Hamburg. Joachim Prahl prangert seit Jahren die schlechten Bedingungen für Radler in den Walddörfern an. Nun gab es dort zwei schwere Unfälle.

„In den Walddörfern ist es für Radfahrer brandgefährlich.“ Der Bergstedter Joachim Prahl muss es wissen. Er ist hier seit mehr als zwei Jahrzehnten unterwegs. Etwa 30 Kilometer fährt er am Tag. Seine Route führt den Berater von Rechtsanwaltskanzleien über Volksdorf und Berne Richtung Innenstadt. Doch entlang von Volksdorfer Damm, Farmsener Landstraße und Berner Heerweg sind die Radwege oft in so schlechtem Zustand, dass er auf die Fahrbahn oder in die Wohnstraßen ausweichen muss. Und hier führen die Autofahrer sehr oft zu schnell und zu dicht an den Radfahrern vorbei.

Seit 2017 macht Prahl Politiker, Behörden und Bezirksamt auf die schlechten Bedingungen für Radfahrer in Berg­stedt und Volksdorf aufmerksam. Nun kam es in Volksdorf gleich zu zwei schweren Unfällen. An der Farmsener Landstraße, die Prahl täglich entlang fährt, wurde ein 54-jähriger Radfahrer von einem links in den Meiendorfer Weg abbiegenden Transporter erfasst und tödlich verletzt. Und am vergangenen Mittwoch wurde am Saseler Weg der Fahrer eines E-Bikes von einem Auto touchiert und schwebte vorübergehend in Lebensgefahr.

Hamburger Stadtteile bei Radinfrastruktur vernachlässigt

Auch er selber erlebe fast täglich Situationen wie die, wie sie jetzt zu den Unfällen geführt haben, so Prahl. Das liege an Autofahrern, die oft viel zu schnell und rücksichtslos führen. Aber auch daran, dass die Radinfrastruktur in den nordöstlichen Stadtteilen extrem vernachlässigt werde. „Die Radwege in der City sind top. Aber hier wurde seit mehr als 15 Jahren nichts oder nur Unzureichendes getan.“ Es sei ihm unverständlich, mit welcher „Bräsigkeit, Ignoranz und Desinteresse“ Polizei, Behörden und lokale Wahlkreis-Abgeordnete die Gefahr für den Radverkehr ignorierten.

Nach Angaben der Polizei werde jährlich eine flächendeckende Gefahrenanalyse durchführt und bei schweren Verkehrsunfällen zusätzlich eine Einzelbetrachtung von Unfallstelle und Umgebung. Demnach wurden im Verlauf Volksdorfer Damm, Farmsener Landstraße und Berner Heerweg in den vergangenen drei Jahren mehr als 40 Verkehrsunfälle mit Radfahrerbeteiligung regis­triert.

Schon seit 2017 Warnungen an Hamburger Behörde

Bei mehr als zehn Unfällen waren die Radfahrer Hauptunfallverursacher, weiteren zehn Fahrradfahrern wurde zumindest eine Mitschuld vorgeworfen. Mehr als 30 Radfahrer erlitten Verletzungen, fünf davon sogar schwere. Normalerweise gilt ein Bereich als „Unfallhäufungsstelle“, wenn es dort in drei Jahren vier oder mehr Unfälle mit Radfahrerbeteiligung gegeben hat. Abgesehen von der Kreuzung Berner Heerweg/ Neusurenland gelte die Strecke angesichts ihrer Länge von zehn Kilometern nicht als auffällig, so Sprecher Thilo Marxen.

Seit 2017 verschickt Prahl seine warnenden Mails: an das Bezirksamt, den Landesbetrieb Straßen, Brücken und Gewässer, Abgeordnete der Bezirksfraktionen und den Wandsbeker SPD-Kreisvorsitzenden und Senator Andreas Dressel, der selber in den Walddörfern wohnt. Was er letztlich erfuhr: die umfassende Sanierung von Radwegen sei entweder im Rahmen der Grundinstandsetzung der Straße oder der Umsetzung einer Veloroute möglich. Und: Die Radwege am Volksdorfer Damm, die Prahl als „in katastrophalem Zustand und nach Regenfällen nicht zu benutzen“ beschreibt, würden frühestens 2024 saniert.

„Die Unglücke mit den Radfahrern haben mich schockiert"

Nach Angaben der Verkehrsbehörde handelt es sich dabei jedoch nur um den Abschnitt zwischen Volksdorfer Grenzweg und Waldweg. Doch Sprecher Denis Heinert betont: „Die Stadtteile Volksdorf, Sasel und Bergstedt stehen bei den Planungsaufträgen des Landesbetriebs Straßen, Brücken und Gewässer stark im Fokus.“ Es werde laufend überprüft, ob bei kurzfristigen Instandhaltungsmaßnahmen Radwege im Bestand erneuert werden könnten. Aus Gründen der Baustellenkoordinierung sei aber leider nicht alles sofort umsetzbar.

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„Wir können den Sanierungsstau bei der Infrastruktur für Fahrräder leider nicht über Nacht beheben“, sagt auch Senator Dressel auf Nachfrage. „Die Unglücke mit den Radfahrern haben mich schockiert. Auch ich bin in den Walddörfern viel mit dem Rad unterwegs.“ Er habe als Finanzsenator deutlich mehr Geld als geplant für mehr neue oder sanierte Radstreifen bereitgestellt, dazu noch einmal 80 Millionen Euro zusätzlich aus dem Wirtschaftsstabilisierungsprogramm. „Das wird jetzt alles mit Hochdruck umgesetzt.“ 2020 wären in Hamburg 62 Kilometer neu gebaute und neu gewidmete Radverkehrsanlagen geschaffen worden. „Eine Zahl, die man überall in der Stadt buchstäblich erfahren kann - auch in den Walddörfern.“

ADFC fordert Einrichtung von Tempo-30-Zonen

Dem ADFC geht das nicht schnell genug. „Radfahrer in den nordöstlichen Stadtteilen werden sich selbst überlassen“, sagt Sprecher Dirk Lau. Die Stadt müsse auch bei Straßen aktiv werden, die in den Radwegeverkehrsplanungen der Stadt nicht berücksichtigt werden – „und zwar präventiv und nicht erst, wenn sie sich zu Unfallschwerpunkten entwickelt haben.“ Der ADFC fordere daher eine mit wenig Aufwand umzusetzende Maßnahme: die Anordnung einer Tempo-30-Zone für den Volksdorfer Damm und die Farmsener Landstraße.

Er habe das im Rahmen seiner vergeblichen Bemühungen schon vor Jahren vorgeschlagen, sagt Joachim Prahl. „Mir wurde aber mitgeteilt, dass die Busse, die dort führen, dadurch zu langsam würden.“ Dirk Lau kennt diese Argumentation der Stadt und spricht von einem „Scheinargument“. „Es gibt viele Tempo-30-Zonen in Hamburg, in denen auch Busse unterwegs sind. Die Sicherheit von Verkehrsteilnehmern ist wichtiger als die Schnelligkeit des ÖPNV.“