Hamburg. Kaum eine Branche hat unter Corona so gelitten wie die Hotellerie. Wie es weitergeht, sagt Tourismus-Chef Michael Otremba.
Über den Dächern der Stadt, auf der Terrasse der Bar Moon 46 des Pierdrei Hotels in der HafenCity, trifft Hamburg Tourismus-Chef Michael Otremba das Abendblatt zum Interview. Bis vor eineinhalb Jahren kannte der Hamburg-Tourismus nur einen Weg: nach oben! Doch dann kamen Corona und die Lockdown.
Erst seit rund zwei Monaten dürfen Urlauber wieder in der Stadt übernachten. Im Interview spricht Otremba über die schwierige Situation, die Herausforderungen für die Branche und warum er Verständnis für die Sperrstunde auf St. Pauli hat.
Hamburger Abendblatt: Die Hotels in Hamburg dürfen seit dem 1. Juni wieder Touristen beherbergen. Der Start verlief schleppend. Wie ist die aktuelle Situation?
Michael Otremba: Es kommen wieder mehr Gäste in die Stadt. Das ist auch der Tenor unserer Gespräche mit der Hotellerie. Die Belegung steigt an. An den Wochenenden liegt die Auslastung in einigen Häusern bei 60 Prozent und mehr. Im August wird die Nachfrage weiter steigen, und es gibt Hotels, die eine Belegung von rund 80 Prozent erwarten. Das ist allerdings auch notwendig, um ein Haus wirtschaftlich zu führen. Positiv ist auch, dass die Raten in der Hotellerie stabil sind.
In den vergangenen Jahren gab es einen regelrechten Boom bei den Neueröffnungen von Hotels. Schon vor der Coronakrise wurde von einem Überangebot gesprochen. Wie sehen sie die aktuelle Situation?
Otremba: Die Hotellerie steht vor großen Herausforderungen. Die Erholung der Nachfrage wird Zeit brauchen, und Fachkräfte sind rar. Es zeigt sich aktuell, dass insbesondere die gut positionierten Häuser mit individuellen Konzepten stärker nachgefragt sind, weil die Gäste sich häufig Individualität wünschen. Das wird die Zukunft der Hotellerie in Hamburg beeinflussen. Neue Häuser benötigen einen besonderen Charakter und sollten ein Ort für Begegnungen sein mit Angeboten für die Nachbarschaft.
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Luxushotels der internationalen Ketten wie Raffles oder Mandarin Oriental gibt es in der Hansestadt noch nicht. Erhalten Sie Signale, dass diese Marken nach Hamburg kommen?
Otremba: Nein. Eine Herausforderung dabei ist, einen erstklassigen Standort dafür anbieten zu können, wo sich diese internationalen Ketten ansiedeln könnten.
Vor der Coronakrise im Jahr 2019 hatte Hamburg rund 15,4 Millionen Übernachtungen. Im vergangenen Jahr waren es 6,88 Millionen Übernachtungen. Wo werden wir in diesem Jahr landen?
Otremba: Ich bin zuversichtlich, dass es besser wird als im vergangenen Jahr. Wir sind 2020 auf den Stand von 2006 zurückgefallen, aber an der aktuellen Entwicklung sehen wir, dass Hamburg die Kraft hat, wieder zu alter Stärke zurückzufinden. Es wird Zeit brauchen, und wir werden sicher auch im nächsten Jahr noch nicht wieder auf dem Niveau von 2019 sein. Aber Hamburg profitiert natürlich von dem Trend, dass im Zuge der Coronakrise Nahziele in Deutschland und Städtereisen beliebt sind und viele auf Fernreisen verzichten.
Der Anteil der Touristen aus dem Ausland lag vor der Pandemie bei rund 25 Prozent und sollte deutlich gesteigert werden. Ist das jetzt nicht mehr das Ziel?
Otremba: Zunächst konzentrieren wir uns auf den deutschen Markt und das benachbarte Ausland. Langfristig haben wir das Ziel, auch die Zahl der internationalen Gäste wieder zu steigern.
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Der Senat hatte die Linie vorgegeben, während der Coronabedingten Zwangspause von November bis Juni, auf Tourismuskampagnen zu verzichten. War das richtig?
Otremba: Ja.
Auf St. Pauli müssen die Lokale um 23 Uhr schließen. In anderen Stadtteilen dürfen die Gäste zumindest in den Außenbereichen bis nach Mitternacht verweilen, ist das fair?
Otremba: Natürlich kann ich die Kritik der Kiezgastronomen nachvollziehen. Aber wir alle sollten ein Interesse daran haben, dass sich keine Hot-Spots bilden und dadurch die Zahl der Corona-Infektionen wieder steigt. Deshalb habe ich für diese Sperrstunde Verständnis.
Muss sich Hamburg im Zuge der Pandemie als Tourismusdestination neu erfinden?
Otremba: Nein. Hamburg ist eine Stadt voller Facetten, und die Sehnsucht nach dieser Stadt ist gerade deshalb sehr groß. Wir müssen uns nicht neu erfinden. Wir wollen Hamburg deutlicher als Kulturstadt positionieren. Deshalb arbeiten wir gemeinsam mit der Kulturbehörde an einer Kulturtourismusstrategie. Hamburgs Kulturlandschaft bietet viele Höhepunkte, die wir noch stärker herausstellen wollen. Ein Beispiel ist der Kultursommer mit mehr als 1.300 Veranstaltungen im gesamten Stadtgebiet, der bis 16. August läuft. Im September starten Festivals und Spielzeiten. Auch der Start der Musicals ist von großer Bedeutung. Wir sind weltweit immerhin der drittgrößte Musicalstandort, damit werden wir weiter werben und damit große Nachfrage erzeugen. Im Dezember wird mit Harry Potter im Mehr! Theater ein absolutes Highlight mit einer internationalen Fangemeinde Premiere feiern. Es gibt viele Gründe, um zuversichtlich zu sein.
Kultur klingt gut. Aber Hamburg verdient auch an Gästen, die auf dem Kiez ihre Junggesellenabschiede feiern. Sind die weniger willkommen?
Otremba: Ich habe nichts dagegen, wenn die Menschen nach Hamburg kommen, um hier Party zu machen. Aber wichtig ist, wer bei uns zu Gast ist, muss sich an Regeln halten.
Wird es wieder Großveranstaltungen in Hamburg geben?
Otremba: Auf jeden Fall. Ich gehe davon aus, dass wir im kommenden Jahr den Hafengeburtstag feiern werden und dass zum Beispiel auch die Hamburg Cruise Days wiederkommen.
Welchen Stellenwert haben Kongresse für Hamburg?
Otremba: Kongresse sind sehr wichtig für Hamburg. Denn die Teilnehmer sind ein zahlungskräftiges Klientel. Zudem spielt der lokale Wissenstransfer eine ganz bedeutende Rolle. Mit dem revitalisierten CCH (Congress Center Hamburg) haben wir die besten Voraussetzungen dafür geschaffen, noch mehr Kongressgeschäft für Hamburg zu gewinnen. Die Mitarbeiter unseres Hamburg Convention Bureaus sind sehr aktiv und haben sich gemeinsam mit Partnern an rund 200 Ausschreibungen für Kongresse und Veranstaltungen beteiligt, um diese für Hamburg zu gewinnen.
Die aktuellen Corona-Fallzahlen aus ganz Norddeutschland:
- Hamburg: 2311 neue Corona-Fälle (gesamt seit Pandemie-Beginn: 430.228), 465 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (davon auf Intensivstationen: 44), 2373 Todesfälle (+2). Sieben-Tage-Wert: 1435,3 (Stand: Sonntag).
- Schleswig-Holstein: 1362 Corona-Fälle (477.682), 623 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 39). 2263 Todesfälle (+5). Sieben-Tage-Wert: 1453,0; Hospitalisierungsinzidenz: 7,32 (Stand: Sonntag).
- Niedersachsen: 12.208 neue Corona-Fälle (1.594.135), 168 Covid-19-Patienten auf Intensivstationen, 7952 Todesfälle (+2). Sieben-Tage-Wert: 1977,6; Hospitalisierungsinzidenz: 16,3 (Stand: Sonntag).
- Mecklenburg-Vorpommern: 700 neue Corona-Fälle (381.843), 768 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 76), 1957 Todesfälle (+2), Sieben-Tage-Wert: 2366,5; Hospitalisierungsinzidenz: 11,9 (Stand: Sonntag).
- Bremen: 1107 neue Corona-Fälle (145.481), 172 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 14), 704 Todesfälle (+0). Sieben-Tage-Wert Stadt Bremen: 1422,6; Bremerhaven: 2146,1; Hospitalisierungsinzidenz (wegen Corona) Bremen: 3,88; Bremerhaven: 7,04 (Stand: Sonntag; Bremen gibt die Inzidenzen getrennt nach beiden Städten an).
Werden Reisen künftig teurer werden?
Otremba: Reisen wird auf jeden Fall einen anderen Wert bekommen. Die Menschen wissen nach der langen Zwangspause zu schätzen, dass sie wieder verreisen können. Flugpreise werden wahrscheinlich anziehen. Das Gastgewerbe in Hamburg hat schon jetzt rund 3.000 ihrer rund 34.000 Mitarbeiter verloren. Man wird auch über das Lohnniveau sprechen müssen. Wer unsere Stadt besucht, erwartet ja auch einen entsprechenden Service, aber das hat auch seinen Preis.
Was tut Hamburg jetzt dafür, um den Tourismus wieder anzukurbeln?
Otremba: Wir haben von der Stadt 2,2 Millionen Euro erhalten. Das Geld fließt in unsere Neustart-Kampagne „Weil wir Hamburg sind“. Wir sind auf den reichweitenstarken Medienportalen und in den sozialen Medien präsent. Außerdem haben wir deutschlandweit Anzeigen in Tageszeitungen und Plakatierungen geschaltet. Auch die Deutsche Bahn wirbt in ihrer aktuellen Kampagne für Hamburg als Reiseziel. Natürlich geht immer mehr. Aber wir wären nicht Hamburg, wenn wir nicht das Beste aus der Situation machen würden. Wir setzen auf die positive Wahrnehmung: Aktuell liegt Hamburg aber bei der Befragung nach den Reiseabsichten ganz vorn unter den deutschen Städten.
Seit April 2016 sind Sie Tourismuschef in Hamburg. Im Frühjahr des kommenden Jahres läuft Ihr Vertrag aus. Noch hat die Stadt nicht über eine Verlängerung entschieden. Wollen Sie weiter an Bord bleiben?
Otremba: Auf jeden Fall. Ich möchte auch in dieser schwierigen Zeit gemeinsam mit meinem Team und den vielen Partnern in der Stadt den Tourismus nach vorne bringen.