Hamburg. Warum Wohnungs-Verbandschef Andreas Breitner Zweifel an Hamburgs Bündnis für Wohnen hat – und was Sand damit zu tun hat.

Sein Seitenwechsel schlug im September 2014 Wellen. Andreas Breitner, damals Innenminister Schleswig-Holsteins, trat überraschend von allen Posten zurück, um sieben Monate später Direktor des Verbandes norddeutscher Wohnungsunternehmen (VNW) zu werden.

Der Verband vertritt mehr als 300 Genossenschaften und -gesellschaften in Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein, in deren Wohnungen 1,4 Millionen Mieter leben. Was manchen wie ein Rückzug ins Private erschien, war zugleich ein Coup der Wohnungswirtschaft: Breitner hat sich als Sprachrohr der Genossenschaften etabliert. Er geht keinem Konflikt aus dem Weg – und meldet sich zu Wort, wenn seiner Ansicht nach die Dinge falsch laufen.

Neuauflage des Bündnisses für Wohnen in Hamburg

Breitner saß mit am Tisch, als im Juni die Wohnungsbauwirtschaft mit der Stadt die Neuauflage des Bündnisses für Wohnen vereinbart hat: „Das war auch wegen der Pandemie eine schwere Geburt“, sagt Breitner im Podcast „Was wird aus Hamburg?“. „Am Ende haben wir es hinbekommen. Es ist für mich ein neues Bündnis, weil es wichtige neue Vereinbarungen enthält. Und es setzt zugleich das erfolgreiche Bündnis fort, das dazu beigetragen hat, die Wohnungssituation in Hamburg zu entspannen.“

2011 hatte Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) das Bündnis für Wohnen initiiert, um die prekäre Situation zu verbessern. Sollten zu Beginn jährlich 6000 Wohnungen neu entstehen, hat das Bündnis diese Zielmarke 2016 auf 10.000 Einheiten aufgestockt. Das ambitionierte Ziel gelang – und steht nun im Vereinbarungstext für die neue Legislaturperiode.

Es herrscht fast überall Baustoffmangel

Doch es mehren sich die Zweifel, ob dieses Ziel bis 2025 erreichbar ist. Auch Breitner ist skeptisch: „Wir haben in Hamburg diesen Bedarf. Ich weiß aber nicht, ob wir jedes Jahr 10.000 Wohnungen wirklich erreichen.“ Wie lange die Zielmarke angesichts schrumpfender Flächen und eines ungebrochenen Widerstands gegen Nachverdichtungen realistisch ist, weiß Breitner nicht zu sagen. „Es kann sein, dass wir uns an den 10.000 verschlucken.“ Seine Prognose für die aktuelle Legislaturperiode sind dann auch nicht 50.000 Neubauwohnungen, sondern nur 40.000 bis 50.000. „Aber auch dann können wir uns in die Augen schauen.“

In den vergangenen Monaten ist ein massives Hemmnis für Bauherrn hinzugekommen: die dramatische Entwicklung der Kosten. Hohe, ja explodierende Preise und niedrige Mieten schlössen sich aus, betont Breitner. „Da stehen alle Signale auf rot – und damit gerät das Ziel in Gefahr. Unsere Mitgliedsunternehmen fassen Neubauprojekte derzeit nur noch mit spitzen Fingern an“, beschreibt er die Lage am Bau. „Es gibt Ausschreibungen, bei denen sich heute gar kein Handwerker mehr meldet.“

Gestiegene Kosten lassen Baupreise in die Höhe schnellen

Der Preistrend sei eine Katastrophe. Es herrsche fast überall Baustoffmangel – es fehlt an Paletten, Holz, Kies, Sand, Gips, ja sogar an Eimern. Die Hintergründe sind unterschiedlich: Weil Kohlekraftwerke abgeschaltet werden, mangelt es an Gips, Deutschland habe zu wenig Sand- und Kiesgruben, das Holz werde auf dem Weltmarkt geradezu aufgesaugt. „Unternehmen gehen insolvent trotz voller Auftragsbücher, weil sie kein Material bekommen“, so der Verbandschef. „Ich höre von ersten Baustellen, die deshalb ruhen.“

Er rechnet vor, dass die gestiegenen Kosten inzwischen die Baupreise um 20 Prozent im Vergleich zum Vorjahr erhöht haben. „Das ist eine relevante Größe. Und man kann nicht einmal auf die Politik schimpfen – da sind die Handlungsmöglichkeiten erschöpft.“ Der 54-Jährige macht sich ernsthafte Sorgen: „Es gibt inzwischen eine höfliche Distanz zu Neubauprojekten.“

"Mit jedem Jahr werden die Herausforderungen größer"

Schon seit Längerem beschäftige die Branche der Mangel an Grundstücken. Hamburg will zum einen am Rande der Stadt neue Baugebiete ausweisen, zum anderen sollen auch die Magistralen verdichtet werden – an den Ausfallstraßen sehen Experten viele un- und untergenutzte Flächen. „Das ist die politisch richtige Antwort. Aber wir haben einen Flaschenhals bei den Genehmigungen“, sagt Breitner. Mit jedem Jahr werde die Herausforderung größer: „Die reifen Früchte seien gepflückt. Was jetzt kommt, ist schwieriger – das führt zu einem Engpass.“ Oftmals machen Proteste von Anwohnern den Investoren das Leben schwer.

Breitner erinnert sich an ein Richtfest 2015 auf St. Pauli, als er gerade VNW-Direktor geworden war. „Das Projekt benötigte vom Grundstückserwerb bis zur Fertigstellung acht Jahre, sechs Jahre davon gingen allein für den Kampf durch die Instanzen drauf.“ Dabei entstanden mehr als die Hälfte der neuen Wohnungen auf dem Förderweg.

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Der langjährige SPD-Spitzenmann appelliert deshalb an die Hamburger: „Wohnungsbau ist nicht nur eine Aufgabe der Politik, sondern setzt auch die Solidarität der Nachbarn voraus. Leider haben die Menschen, die dort noch nicht wohnen, keine Lobby.“ Immerhin: Breitner ist der Meinung, dass sich die Akzeptanz insgesamt einen Tick verbessert habe. „Segensreiche Bauprojekte werden jetzt weniger oft von wütenden Nachbarn verhindert.“

"Wir sollten die Fehler der 70er-Jahre nicht wiederholen"

Politisches Ziel in Hamburg ist, die Anzahl öffentlich geförderter Wohnungen für Haushalte mit geringem oder mittlerem Einkommen auf schrittweise 4000 Sozial- oder „Hamburg-Wohnungen“ jährlich zu steigern. Breitner hält das für richtig. Politische Forderungen der Linken, nur noch geförderten Wohnungsbau zuzulassen, hält er aber für grundfalsch: „Die Mischung macht’s – zwischen Reich und Arm, Jung und Alt, Ausländern und Deutschen. Wir brauchen Vielfalt und sollten die Fehler der 70er-Jahre nicht wiederholen.“

Aber ist diese Vielfalt noch realistisch? Während sich Gutsituierte Häuser für mehrere Millionen leisten können, ohne mit der Wimper zu zucken, und Geringverdiener auf geförderten Wohnraum hoffen, könnte die Mittelschicht mittelfristig durchs Rost fallen. Wenn der Quadratmeter 10.000 Euro kostet, scheitern die meisten Familien mit Doppelverdienern daran, ihre Wohnträume zu verwirklichen.

„Das sind dann tendenziell die Menschen, die ins Umland ausweichen – das müssen wir im Blick haben.“ Hinzu kommt, dass der Drittelmix die Preise für die Eigentumswohnungen treibt, weil Miet- und geförderte Wohnungen zwei Drittel ausmachen, versuchen die Investoren, mit dem letzten Drittel die Rendite hochzuschrauben. „Diese Quersubventionierung macht es für die Mitte schwierig: Sie gerät in eine Sandwichposition.“ Ein Haus mit Garten wird für eine Familie unbezahlbar. Vielen bleibt nur der Umzug aufs Land.

Wie verändert die Pandemie Hamburg?

Noch nicht absehbar sei, wie die Pandemie die Stadt verändere – die Arbeitswelt, den Lebensstil, die Sehnsüchte und damit letztlich den Immobilienmarkt. „Vor Corona galten Klimaschutz, Demografie, Urbanisierung als die Megatrends der Wohnungswirtschaft“, sagt Breitner. „Ob die Urbanisierung weiterhin ein Megatrend bleibt, wage ich zu bezweifeln.“ Die Terrasse, der eigene Garten, das Grüne verwandelten sich in der Pandemie in ein großes Glück. Dieser Trend könne die Situation in Hamburg entspannen, zugleich aber die Krise von Mittelstädten verstärken – wer will dann noch in einer Etagenwohnung in Husum oder Anklam wohnen?

Breitner verweist darauf, dass viele Genossenschaften im Osten ganz andere Probleme haben: In manchen Häusern beträgt der Leerstand 20 Prozent. „Da gibt es Kollegen, die sagen: Ich kann diese Hamburger Sorgen nicht mehr hören. Die haben existenzielle Probleme.“

Breitner bleibt der SPD weiterhin verbunden

Seiner alten Partei bleibt Breitner trotz seines Ausstiegs von 2014 verbunden: Er leitet das Fachforum „Stadtentwicklung, Bau, Immobilien“ des SPD-Wirtschaftsforums und ist Mitglied der Kommission des Parteivorstands „Bezahlbarer Wohnraum und soziale Bodenpolitik“.

Dort trifft er auf die volle programmatische Bandbreite der geschrumpften Genossen: „Es gibt eine SPD, die Großstadt gut verstanden hat – das ist die Hamburger SPD. Die machen vieles richtig: Sie spricht mit uns, ist wirtschaftsnah. Bei der Berliner Sozialdemokratie spüre ich hingegen eine andere Herangehensweise – da ist die Angst verbreitet, von Wirtschaftsvertretern über den Tisch gezogen zu werden.“ Diese fundamentalen Unterschiede bildeten sich dann ab im Wahlerfolg, der Stadtentwicklung und der Wirtschaftskraft.

Breitner: "Ich arbeite lieber in Hamburg als in Berlin"

„Deshalb arbeite ich lieber in Hamburg als in Berlin.“ Eindeutig lehnt er Bestrebungen ab, Wohnungsunternehmen zu verstaatlichen. Die Berliner Wohnungsbaupolitik treibe seltsame Blüten – was Die Linke nun für viel Geld enteignen wolle, habe sie als Teil einer rot-roten Regierung einst selbst verkauft. Es sei zudem absurd, dass dieselben Kräfte, die mehr Wohnungsbau forderten, im konkreten Fall wie beim Tempelhofer Feld die Umsetzung verhinderten. Breitners Resümee: „Berlin ist schwer regierbar – in Hamburg klappt das besser.“

Allerdings sieht er auch in der Hansestadt Fehlentwicklungen. So will der Senat Grundstücke in Zukunft vor allem in Erbbaurecht vergeben, um langfristig die Stadtentwicklung gestalten zu können. „Das macht die Finanzierung schwieriger, weil viele Wohnungsbauunternehmen bei ihren Banken schlechtere Konditionen bekommen.“ Genossenschaften spekulierten nicht mit Grundstücken, sondern garantierten dauerhaft niedrige Mieten – viele seit Jahrzehnten. „Das empfinden viele als Misstrauensvotum, ja als Ohrfeige“, kritisiert Breitner. Immerhin sollten nun die Altfälle, teilweise noch aus den Zwanzigerjahren, geregelt werden. „Wenn das gelingt, werden wir unseren Frieden damit machen.“

Neue Bebauungspläne: Nur noch Mehrfamilienhäuser genehmigen?

Dafür springt er dem Bezirksamtsleiter in Hamburg-Nord bei – dem grünen Politiker Michael Werner-Boelz, der in neuen Bebauungsplänen keine Eigenheime, sondern nur noch Mehrfamilienhäuser genehmigen lassen will. „Wir können nicht immer mehr Wohnraum für weniger Menschen schaffen, sondern müssen mit dem Platz haushalten“, sagt Breitner. Das sei nicht nur aus sozialen, sondern auch ökologischen Gründen geboten. Die verheerende Flut habe gezeigt, wohin die Versiegelung führen könne.

Tatsächlich verschwindet immer mehr Natur unter Beton und Asphalt: Die amtliche Flächenstatistik wies Ende 2018 in Deutschland 51.315 Quadratkilometer Siedlungs- und Verkehrsflächen aus, 14,4 Prozent der Gesamtfläche – ein Vierteljahrhundert zuvor waren es nur 11,5 Prozent. Der Anteil der vollversiegelten Fläche stieg in diesem Zeitraum von 5,3 auf 6,5 Prozent – und wächst weiter, zuletzt sogar wieder beschleunigt. „In einem dicht besiedelten Bezirk müssen wir neu denken – da ist das Einfamilienhaus an manchen Stellen wirklich fehl am Platz“, sagt Breitner. Zugleich plädiert er dafür, höher zu bauen: „Hamburg baut tendenziell schon seit Jahren zu niedrig“, kritisiert er. Statt drei, vier sollten in der Hansestadt lieber fünf, sechs Geschosse Standard werden. „Wir haben Luft nach oben: Hochhäuser erleben gerade eine Renaissance.“

Sorge um den Anstieg der „zweiten Miete“

Ausdrücklich wirbt Breitner für mehr Integrationsbemühungen von Zuwanderern – schließlich geht ein Großteil des Bevölkerungswachstums in Hamburg auf Migration zurück: „Viele Mitgliedsunternehmen fühlen sich da etwas alleingelassen“, sagt der frühere Innenminister. „Vier Wände allein reichen noch nicht, um in Hamburg anzukommen: Man braucht die Sprache, ein gesellschaftliches Umfeld. In der Flüchtlingskrise haben wir zu viele alleingelassen.“ So bildeten sich Parallelgesellschaften: Man bleibt unter sich, trifft nur Landsleute, kauft in den eigenen Läden, spricht nur die Herkunftssprache. „Die Wohnungswirtschaft würde Hurra rufen, wenn die Integrationsanstrengungen wachsen.“

Werden die Mieten weiter steigen? Breitner macht Hoffnung, dass die sogenannte erste Miete stabil bleibt. „Die Mieten in Hamburg sind gestiegen, aber unterhalb der Inflationsrate – das ist ein Riesenerfolg des Bündnisses für das Wohnen.“ Ganz anders sehe es bei den Nebenkosten aus, der sogenannten zweiten Miete. „Was kommt beim Klimaschutz noch auf uns zu, bei den Energiekosten, bei der CO2-Abgabe?“ Die Klimaziele der EU beträfen auch den Gebäudesektor. „Viele Gebäude sind wirtschaftlich am Ende, wenn die Anforderungen zum Dichten und Dämmen weiterwachsen. Und dann reden wir auch wieder über Abriss und Neubau. Das alles wird Auswirkungen auf die Mieter haben – und das sind keine guten.“