Hamburg. Warum Schonung oft falsch und in den seltensten Fällen eine Operation nötig ist, erklärt Chefarzt. Dr. Oliver Bachmann.
„Ich habe Rücken“ – ein Schmerz, den nicht nur Hape Kerkelings Kunstfigur Horst Schlämmer kennt. „Es ist ein Volksleiden: 90 Prozent der Menschen haben irgendwann in ihrem Leben heftige Rückenschmerzen, und 60 Prozent davon leiden im Folgejahr erneut“, sagt Dr. Oliver Bachmann.
Der Chefarzt des Rückenzentrums an der Asklepios Klinik St. Georg räumt in einer neuen Podcast-Folge der „Digitalen Sprechstunde“ auch mit einigen Mythen auf. „Häufig haben sich die Patienten, wenn sie zur mir kommen, schon mal eine Erklärung für ihr Leiden zurechtgelegt. Oft sagen sie, sie hätten sich den Rücken kaputtgearbeitet oder zu viel krumm am Schreibtisch gesessen. Beides ist meist aber eben nicht die Ursache“, sagt der Facharzt für Chirurgie und Unfallchirurgie.
Am Schreibtisch häufig die Sitzhaltung verändern
Denn unser Rücken sei sogar für Belastung gemacht, Aktivität wichtig. Und Schonung deshalb auch meist nicht die richtige Therapie. „Es heißt nicht umsonst: Ein ruhender Rücken braucht Krücken“, sagt der gebürtige Essener. Der Körper passe sich der Belastung an.
Im Klartext: Wer nur noch auf der Couch sitzt, ist irgendwann auch nicht mehr belastbar. Natürlich sei es bei akutem Schmerz völlig in Ordnung, sich mit einem Wärmepflaster auf dem Rücken aufs Sofa zu legen. Aber eine Vielzahl der Patienten leide eben unter immer wiederkehrenden oder chronischen Rückenschmerzen. „Davon sprechen wir, wenn der Schmerz seit mindestens drei Monaten anhält.“ Was hilft präventiv? „Abwechslung. Zum Beispiel sage ich gern: Die beste Sitzhaltung ist immer die nächste“, sagt der verheiratete Vater von zwei Kindern. Das habe noch einen weiteren positiven Effekt: „Wer länger als 30 Minuten sitzt, stoppt die Fettverbrennung. Man nimmt also zu, auch wenn man nicht vermehrt isst.“
Grundsätzlich würden sein Team und er im Rückenzentrum zunächst zwischen „Rücken“ und „Schmerz“ unterscheiden. „Denn der Begriff Rückenschmerzen besteht ja aus zwei Wörtern. Die Frage ist: Hat der Patient tatsächlich einen organischen Schaden, der vielleicht operiert werden sollte, oder handelt es sich um eine Schmerzerkrankung, wie sie leider häufig vorkommt und noch häufiger lange unerkannt bleibt?“, sagt der Mediziner, der an der Universität Hamburg studiert hat. „Der Patient denkt nachvollziehbarerweise oft: Da tut etwas weh, also ist es kaputt. Stimmt aber in den meisten Fällen nicht, denn bei 90 Prozent der Rückenpatienten liegt keine körperliche Ursache vor“, sagt der Chefarzt.
Jeder über 40 hat irgendwas mit der Bandscheibe, aber ...
Doch die Patienten bilden sich den Schmerz ja nicht ein – was ist also der Grund? „Die Ursachen sind vielfältig, und deshalb nehmen wir uns für die Diagnostik auch rund vier Stunden Zeit.“ Der Patient wird gründlich untersucht, es werden zuvor gefertigte Röntgen- und MRT-Bilder besprochen und neu bewertet. Diese allein seien aber auch noch nicht aussagekräftig.
„Es gibt MRT-Bilder, die desaströs aussehen, aber der betreffende Patient hat gar keine Schmerzen. Dazu muss man wissen, dass im Alter alle Bildbefunde schlimmer werden, und jeder, der älter als 40 Jahre alt ist, irgendwas mit der Bandscheibe hat. Das ist dann aber noch lange kein Vorfall und heißt auch nicht, dass wir mit 70 alle im Gipsbett liegen müssen“, sagt der Rückenspezialist, der sein Praktisches Jahr unter anderem in Südafrika und London verbracht hat.
Vieles kann mit Physiotherapie effektiv behandelt werden
Tatsächlich werde eben nur bei zehn Prozent der Patienten ein organischer Schaden festgestellt. Und auch 90 Prozent davon müssten nicht operiert werden, sondern könnten beispielsweise mit Physiotherapie effektiv behandelt werden. „Ich weiß“, sagt der Chefarzt, „die OP-Zahlen in Deutschland, gerade beim Rücken, vermitteln ein anderes Bild.“ Oft werde eben leider doch zu schnell eingegriffen. „Hängt auch manchmal mit den Patienten zusammen, die sich denken: Wenn erst mal alles verschraubt ist, geht es mir wieder blendend.“
Im Rückenzentrum St. Georg, wo man auf eine multimodale Therapie setzt, schauen eben nicht nur Fachärzte, sondern auch Physiotherapeuten und Psychologen auf den Patienten. Letztere stellen dann die Frage, warum der Schmerz den Patienten im Griff habe, und nicht andersherum. „Da spielen dann Faktoren wie Stress im Job oder Konflikte im Privaten mitunter eine Rolle“, sagt Dr. Bachmann.
In einer Tagesklinik, in der sich die Patienten fünf bis sechs Stunden täglich aufhalten, lernen sie, mit den Schmerzen umzugehen und sich auch wieder etwas zuzutrauen. „Deshalb ist es gut, dass sie abends zurückkehren in ihren Alltag und dort eben das Erlernte auch schon umsetzen können“, sagt der Mediziner, der selbst übrigens auch manchmal „Rücken hat“. „Das ist nicht schlimm, sondern heißt dann, dass ich mal wieder etwas mehr Sport machen muss“, sagt der begeisterte Hochseesegler.