Hamburg. Ein Online-Tool aus Hamburg hilft, Verkehrssündern eine Lektion zu erteilen. Wie es funktioniert und wie die Behörden dazu stehen.

Kurz auf dem Radweg geparkt, schon folgt ein Bußgeld. Wer nur Geld abheben oder zum Bäcker möchte, sollte sich überlegen, wo er hält. Denn: Immer mehr Hamburger zeigen Verkehrssünder an. Das bestätigten die Hamburger Verkehrsbehörde und die Bußgeldstelle auf Abendblatt-Anfrage. „Leider müssen wir feststellen, dass Parkverstöße im ruhenden Verkehr zugenommen haben“, sagt Dennis Krämer, Sprecher der Verkehrsbehörde. „Dies sind insbesondere Verstöße gegen Feuerwehrzufahrten, Geh- und Radwege, in zweiter Reihe parken etc.“ Die Anzeigen würden ihm zufolge immer öfter von Privatpersonen ausgehen.

Wie viele Anzeigen von Passantinnen und Radfahrern ausgehen, können die Behörden nicht ermitteln. Eine Betriebsstatistik der Bußgeldstelle dient allerdings als Indikator für den steigenden Anzeige-Trend: Die Statistik erfasst alle E-Mails von Privatpersonen, die Falschparker und Co. im ruhenden und fließenden Verkehr anzeigen.

Mehr Hamburger zeigten Falschparker an

Während die Behörde 2017 rund 22.800 E-Mails zählte, waren es im Folgejahr fast doppelt so viele. 2019 stiegen die Zusendungen auf mehr als 56.500. Im Corona-Jahr waren es rund 66.200. Die diesjährigen Zusendungen deuten auf eine ähnlich hohe Zahl hin.

Das spült Geld in die Landeskasse. In diesem Jahr sind laut Bußgeldstelle rund 20.000 Euro durch Anzeigen wegen unzulässigem Parken auf Radwegen sowie kombinierten Rad- und Gehwegen zusammengekommen. Bald könnte es noch mehr werden. Ein neuer Bußgeldkatalog, der noch vom Bundesrat verabschiedet werden muss, soll Verkehrssünder höher bestrafen. Verbotswidriges Parken auf Rad- und Gehwegen könnte dann nicht mehr 35 Euro, sondern bis zu 110 Euro kosten – einen Punkt in Flensburg könnte es obendrauf geben.

Hamburger nutzen unkomplizierte Online-Tools

Könnte das den Trend stoppen? Zu weniger Anzeigen führen, weil sich mehr Verkehrsteilnehmer an die Regeln halten? Möglicherweise, allerdings wird es Passanten und Radfahrer nicht davon abhalten, weiterhin Anzeigen zu stellen. Denn sie nutzen schnelle und unkomplizierte Online-Tools, die der Bußgeldstelle bekannt sind.

Sprecher Matthias Krumm sagt: „Die Entwicklung ist erfahrungsgemäß auf die Nutzung von Smartphone-Apps (Wegeheld.de, weg.li) und der grundsätzlich in den vergangenen Jahren zunehmenden, vereinfachten Online-Kommunikation durch Privatpersonen zurückzuführen.“ Und weiter: „Die so angezeigten Ordnungswidrigkeiten werden entsprechend den Vorschriften des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten und der Straßenverkehrsgesetze geahndet.“

Bußgeldstelle entscheidet über Verfahren

Doch nicht jede E-Mail oder Zusendung führt zu einem Verfahren wegen einer Ordnungswidrigkeit. Ob es dazu kommt, entscheidet die Bußgeldstelle unter Anwendung des Opportunitätsprinzips: Sie prüft, ob eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bestand, etwa für Menschen, die zu Fuß, per Rad oder im Rollstuhl unterwegs waren. Zur Beweissicherung sind Fotos oder Videos von Bedeutung. Der Online-Dienst weg.li, der mit Wegeheld.de fusioniert ist, stellt ein Upload-Tool bereit.

Unerlässlich sind die Personalien des Anzeigenden. Fehlen sie, leitet die Behörde kein Verfahren ein. Auch sonst werden nicht alle Anzeigen in ein Verfahren überführt. Grund ist die sogenannte Verfolgungsverjährung von drei Monaten nach Aufgabe der Anzeige. Leitet die Bußgeldstelle in dieser Zeit kein Verfahren ein, stellt die Behörde ein. Dies betraf seit 2019 etwa ein Prozent aller Anzeigen. Erste Zahlen deuten darauf hin, dass es 2021 noch weniger werden.

„Falschparken kann Menschen töten"

Das findet der Radfahrer Daniel Pieper (33) gut. Seine Wege in Hamburg legt er mit dem Fahrrad zurück, hat dieses Jahr schon 52 Anzeigen gestellt. „Falschparken ist nichts, was nur ärgerlich ist, es kann auch Menschen töten“, sagt der Radfahrer. „Man darf nicht vergessen, dass nicht nur jüngere Leute wie ich auf dem Fahrrad unterwegs sind und sich an den Falschparkern vorbeischlängeln, sondern auch ältere.“

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Der ruhende Verkehr sei dabei nicht der einzige Unfallherd. Auch Überhol- oder Abbiege-Manöver könnten böse enden, sagt Pieper. Er selbst war schon an einem Unfall beteiligt. „Ich war auf dem Radweg unterwegs, bin an einer Einfahrt zum Friseur vorbeigefahren. Die Autofahrerin ist in die Einfahrt reingefahren und ich bin über die Motorhaube gefallen.“ Seitdem begleitet Pieper eine Kamera, die er auf dem Lenker montiert hat.

Höheres Unfallrisiko für Radfahrer in Hamburg

Sie filmt all seine Fahrten, um im Zweifel seine Unschuld beweisen zu können – und um einige Videos auf YouTube zu streamen. Er veröffentlicht sie auf dem Kanal „FahrradstadtHamburg?!?“ – immer mit unkenntlich gemachten Nummernschildern. Das macht er, um auf riskante Manöver und das generelle Unfallrisiko für schwächere Verkehrsteilnehmer hinzuweisen.

Die Verkehrsbehörde bestätigt das Risiko, dem schwächere Verkehrsteilnehmende ausgesetzt sind. Demnach wirken sich rund 35 Prozent der geahndeten Verstöße auf die Verkehrssicherheit aus. Dem möchte Pieper entgegenwirken, er zeigt falsches Verhalten seit mittlerweile vier Jahren an. Dafür nutzt er das Online-Tool weg.li, das die Anzeige von Parkvergehen so einfach wie möglich gestalten möchte. Es soll Fußgängern und Radfahrern als Werkzeug dienen, um sich gegen Falschparker zur Wehr zu setzen.

Anzeigen über Seite von Hamburger Unternehmen

Wie funktioniert es? Auf der Webseite weg.li ein Profil mit seinen Personalien anlegen, dann ein Beweisfoto mit dem Handy erfassen. Pieper sagt, er halte dafür an, mache den Radweg frei und nehme dann das Bild auf. Anschließend wird es hochgeladen. Das Programm trägt automatisch Datum, Uhrzeit, Umgebungsdaten, Kennzeichen, Ort, Fahrzeugtyp und -farbe ein. Anschließend müssen Nutzer das Vergehen beschreiben und per E-Mail melden.

In Hamburg gegründet bietet das Unternehmen seinen Service mittlerweile über die Landesgrenzen hinaus an und leitet bundesweit Anzeigen an die Behörden weiter. Neben weg.li gibt es weitere Möglichkeiten, um Parkvergehen im Internet anzuzeigen, etwa per Wegeheld-App oder per Online-Formular beim Ordnungsamt.