Hamburg. Inkontinenz nach Geburt eines Babys ist ein Tabu. Dabei macht ein schwacher Beckenboden vielen Frauen zu schaffen. Was eine Ärztin rät.

„Gerade junge Frauen trainieren ja eher für ihre Bikini-Figur, aber nach der Geburt des ersten Babys merken viele dann: Mensch, der Beckenboden hätte auch mal gestärkt werden sollen“, sagt Tina Cadenbach-Blome. Die Leitende Oberärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe an der Asklepios Klinik Altona ist in der neuen Podcast-Folge der „Digitalen Sprechstunde“ zu Gast, die unter anderem auf abendblatt.de kostenfrei anzuhören ist.

Jede dritte Frau hat Probleme mit ihrem Beckenboden

„Der Klassiker ist, dass eine Frau so zwei Jahre nach der Geburt, wenn sie also wieder etwas mehr Zeit für sich hat, das Joggen wieder aufnimmt und plötzlich entsetzt feststellt, dass sie dabei tröpfchenweise Urin verliert“, sagt die erfahrene Ärztin und zweifache Mutter. Sie selbst habe vor 14 Jahren, nach der Geburt der Tochter, auch diese „Belastungsinkontinenz“, die oft beim Lachen, Husten oder Hüpfen auftritt, erlebt. „Danach habe ich begonnen, mich intensiv mit der Uro-Gynäkologie zu beschäftigen und gesehen, wie viele Frauen von einer Senkung des Beckenbodens oder einer Inkontinenz betroffen sind.“

Es gilt teils immer noch als Tabu, aber tatsächlich hat jede dritte Frau im Laufe ihres Lebens irgendwann einmal Probleme mit ihrem Beckenboden. Das sei auch kein Wunder, denn der Beckenboden, der als Muskelplatte „wie eine Hängematte“ den knöchernen Beckenring nach unten hin verschließt, müsse einiges aushalten: „Bei einer 80-jährigen Frau hat er im Schnitt zwei spontane Geburten, 4200 Mal Sex und Hunderttausende Ausscheidungen durchgemacht.“

Yoga und Pilates sind gutes Training für den Beckenboden

Grundsätzlich seien die Frauen, die heute zwischen 20 und 40 Jahre alt sind, deutlich besser auf diese Belastungen vorbereitet als die Generationen ihrer Mütter und Großmütter. „Sportarten wie Yoga und Pilates sind angesagt und dabei trainieren die Frauen wunderbar den Beckenboden, ohne sich bewusst dafür entschieden zu haben“, sagt die Leitende Ärztin, die sich selbst mit Rennradfahren („Radfahren ist auch gut für den Beckenboden“) fit hält.

Ist denn nun eine vaginale Geburt das größte Risiko für einen geschwächten Beckenboden? „Nein, die Natur hat es eigentlich so eingerichtet, dass wir das ganz gut überstehen können“, sagt die im Ruhrgebiet aufgewachsene Medizinerin. „Die Geburt ist nur ein Faktor, zu dem weitere dazukommen: So tragen wir das Baby in unserem Bauch aus, aber wir tragen es ja auch nach der Geburt. Und die Geschwisterkinder schleppen wir dann auch noch und die Einkäufe sowieso - es ist also eher so, dass körperliche Belastung eine Rolle spielt, zumal die meisten Frauen von Natur aus nicht das festeste Bindegewebe haben.“

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Gezieltes Training hilft bei leichter Stress-Inkontinenz

Ab dem zweiten Tag nach einer spontanen Geburt (und etwa eine Woche nach einem Kaiserschnitt) empfiehlt die Medizinerin leichte Übungen zur Rückbildung, gern zu Hause im Bett oder auf dem Sofa. „Bei YouTube gibt es wunderbare Videos dazu.“ Natürlich helfe auch ein Rückbildungskursus. „Da gibt es zweifelsohne gerade hier in Hamburg ein sehr gutes Angebot, aber es gibt auch Kurse, gern mit Babys, bei denen dann manchmal doch der durchaus wichtige Austausch mit anderen Müttern mehr im Fokus steht als die Übungen selbst.“

Aber was hilft bei schwachem Beckenboden? „Es kommt ganz auf die Patientin an“, sagt die erfahrene Ärztin, die in Altona Norddeutschlands größtes Zentrum für Uro-Gynäkologie leitet. „Unser Ziel ist es, jeder Patientin die für sie optimale Therapie anzubieten.“ Leide eine Frau unter einer leichten Stress-Inkontinenz, dann sei das mit gezieltem Training gut in den Griff zu bekommen. „Manchmal helfen auch Pessare sehr gut, das sind Silikonformen, die das Scheidengewölbe gut stützen. Dann führt die Betroffene zum Sport so einen Würfel ein und alles ist gut.“

Die Gebärmutter werde heute in der Regel nicht entfernt

Ist ein Eingriff ratsam, so gebe es verschiedene Optionen. „Früher hieß es: Gebärmutter raus und Scheide raffen“, sagt die Ärztin, die mit einem Kriminalhauptkommissar verheiratet ist. „Das hat sich glücklicherweise längst verändert, die gesunde Gebärmutter wollen wir in der Regel erhalten.“ Bei einem vaginalen Eingriff werde das eigene Gewebe gestrafft: „Wir machen also im Prinzip einen Abnäher ins Bindegewebe“, sagt die Medizinerin, die mit ihrem Team in Altona jedes Jahr 300 bis 500 Eingriffe durchführt.

Auch die Verwendung von stützendem Fremdmaterial sei für manche Frauen sinnvoll. Bei jüngeren Frauen, bei denen man die Scheide keinesfalls vernarben wolle, setze man heutzutage auf minimal-invasive Eingriffe. „Grundsätzlich gilt aber: Eine Operation am Beckenboden ist eine Operation - also eine Schonung danach unabdingbar“, sagt Tina Cadenbach-Blome, die Comics mag und den VfL Bochum.

„Unser Ziel ist es, dass die Frauen ihren Beckenboden im Alltag wieder ganz vergessen. So wie wir ja auch nicht ständig über unser rechtes Bein oder unseren linken Arm nachdenken“, sagt die engagierte Ärztin, für die die Uro-Gynäkologie „der spannendste Fachbereich der Medizin“ ist.