Hamburg. Linke und “Hinz & Kunzt“ sind überzeugt, die zentrale Unterbringung sei überholt und zu teuer. Der Senat widerspricht.

Kurz vor dem Auslaufen des in diesem Jahr wegen der Pandemie verlängerten Winternotprogramms ist erneut eine Diskussion über die beste Unterbringungsform für Obdachlose in Hamburg entbrannt.

Hintergrund sind die hohen Kosten für das Sicherheitspersonal in den zentralen Unterbringungen. Laut einer Antwort des Senats auf eine Kleine Anfrage der Linken-Sozialpolitikerin Stephanie Rose hat der Einsatz von Sicherheitspersonal im Winternotprogramm nach vorläufiger Schätzung bei 700.000 Euro gelegen – pro Monat.

Linke spricht von "Unsummen" für zentrale Unterbringung der Obdachlosen

Das Winternotprogramm läuft seit Anfang November. Normalerweise endet es laut Sozialbehörde im März, in diesem Jahr wurde es verlängert, um allen Obdachlosen eine Corona-Impfung anbieten zu können. Die Kosten beziehen sich laut Senat auf die Standorte Friesenstraße, Kollaustraße, Schmiedekoppel, Wärmestube und Eiffestraße. Insgesamt sind in diesen Unterkünften und in einigen dezentralen Einrichtungen laut Behörde rund 1200 Obdachlose untergebracht.

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Für Die Linke sind die hohen Sicherheitskosten ein weiteres Argument gegen eine zentrale Unterbringung. „Es ist nicht nachzuvollziehen, dass Unsummen für den Einsatz eines Sicherheitsdienstes ausgegeben werden, während die Mittel für andere Projekte nicht da sind“, sagte Linken-Politikerin Rose dem Abendblatt.

Kosten des Winternotprogramms hätten "zwei Jahre Housing First" finanziert

„Für diese Summe hätte man vermutlich mehr als 600 Menschen im Monat in einem Hotelzimmer unterbringen oder für zwei Jahre die Umsetzung von Housing First finanzieren können. All das wäre vermutlich deutlich nachhaltiger.“ Housing First ist ein zum Beispiel in Finnland erprobtes Programm, bei dem Obdachlose direkt und weitgehend ohne Vorbedingungen in Wohnungen vermittelt und dort bei Bedarf unterstützt werden.

„Ohne die Unterbringung in Massenunterkünften gäbe es gar keinen Grund für einen solchen Einsatz von Sicherheitspersonal“, sagte Rose. „Denn nur dort, wo viele Menschen zusammenkommen und es keine Möglichkeit des Rückzugs gibt, sind Konflikte programmiert. In kleineren Einrichtungen mit Einzelzimmern könnte man wohl auf die Security verzichten und diese Beträge weitaus sinnvoller ausgeben.“

"Hinz & Kunzt" hält zentrale Unterbringung für überholt – Senat widerspricht

Das sieht auch Sozialarbeiter Stephan Karrenbauer vom Straßenmagazin „Hinz & Kunzt“ so. „Wenn so viele Menschen aus unterschiedlichen Ländern und in unterschiedlichen psychischen und körperlichen Zuständen auf engstem Raum zusammenkommen, dann braucht man auch Sicherheitspersonal, und das kostet“, sagte Karrenbauer dem Abendblatt. „Aber diese Art der zentralen Unterbringung ist längst überholt. Wir brauchen viele kleine Einrichtungen, dann gibt es auch keine so hohen Sicherheitskosten. Ich hoffe sehr, dass die Stadt sich in diese Richtung bewegt.“

Im Senat bewertet man die Situation anders. Nur in zentralen Einrichtungen sei die Betreuung durch Sozialarbeiter und Dolmetscher gewährleistet, heißt es. Viele der Menschen, die ins Winternotprogramm kämen, seien psychisch und körperlich stark belastet, fast alle hätten Probleme mit Alkohol oder anderen Drogen. Zudem werde durch die zentralen Anlaufstellen sichergestellt, dass Betroffene rund um die Uhr in jeder Notlage ein Bett fänden. Das sei bei dezentralen Unterbringungen nicht sicherzustellen.

Sozialbehörde: "Das Winternotprogramm ist immer da"

„Wer in Hamburg in eine Notlage gerät, dem wird geholfen – einfach, ohne Formulare auszufüllen oder Ansprüche prüfen zu lassen“, sagte Sozialbehördensprecher Martin Helfrich. In den Einrichtungen gebe es „Mahlzeiten, Übernachtung, Waschgelegenheiten, ein eigenes festes Bett zur längeren Nutzung, wenn gewünscht, und eine umfassende Beratung, damit man möglichst mit einer geeigneten Perspektive entlassen wird“.

Das Winternotprogramm sei „immer da – auch wenn die Hotels wieder den normalen Betrieb aufnehmen und keine leeren Zimmer mehr zur Verfügung stellen können.“ Zudem seien die Menschen in den Unterbringungen sicher, dafür sorge der Wachdienst, dessen Einsatz „unter anderem auf Rückmeldungen der Klientinnen und Klienten zurückgeht“, so Helfrich. Dieser sorge dafür, „dass nur die Nutzer das Gebäude betreten, dass separate Unterkunftsbereiche für Frauen geschützt werden und es nicht zu Diebstählen oder Gewalt kommt“.

Hohe Kosten des Winternotprogramms auch wegen Corona

Im Winternotprogramm übernachteten „auch Menschen, denen es schwerfällt, den sozialen Frieden zu wahren, zum Beispiel weil sie suchtkrank oder schwer psychisch erkrankt sind“. Der Wachdienst stelle „gemeinsam mit den Teams von „Fördern und Wohnen“ sicher, „dass wir auch Menschen Schutz geben können, die sich nicht so friedlich verhalten, wie man es sich wünschen würde – und dass sich trotzdem alle sicher fühlen können“, so Helfrich.

Die hohen Kosten haben laut Sozialbehörde auch mit der Pandemie zu tun. So sei ein weiterer Standort mit 250 Plätzen eingerichtet worden, um Abstände zu gewährleisten. Zudem hätten Hygiene- und Abstandsregeln umgesetzt und auch Quarantänen überwacht werden müssen.

Die Sicherheitskosten machten „in der Tat einen erheblichen Teil der Gesamtkosten aus“, so Helfrich. „Einfach die Gesamtkosten für das Winternotprogramm in Hotelübernachtungen umzurechnen mag naheliegend klingen, ist es aber nicht: Die Stadt betreibt eine Infrastruktur, die stets offen und verfügbar ist – denn es ist ihre Aufgabe, für Notfälle ein solches Angebot vorzuhalten, unabhängig davon, ob es darüber hinaus anders organisierte Hilfen geben mag.“

Die aktuellen Corona-Fallzahlen aus ganz Norddeutschland:

  • Hamburg: 2311 neue Corona-Fälle (gesamt seit Pandemie-Beginn: 430.228), 465 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (davon auf Intensivstationen: 44), 2373 Todesfälle (+2). Sieben-Tage-Wert: 1435,3 (Stand: Sonntag).
  • Schleswig-Holstein: 1362 Corona-Fälle (477.682), 623 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 39). 2263 Todesfälle (+5). Sieben-Tage-Wert: 1453,0; Hospitalisierungsinzidenz: 7,32 (Stand: Sonntag).
  • Niedersachsen: 12.208 neue Corona-Fälle (1.594.135), 168 Covid-19-Patienten auf Intensivstationen, 7952 Todesfälle (+2). Sieben-Tage-Wert: 1977,6; Hospitalisierungsinzidenz: 16,3 (Stand: Sonntag).
  • Mecklenburg-Vorpommern: 700 neue Corona-Fälle (381.843), 768 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 76), 1957 Todesfälle (+2), Sieben-Tage-Wert: 2366,5; Hospitalisierungsinzidenz: 11,9 (Stand: Sonntag).
  • Bremen: 1107 neue Corona-Fälle (145.481), 172 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 14), 704 Todesfälle (+0). Sieben-Tage-Wert Stadt Bremen: 1422,6; Bremerhaven: 2146,1; Hospitalisierungsinzidenz (wegen Corona) Bremen: 3,88; Bremerhaven: 7,04 (Stand: Sonntag; Bremen gibt die Inzidenzen getrennt nach beiden Städten an).