Hamburg. Nach der gescheiterten Olympia-Bewerbung bot die Hafenwirtschaft den Rückzug aus dem Osten an – als Tauschgeschäft, so  Gunther Bonz.

Die Diskussion ist eröffnet: Vor Kurzem forderte der Stadtforscher Dieter Läpple einen neuen Umgang der Stadt mit ihren Hafenflächen: „Wir können im Norden nicht immer weiter in Landschaftsschutzgebiete hineinbauen und Menschen ihre Kleingärten wegnehmen, wenn gleichzeitig im östlichen Hafen riesige Flächen brachliegen“, sagte er im Abendblatt-Podcast. Er möchte den ganzen Grasbrook sowie die Areale östlich vom Alten Elbtunnel wie vom Köhlbrand nach und nach der Stadtentwicklung zur Verfügung stellen: „Die Zukunft des Hafens, soweit es nicht der Containerumschlag ist, liegt in einer Verknüpfung mit der Stadt.“

Gunther Bonz reagiert auf diese Forderungen im Podcast „Was wird aus Hamburg“ – der engagierte wie streitlustige Kämpfer für den Hafen kann der Forderung durchaus etwas abgewinnen: Der Präsident des Unternehmensverbandes Hafen Hamburg erzählt, die Hafenwirtschaft habe der Stadt vor Jahren einen ähnlichen Deal angeboten – im Tausch mit Moorburg, das seit 1982 Teil des Hafenerweiterungsgebiets ist. Der damalige Bürgermeister Olaf Scholz aber habe abgelehnt.

„Hamburg kann nicht nur vom Wohnungsbau leben"

Die Diskussion um die Flächen begleitet die Stadt seit Jahrzehnten. Heute zählen 42,5 Quadratkilometer Land- und 30 Quadratkilometer Wasserfläche zum Hafen, knapp zehn Prozent der Gesamtfläche der Stadt. Bonz schränkt ein: „Diese Fläche ist nicht nur Hafen, sondern das größte zusammenhängende Gewerbe- und Industriegebiet Deutschlands. Und die Fläche mit dem größten Beschäftigungseffekt bundesweit noch vor dem Flughafen Frankfurt – im Hafen arbeiten rund 50.000 Menschen.“

Die grundsätzliche Kritik von Läpple teilt er nicht: „Hier ist er zu kurz und deshalb falsch gesprungen. Wir haben durch den Wohnungsbau in der Stadt schon viele Gewerbe- und Industrieflächen verloren. Hamburg kann nicht nur vom Wohnungsbau leben, sondern benötigt gerade Industriearbeitsplätze.“ Eine Stadt mit begrenzter Fläche brauche Areale, auf denen sich Gewerbe und Industrie ohne Konflikte mit der Nachbarschaft entwickeln können.

Corona zeigte Relevanz der industriellen Basis

„Wer die Verkleinerung des Hafens fordert, fordert die Verkürzung unseres industriellen Standbeins.“ Dabei hätten das Platzen der Internetblase 2001, die Finanzkrise 2008 und nun die Corona-Krise gezeigt, wie wichtig die industrielle Basis sei. „Deutschland ist wegen seiner Industrie besser durch diese Krisen gekommen als die europäischen Nachbarn.“

Aber müssen deshalb im Herzen der Stadt Bananen reifen oder alte Autos auf ihre Verschiffung warten? „Auch wenn gerne die Bananen als Beispiel herhalten müssen – das ist eine Hochtechnologie“, sagt Bonz. „Hamburg ist Nordeuropas Verteilzentrum für Südfrüchte. Die werden hier eingelagert, verpackt und weiter verteilt Richtung Stockholm, Helsinki, Kopenhagen. Das ist eine logistische Meisterleistung.“

„Der Hafen nimmt, der Hafen gibt“

Wegen der Lage und des besonderen Know-How werde in Hamburg investiert, gerade erweitere Edeka sein Zentrum. „Wer das abschätzig als Bananenstandort abtut, den lade ich ein, sich das genauer anzuschauen.“ Bonz steht zu dem legendären Satz des früheren HHLA-Chefs Peter Dietrich, der 1992 sagte: „Der Hafen nimmt, der Hafen gibt.“

Den Worten folgten damals Taten: Das Containerterminal Altenwerder wurde auf den Weg gebracht – und klammheimlich die HafenCity vorbereitet. Zu dieser Zeit arbeitete Bonz in der Wirtschaftsbehörde, war Teil eines kleinen Stabes. „Ich war früh als Referatsleiter Freihafen in diese vertraulichen Planungen eingebunden“, erzählt der 65-Jährige, der 20 Jahre in der Wirtschaftsbehörde beschäftigt war. Damals ging es darum, die Flächen im Freihafen für die Stadt zu sichern. „Die Schiffsgrößenentwicklung und der EU-Binnenmarkt hatte die Areale rund um die Speicherstadt zunehmend uninteressanter gemacht. Wir wollten der Bodenspekulationen von vorneherein der Riegel vorschieben.“

HafenCity entwickelte sich gut

Als die Flächen gesichert waren, hielt Henning Voscherau im Mai 1997 seine legendäre Überseeclub-Rede. Damals sagte der SPD-Bürgermeister: „Es geht darum, mit einer Großtat unserer Stadt und unserer Wirtschaft neue, hochwertige Entwicklungsräume zu öffnen, in bewusster Abkehr von den in mehr als hundert Jahren gewachsenen Strukturen. Entscheiden wir uns nach vier Generationen für die Rückkehr der Stadt an die Elbe!“

Die HafenCity erblickte das Licht der Welt. Heute ist dort ein funktionierender Stadtteil gewachsen. „Es war richtig, diese Flächen der Stadt zurückzugeben und im Gegenzug neue Hafenflächen in Altenwerder zu entwickeln.“ Sonst, meint Bonz, wären Stadt und Hafen im internationalen Wettbewerb zurückgefallen. „Über 800 Jahre hat sich Hamburg stets den Entwicklungen angepasst und davon profitiert.“

Bonz spricht sich für Wasserstoffstandort aus

Solche Möglichkeiten gebe es heute wieder, ist sich Bonz sicher und stellt dieselbe Frage wie vor 30 Jahren: Wo kann die Stadt wachsen? Wohin entwickeln sich die Schiffsgrößen? Und welche Herausforderungen stellen Klimawandel und neue Energien? „Wenn wir unsere Industrie nicht verlieren wollen, müssen wir hier vor Ort alternative Energien wie Wasserstoff bereitstellen.“ Bonz empfiehlt, auf der rund 50 Hektar großen Elbinsel Hohe Schaar, auf der bislang Shell ansässig war, einen Wasserstoffstandort zu entwickeln. „Leider hinken wir da unseren Wettbewerbern im In- und Ausland hinterher, auch weil es offenbar einen Dissens zwischen SPD und Grünen gibt.“

Die Elbinsel ist nur Teil einer neuen Stadtarchitektur: „Die Hafenwirtschaft war grundsätzlich bereit, den östlichen Teil des Hafens für Olympia zur Verfügung zu stellen“, sagt Bonz. Damals galt die Maßgabe, betroffene Betriebe in andere Teile des Hafens zu verlagern. Olympia hätte dazu beigetragen, die Stadt neu zu strukturieren. So hoffte der Senat, dass der Bund die Kosten trägt – der aber zeigte sich zugeknöpft.

Moorburg hätte Hafengebiet werden können

Auch an der unklaren Finanzierung seien die Pläne gescheitert, ist sich Bonz sicher. „Ich habe mich als Hamburger über das Nein zu Olympia geärgert und als Hafenmanager auch. Wir haben aus Kleinkrämerei eine historische Chance verpasst.“ Der Osten wäre Teil der Stadtentwicklung geworden, im Westen hätte sich der Hafen in die Zukunft entwickeln können. „Das wäre teuer gewesen, aber hätte sich über die Jahrzehnte gelohnt.“

Nach der gescheiterten Olympiabewerbung 2015 kam die Stadt auf die Hafenwirtschaft zu, um einen Teilbereich zu entwickeln, den Kleinen Grasbrook. „Wir hatten damals neben dem Überseezentrum noch weitere Flächen angeboten, aber unter der Bedingung, dass dann im Tausch Moorburg zum Hafengebiet erklärt wird. Im Hafenerweiterungsplan ist Moorburg seit Jahrzehnten.“ Das wäre ein Projekt Altenwerder 2.0 – dort begann die Stadt in den Sechzigerjahren, Grundstücke aufzukaufen, später enteignete sie die Bewohner gegen Entschädigung, 1988 verließen die letzten Bewohner Altenwerder.

Teil des Grasbrook als Kompromiss

2003 ging dort das Containerterminal in Betrieb. Ähnliches schwebt Bonz für Moorburg vor: Ein Argument für die Umwidmung des Elbdorfes ist die bessere Erreichbarkeit für Schiffe der neuen Generation, die nicht mehr den alten Elbtunnel passieren können.

Fünf Fragen

Meine Lieblingsstadt ist meine Geburts- und Heimatstadt Hamburg. Welche sollte es auch anders sein? Sie ist mit Abstand die schönste Stadt in Deutschland.

Mein Lieblingsort sind die Landungsbrücken. Genauer gesagt, die Terrasse des Hafenclubs: Dort kann man ein Glas Wein trinken und die Schifffahrt genießen.

Mein Lieblingsstadtteil ist Marienthal – klein, beschaulich, grün und zentral gelegen.

Mein Lieblingsgebäude ist der Michel – eine solche protestantische Kirche gibt es auf der Welt kein zweites Mal.

Einmal mit der Abrissbirne würde ich den Turm des KPMG-Gebäudes an der Ludwig-Erhard-Straße entfernen. Er schränkt den Blick auf den Michel in unverantwortlicher Weise ein. Wir hatten damals in der Wirtschaftsbehörde eine heftige Auseinandersetzung mit dem damaligen Oberbaudirektor Egbert Kossak. Leider wollte er auf jedes Gebäude ein Türmchen setzen. Manchmal war das schön – aber in diesem Fall wurde das Jahrhundertbauwerk Michel verstellt.

Diese tollkühnen Ideen der Hafenwirtschaft stießen im Rathaus auf taube Ohren. „Der Bürgermeister sagte sinngemäß, das sei in der eigenen Partei nicht durchsetzbar.“ Als Kompromiss wird nun ein Teil des Grasbrook entwickelt: Für eine beherzte Stadtentwicklung reicht die Fläche indes kaum: Nur 46 von 99 Hektar werden bebaut, der Stadtteil wird durch einen großen Sperrriegel vom Hafen abgetrennt. Für Bonz eine verpasste Chance. „Ich halte das für einen großen strategischen Fehler. Aufgrund der Schiffsgrößen und der Energiewende entwickelt sich der Hafen aus dem östlichen Bereich heraus hin in den Westen.“ Sonst hätte die Stadt den kompletten Grasbrook entwickeln können.

„Hamburg hat immer groß gedacht und geplant“

„Mit dem Kleinen Grasbrook hat der Hafen gegeben – ohne etwas zu nehmen.“ Es gebe einen hohen Bedarf nach Lager- und Logistikflächen. „Wer auf der Autobahn Richtung Bremen fährt, sieht dort die neu entstandenen Lagerhallen, die im Hafen nicht entstehen können. Diese Zersiedelung ist suboptimal.“ Zumal diese Standorte für Arbeitnehmer aus Hamburg nicht mit dem ÖPNV erreichbar sind. Diese verkehrte Stadtentwicklung verursache zusätzliche Verkehre mit dem Auto, kritisiert der Hafenmann.

Bonz wünscht sich mehr Mut in der Stadtentwicklung, Bereitschaft zum großen Wurf. „Hamburg hat immer groß gedacht und geplant.“ Nach dem Zollanschluss ans Deutsche Reich entstand mit der Speicherstadt der weltweit größte Lagerhauskomplex. 26.000 Menschen wurden dafür nach Osten umgesiedelt. „Das hat man nicht nach kurzfristigen Gesichtspunkten gemacht, sondern sehr langfristig geplant. Volkswirtschaftliche Investitionen rechnen sich manchmal erst nach 100 Jahren. So mutig müsste die Stadt heute auch vorgehen. Sie tut es leider nicht.“

„Die Prognosen habe ich immer für falsch gehalten“

Aber benötigt der Hafen diesen Platz? Die alten Wachstumsprognosen sind längst Makulatur. Noch Mitte der 2000er-Jahre sagten Experten voraus, dass der Hamburger Port bald 20 Millionen oder gar 30 Millionen TEU, also Standard-Container, vielleicht sogar 40 Millionen TEU über die Kaikante bewegen würde. Tatsächlich stagniert der Hafen seit 2007 mehr oder minder bei knapp zehn Millionen TEU.

„Die Prognosen habe ich immer für falsch gehalten“, sagt Bonz, der von 2004 bis 2008 Staatsrat der Behörde war. „Sie hatten nur die Funktion, einer chinesischen Reederei im Mittleren Freihafen ein neues Terminal zuzuschanzen. Damals wurde das ganze Wachstum der Nordrange einfach Hamburg zugeschlagen.“

Lange Planungszeiten erfordern schnelles Handeln

Bonz rechnet mit anderen Zahlen: „Wenn alles bestens läuft, haben wir in zehn Jahren 15 Millionen TEU.“ Neben dem Ausbau der bestehenden Terminals seien weitere nicht nötig, wohl aber Flächen für die Energiegewinnung und Lagerung. Oder für Industrie-Ansiedelungen: „Wäre Elon Musk nach Hamburg gekommen und hätte in Moorburg ein Werk bauen wollen, wäre die Politik unter Zugzwang geraten. So etwas kann wieder passieren.“

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Deshalb hätten die Stadtväter früher Moorburg zur Erweiterungsfläche erklärt. Bonz rät dazu, angesichts der langen Planungszeiten bald mit der Umsetzung zu beginnen, damit Moorburg jederzeit für Industrieansiedlungen verfügbar ist. „Wir haben schon eine Chance vertan, diesen Schritt nicht längst gewagt zu haben. Die Mehrheit des Senats hat den Hafen nicht mehr wie früher im Fokus. Das ist schade.“

Experten sehen einen Trend zur „Demaritimisierung“

Allerdings gibt es auch Stimmen, die Häfen international auf dem Rückzug sehen. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) spricht etwa von der Demaritimisierung. Bonz als Präsident des europäischen Hafenverbands FEPORT sieht die Lage anders. „Es gibt diese Entwicklung in den Städten, die sich bewusst entschieden haben, dass der Hafen keine große Rolle mehr spielen soll und beispielsweise Kultur oder Wohnungsbau wichtiger sind. Diese Städte sind nachhaltig ökonomisch nicht erfolgreich.“

Viel besser stünden Hafen- und Industriemetropolen wie Rotterdam, Le Havre oder Antwerpen da, betont er. „Die Holländer sagen. Das Geld wird in Rotterdam verdient und in Amsterdam ausgegeben.“ Hafenstädte seien ökonomische Hotspots. „Wir können das anders machen. Da muss die Politik aber ehrlich sagen, womit der Wohlstand von morgen verdient werden soll.“

Dublin und London kein Vorbild für Hamburger Hafen

London oder Dublin sind für Bonz kein Vorbild. „Ich glaube nicht, dass Hamburg staatlich subventionierte Finanzmetropole werden will oder Steuersparmodell für multinationale Konzerne.“ Die maritimen Betriebe seien solide Unternehmen, die Steuern zahlen und Arbeitsplätze schaffen. Positiv sieht der langjährige Hafenmanager die derzeit diskutierten Pläne einer Deutschen Bucht AG. „Die Zusammenarbeit ist sinnvoll und hat für Hamburg mehrere Vorteile.“ Die knappen Flächen würden besser genutzt. Zudem könnten die deutschen Häfen gemeinsam Marktanteile zurückgewinnen.

Eine Hafenrundfahrt wird es auch noch im Jahre 2040 geben, ist sich Bonz sicher. Das hat einen einfachen Grund: „Die Mietverträge laufen noch 30 Jahre, und der Wähler hat auch noch ein Wort mit zu reden.“ Der 65-Jährige glaubt, dass die Terminals der Zukunft hochmodern und teilautomatisiert arbeiten und sich die Hinterlandanbindung per Bahn verbessert. „Wir werden dann sicher auch große Lager für Nahrungsmittel haben. Und wenn wir heute alles richtig machen, werden wir einen Alternativen Energiepark im Hafen finden.“ Eins sagt er nicht: Wahrscheinlich werden sich Hafenwirtschaft und Stadtentwickler auch 2040 noch um die knappen Flächen kabbeln.