäule (Stand: April 2021) – im November 2020 waren es noch zwölf. Damit liegt die Hansestadt aber immer noch über dem Bundesschnitt von 17.
Bei 100 Prozent Ökostrom: Bis zu 900 Euro Zuschuss
Mit dem Projekt ELBE („Electrify Buildings for EVs“) fördert die Stadt den Ausbau der Elektrifizierung von Gebäuden für E-Fahrzeuge. Das Ziel: Bis Ende September 2022 sollen durch Zuschüsse bis zu 7400 Ladepunkte an und in Wohn- oder Gewerbeimmobilien sowie auf Firmengeländen entstehen. Dabei übernimmt die Hamburgische Investitions- und Förderbank (IFB) bis zu 60 Prozent der Kosten, die einschließlich Installation bei knapp 3000 Euro je Stromtankstelle liegen können. Bisher wurden 948 Ladepunkte bewilligt.
Private Wohnungseigentümer und Mieter erhalten dagegen von der staatlichen KfW-Bank auf Antrag einen Zuschuss von bis zu 900 Euro pro Ladestation. „Voraussetzung ist, dass die Anlage 100 Prozent Ökostrom liefert“, so KfW-Sprecher Wolfram Schweickhardt. „Den kompletten Förderbetrag gibt es erst, wenn die Anlage installiert wurde.“
E-Tankstellen in Allermöhe und Rothenburgsort
Die Nachfrage nach den Bundeszuschüssen für die eigene Wallbox ist groß. „Allein in Hamburg wurden im ersten Halbjahr 2021 knapp 3200 Anträge gestellt.“ Wer keine private Stromzapfsäule hat, kann sein E-Auto inzwischen auch an der Tankstelle aufladen: So betreibt Aral Ultraschnellladesäulen an zwei Stationen in Allermöhe und in Rothenburgsort.
In diesem Jahr sind weitere Standorte geplant. Die Stromterminals mit 300 oder 350 kW sollen ein Fahrzeug mit 350 Kilometern Reichweite in nur zehn Minuten vollständig aufladen können. Zumindest theoretisch. Aktuell schafft der schnellste Auflader, der Hyundai Ioniq 5, maximal rund 235 kW.
Effizient: Laternen werden zu E-Zapfsäulen
Konkurrent Shell hat bereits an 16 seiner Hamburger 50 Tankstellen E-Zapfsäulen aufgestellt. Shell plant außerdem, Straßenlaternen im großen Stil in Ladesäulen umzuwandeln: „Die Umrüstung einer Laterne ist drei- bis viermal günstiger als die Errichtung einer neuen Ladesäule, weil der Stromanschluss ja schon da ist“, so Shell-Deutschland-Chef Fabian Ziegler. Wann die ersten E-Laternen betriebsbereit sind, steht allerdings noch in den Sternen. In Berlin scheiterte ein ähnliches Projekt 2020 an den strengen technischen Bundesnormen für stationäre Netzanschlüsse.
Zügig voran geht es derweil beim Ausbau der Tesla-Ladestationen. Erst im Juni 2021 wurde der 1000. Superchargerpunkt in Betrieb genommen. Künftig soll Hamburg zwei Standorte im Stadtgebiet erhalten (einer davon nahe der A 7). Aktuell können dort allerdings noch keine markenfremden E-Autos tanken.
iVision Circular: Erstes E-Auto aus recycelten Rohstoffen
Der Weltmarktführer bei batteriebetriebenen Autos ist hierzulande übrigens nur die Nummer 2 – mit großem Abstand zum Spitzenreiter Volkswagen und seinen Bestsellern VW E Up und VW ID.3. Letzterer ist allerdings wegen branchenweiter Versorgungsengpässe bei Computerchips derzeit nur eingeschränkt lieferbar.
Bis 2030 wollen die Wolfsburger die Hälfte ihres gesamten Modellangebots auf Stromantrieb umrüsten – schließlich gilt es, die gesetzlich vorgegebenen CO2-Ziele einzuhalten. Auch im Hause BMW soll der E-Anteil bis zur nächsten Jahrzehntwende auf 50 Prozent wachsen. Und er soll nachhaltiger werden.
So präsentierte der Münchner Premiumhersteller bei seinem diesjährigen „Heimspiel“ auf der IAA Mobility mit dem iVision Circular das erste E-Auto aus vollständig recycelten Rohstoffen. Die ehemalige automobile Megamesse hat nach ihrem Wechsel in die bayerische Landeshauptstadt (auch Hamburg hatte sich beworben) deutlich abgespeckt.
Im Oktober: 27. ITS Weltkongress in Hamburg
Statt wie früher hubraumstarke Diesel und Verbrenner gab es in diesem Jahr die neuesten E-Konzepte zu bestaunen, darunter Kleinstmodelle wie den zweitürigen Microlino im Isetta-Stil, Renaults R5-Remakestudie sowie den kompakten VW ID 2. Der E-up-Nachfolger soll von 2025 an verkauft werden (Preis: ab 20.000 Euro). Auch schnittige IAA-Hingucker wie der Audi Sport Quattro-Lookalike („Elegend EL1“) oder das Luxus-SUV „EQS“ von Maybach könnten künftig über deutsche Straßen cruisen.
Im Oktober wird dann auch Hamburg zum Schaufenster für innovative E-Mobilität. Unter dem Motto „Experience Future Mobility now“ findet in der Hansestadt der 27. ITS Weltkongress statt. Das weltweit größte Leitevent für innovative Mobilitäts,- Logistik- und IT-Lösungen ist in den Messehallen und auf ausgewiesenen Test- und Demonstrationsflächen erlebbar. Das Programm umfasst insgesamt 42 spannende Ankerprojekte „made in“ und „made for“ Hamburg.
Endlich kein Parkplatzproblem mehr
Dazu gehören natürlich auch Konzepte, die das lästige Parkplatzproblem in den Griff bekommen sollen, etwa „SmaLa“, ein virtuelles Buchungssystem für Lieferzonen. Per App können Paketdienstfahrer separat ausgewiesene Parkflächen buchen – und müssen künftig nicht mehr in der zweiten Reihe parken. Auch im intelligenten Parkhaus der Zukunft geht nichts ohne App – aber alles ohne Fahrer.
Das demonstrieren die Macher des öffentlichen Förderprojekts SynCoPark. Sie erproben im Parkhaus der Elbphilharmonie automatisierte Parkvorgänge. Elbphilharmonie-Besucher werden dann im Tiefparterre Zeugen mobiler Zukunftsmusik, wenn sie beim Einparken ferngesteuerte und selbstfahrende Autos vor sich herumrangieren sehen, denn die Tests finden im regulären Parkbetrieb statt.
Rundkurs von Planten un Blomen zur Elbphilharmonie
„Es ist die weltweit erste Demonstration dieser Art mit Skalierbarkeit der Intelligenzverteilung zwischen Fahrzeug und Parkhaus“, sagt Marcel Kascha, Projektleiter und Experte für Fahrerassistenzsysteme und automatisiertes Fahren am Niedersächsischen Forschungszentrum Fahrzeugtechnik (NFF) der TU Braunschweig.
- Was bringen Moia & Co. für die Mobilitätswende?
- Hyperloop und Smartbridge: Vollautomatisiert in die Zukunft
- Wie sieht unsere mobile Zukunft aus? Weltkongress in Hamburg
Zum Einsatz kommen übrigens moderne Serienfahrzeuge, die meist nur leicht modifiziert werden mussten. „Die neuesten Modelle wie etwa ein VW Golf 8 oder eine Mercedes E-Klasse verfügen bereits über die notwendigen Hardwarekomponenten und Kommunikationsschnittstellen fürs fahrerlose Fahren im Parkhaus“, sagt Kascha. „Die können wir schon problemlos zu einem freien Parkplatz lotsen.“
Autos ohne Fahrer: „Bis zu 50 Prozent mehr Stellfläche“
Das sogenannte Automated Valet Parking ist nicht nur sicherer. Es ermöglicht künftig auch eine effizientere Parkraumnutzung. „Ohne Fahrer können die Autos dichter geparkt und neuartig angeordnet werden. Das schafft bis zu 50 Prozent mehr Stellfläche.“ Getestet wird übrigens auch draußen. An den Landungsbrücken demonstrieren Kascha und seine TU-Kollegen automatisierte Einparkvorgänge in die Parkbuchten unterhalb der U 3.
Nicht fehlen bei den ITS-Highlights dürfen die aktuellen Teststrecken im Hamburger Straßenverkehr, etwa der neun Kilometer lange Rundkurs von der Elbphilharmonie bis Planten un Blomen. Hier hat die Stadt eine erste Miniinfrastruktur fürs Erproben von automatisiertem und vernetztem Fahren im öffentlichen Straßenverkehrsraum erschaffen. Mehr als 50 Ampeln und eine Klappbrücke tauschen dabei Daten mit vorbeifahrenden vernetzten Fahrzeugen aus – „I2V“ (Infrastruktur-zu-Fahrzeug-Kommunikation) und „V2I“ (Fahrzeug-zu-Infrastruktur-Kommunikation) nennt sich das.
HEAT ist Hamburgs erster selbstfahrender Kleinbus
Federführend ist die Behörde für Verkehr und Mobilitätswende (BVM). „Ziel ist es, negative Auswirkungen des Verkehrs zu verringern“, so Henning Schubärth, Leiter Intelligente Verkehrs- und Transportsysteme bei der BVM. „Konkret heißt das: Verkehrssicherheit steigern, verkehrsbedingte Umwelteinwirkungen senken, Verlässlichkeit und Effizienz erhöhen, gute und sichere Informationserhebung und -verteilung unterstützen und Innovation fördern.“
Ein weltweit einmaliges Projekt ist zudem „HEAT“ (Hamburg Electric Autonomous Transportation), Hamburgs erster autonom fahrender Kleinbus. Ausgestattet mit Kameras, Radar- und Lasermessung, Straßensensoren und Kartendaten navigiert der batteriebetriebene siebensitzige Bus der Hochbahn mit bis zu 25 Kilometern pro Stunde über einen 1,9 Kilometer Rundkurs in der HafenCity.
Bislang ist immer eine Begleitperson mit im Cockpit, später werden die Busse ohne Besatzung auskommen. „Noch ist das Ganze ein Forschungs- und Entwicklungsprojekt für die Zukunft“, sagt Hochbahn-Chef Henrik Falk. Er kann sich aber durchaus vorstellen, dass autonome Busse noch in diesem Jahrzehnt „im Fünfminutentakt im Hamburger Stadtgebiet unterwegs sind.“
Selbstparkende Autos schon in drei Jahren möglich
Bis die Hamburger ihre Pkw autonom durch die Stadt kutschieren, wird es wohl noch etwas dauern. Immerhin aber hat Deutschland 2021 – als erstes Land der Welt – ein Regelwerk für autonomes Fahren in Level 4 verabschiedet. Damit sind zumindest die gesetzlichen Rahmenbedingungen für autonom befahrbare Streckenabschnitte geschaffen.
Kfz-Mobilitätsexperte Kascha ist jedenfalls zuversichtlich. „Die ersten komplett selbstfahrenden Privatfahrzeuge könnten dann schon in den nächsten drei Jahren durchs Parkhaus rollen.“