Hamburg. Zwischen Hauptbahnhof, Hansaplatz und der Drogenhilfe „Drob Inn“ ist die Zahl der Taten signifikant gestiegen.
Nach einer deutlichen Zunahme der Gewaltdelikte um rund 20 Prozent im Bahnhofsviertel hat die Polizei ihre Präsenz deutlich erhöht. Schwerpunkt war der Bereich um die Drogenhilfeeinrichtung Drob Inn, der Steintorplatz und der Steindamm. Auffallend viele Täter, aber auch die Opfer stammten aus dem Drogen- und Obdachlosenmilieu.
Bereits im Juni war die Zahl der Taten aus dem Bereich der Gewaltkriminalität auffällig. Im Juli stiegen sie von 164 im vergangenen Jahr und 167 in 2019 auf 198 in diesem Jahr an. „Der zeitliche Schwerpunkt der Taten waren die späten Nacht- und die frühen Morgenstunden“, so Polizeisprecherin Sandra Levgrün. In der letzten Woche im Juli kam es zudem zu drei Körperverletzungen, bei denen Messer eingesetzt wurden. „Eine Tat wird als versuchter Totschlag gewertet“, so Levgrün.
Der Fall hatte sich am letzten Sonntag im Juli in den frühen Morgenstunden zugetragen. Ein 26-Jähriger war von Passanten schwer verletzt am Zentralen Omnibusbahnhof (ZOB) im Eingangsbereich eines Cafés entdeckt worden. Er hatte einen Bauchstich erlitten. Im Krankenhaus St. Georg retteten Ärzte durch eine Notoperation sein Leben. Die Mordkommission hatte den Fall übernommen. Die Ermittlungen laufen.
Polizei Hamburg: Deutlich mehr Gewalttaten in St. Georg
Auch die Zahl der Raubtaten stieg im Juli – verglichen mit dem gleichen Zeitraum des Vorjahres – von 32 auf 37 Taten. Das entspricht einer Steigerung von etwa 15,6 Prozent.
Die Polizei erließ einen sogenannten „Auftragsbefehl“, um der Entwicklung im Bahnhofsviertel entgegenzusteuern. „Es gab eine Erhöhung der Präsenz auch durch die Bereitschaftspolizei“, so Levgrün. Außerdem wurde die Dienstgruppe Operative Aufgaben (DGOA) eingebunden. Die Bereitschaftspolizei ist für den Hauptbahnhof zuständig. Auch hier hatte es zuletzt eine Aufstockung des Personals gegeben (wir berichteten).
Mittlerweile hat sich die Gesamtlage in St. Georg wieder einigermaßen beruhigt. Polizeiintern macht man neben der verstärkten Präsenz auch das miese August-Wetter mit dafür verantwortlich, dass die Zahl der Taten nicht auf dem hohen Niveau der Vorwochen geblieben ist. Im Juli hatten sommerliche Temperaturen das nächtliche Treiben begünstigt.
Am Hamburger Hauptbahnhof steigen Gewaltdelikte
Noch hat die Polizei keine Erklärung für den signifikanten Anstieg der Gewalt- und Raubtaten. Ein Mitarbeiter einer Hilfseinrichtung für Drogenabhängige sagt, es gäbe derzeit einen erheblichen Beschaffungsdruck in der Szene. „Drogenkranke brauchen Geld, um ihre Sucht zu finanzieren“, sagt er. Eine Rolle spielten dabei Diebstähle. Durch Corona sei aber die Zahl der Tatgelegenheiten deutlich eingeschränkt worden. Selbst jetzt ist der Publikumsverkehr in Geschäften durch Zugangsbeschränkungen noch „übersichtlich“. In der Regel muss man sich als Kunde beim Betreten eines Ladens zudem registrieren.
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Die Szene ist dagegen auch in der Corona-Zeit in vollem Umfang präsent geblieben. Das Drob Inn war gleich zu Beginn der Pandemie ausdrücklich von Corona-Beschränkungen ausgenommen worden. Regeln wie Abstand, Maskenpflicht oder Ähnliches gelten dort nicht. Man hatte eine auch nur ansatzweise verhältnismäßige Durchsetzung der Maßnahmen für nicht realistisch angesehen.
Wie problematisch ein Teil der im Bahnhofsviertel aufhältigen Klientel ist, zeigen auch Erkenntnisse der Bundespolizei, für die der Hamburger Hauptbahnhof der am stärksten durch Gewaltdelikte belastete Bahnhof in Deutschland ist. Obwohl die Zahl der Reisenden in der Corona-Zeit deutlich zurückging, blieb die Zahl der Gewalttaten nahezu gleich mit denen der Vor-Corona-Zeit. Die Erkenntnis: Gewaltdelikte werden innerhalb der Szene begangen, aus der in vielen Fällen sowohl Täter als auch Opfer stammen. Dabei sind es in der Regel Taten, bei denen es oft um kleine Beträge geht. Am Steindamm überfielen Mitte Juli vier Männer einen 24-Jährigen, der an einer Fußgängerampel wartete, und forderten ihn mit den Worten „Gib her den Scheiß“ zur Herausgabe von Geld auf.
Immer wieder werden Straftaten mit erheblicher Verspätung angezeigt
Um ihrer Forderung Nachdruck zu verleihen, zeigte einer der Räuber eine Pistole, die in seinem Hosenbund steckte. Ein 20-Jähriger schlug am ZOB auf einen 21 Jahre alten Mann ein und raubte dessen Handy, das er dann aber auf der Flucht verlor. Zeugen brachten das Telefon zurück. Der Täter lauerte wenig später dem 21-Jährigen auf, forderte Zigaretten und schlug ihn nieder. Auch die beiden Zeugen, die noch in der Nähe waren, wurden von dem 20-Jährigen angegriffen. Am Carl-Legien-Platz raubte ein 32-Jähriger einem 22 Jahre alten Mann unter Vorhalt eines Messers zunächst den E-Roller und dann 6 Euro und 20 Cent.
Das Opfer erlitt eine leichte Stichverletzung am Arm. Wie hoch die Dunkelziffer bei den Gewalttaten innerhalb der Szene ist, ist unklar. Immer wieder werden Straftaten mit erheblicher Verspätung angezeigt. So erschien ein Raubopfer erst bei der Polizei, nachdem sein Sozialarbeiter ihm dazu geraten hatte. Das Opfer selbst hatte zuvor in einer Anzeigenerstattung keinen Sinn gesehen.