Hamburg. Seit der Eskalation des Nahostkonflikts ist die Zahl der Ermittlungsverfahren wegen Antisemitismus deutlich gestiegen.
Eine offen judenfeindliche Demonstration mitten in Hamburg? Wer hätte das gedacht, wer hätte das gewollt, passiert ist es trotzdem: Am 28. Mai zogen bei einer pro-palästinensischen Demo rund 200 Menschen über den Steindamm, nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes steckte dahinter die verbotene islamistische Gruppe Hizb-ut-Tahrir.
Die Teilnehmer, schwarz gekleidet, halb uniformiert und straff organisiert, skandierten „Nieder mit den Besatzern“, „Israel – Kindermörder“ und trugen Särge über die Straße. Der Hamburger CDU-Politiker Ali Ertan Toprak filmte das und twitterte entsetzt: „Wir dürfen die Straße nicht länger diesen islamistischen Antisemiten überlassen!“
Antisemitische Straftaten: Zahl in Hamburg steigt im Mai
Solche martialischen Aufmärsche gab es seit der Eskalation der Gewalt in Israel am 10. Mai zuhauf in Deutschland – sie belegen, dass Mitläufer und Strippenzieher nicht (mehr) davor zurückschrecken, in aller Öffentlichkeit judenfeindliche Hetzparolen zu verbreiten. Deutlich gestiegen sind seither aber auch die antisemitischen Straftaten in Hamburg, wie aus der Senatsantwort auf eine Kleine Anfrage der Bürgerschaftsabgeordneten Anna von Treuenfels-Frowein (FDP) hervorgeht.
Demnach hat der Staatsschutz der Polizei vom 10. bis zum 31. Mai in „17 Sachverhalten Ermittlungsverfahren“ mit antisemitischem Hintergrund eingeleitet. Ermittelt wird, so der Senat, wegen des Verdachts der Beleidigung, der Sachbeschädigung, des Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz und wegen Volksverhetzung.
Judenfeindliche Demonstration "eine Eskalationsstufe mehr als gewohnt"
Natürlich sei diese Häufung vor allem ein Reflex auf den Konflikt in Nahost, sagte Philipp Stricharz, Vorsitzender der jüdischen Gemeinde in Hamburg, dem Abendblatt. „Sobald über solche Auseinandersetzungen in Israel berichtet wird, stehen die Juden in Deutschland, auch in Hamburg, wieder im Fokus von Menschen, die auf Hass und Übergriffe aus sind“, so Stricharz.
Auch er sei schockiert gewesen, als er die Bilder der judenfeindlichen Demo gesehen habe. „Für Hamburg war das eine Eskalationsstufe mehr als gewohnt.“ Solche Aktionen dienten wohl dazu, einen Keil zwischen die muslimischen Gruppen und die jüdische Gemeinde zu treiben. Das Verhältnis zwischen den Gruppen sei in Hamburg jedoch besser als in vielen anderen deutschen Städten. Nach der Demo hätten die muslimischen Gruppen der jüdischen Gemeinde jedenfalls ihre Solidarität versichert, so Stricharz.
Jüdische Hamburger werden oft gezielt und persönlich angegriffen
17 antisemitische Straftaten in drei Wochen – das liegt klar über dem, was „üblich“ ist. Wie den Senatsantworten auf drei quartalsbezogene Anfragen des linken Bürgerschaftsabgeordneten Deniz Celik für das Jahr 2020 zu entnehmen ist, geht die Polizei pro Monat durchschnittlich drei bis vier antisemitischen Straftaten nach. Bis Mitte Dezember des Vorjahres waren in Hamburg insgesamt 51 antisemitische Straftaten erfasst worden.
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Dabei fällt auf, dass die Taten mitunter sehr gezielt und persönlich waren. Mit Beleidigungen jüdischer Mitbürger per Mail, WhatsApp oder durch Anrufe war die Hamburger Polizei im Vorjahr mehrmals befasst; hinzu kamen schlimme „Standards“ wie antisemitische Schmierereien an Fassaden oder die wiederholte Leugnung des Holocausts im Internet.
Seit Mai ist die Zahl antisemitscher Straftaten deutlich gestiegen
Zuletzt, also zwischen dem 10. und 31. Mai, stieg die Frequenz der judenfeindlichen Straftaten in Hamburg deutlich – der Grad der Menschenverachtung hätte indes nicht viel tiefer sinken können. So fahndet die Polizei seit dem 26. Mai wegen Volksverhetzung nach einem Mann, der einem Radler auf der Ludwig-Erhard-Straße aus dem Auto zurief: „Ihr Juden gehört alle vergast!“
Der 20-Jährige trug eine Kippa. Fünf Tage später wurde der Polizei eine mutmaßlich antisemitische Schmiererei am Haus der jüdisch-liberalen Gemeinde an der Simon-von-Utrecht-Straße gemeldet.
FDP: Unter muslimischen Zuwanderern grassiert Antisemitismus
Der Senat bezeichnet in seiner Antwort Antisemitismus als „gesamtgesellschaftliches Phänomen“, das als solches bekämpft werden müsse. Hamburg habe deshalb eine Landesstrategie entwickelt. Zudem führe man Gespräche, um die Auswirkungen der Gewalt im Nahen Osten zu erörtern.
Aus Sicht von Anna von Treuenfels-Frowein reicht das aber nicht aus, der Senat müsse neue Konzepte entwickeln. „Es ist gut, wenn nach den widerwärtigen antisemitischen Aufläufen in Hamburg nun 17 Ermittlungsverfahren geführt werden“, so die FDP-Politikerin zum Abendblatt. „Aber es ist schlecht, wenn Rot-Grün offenbar keine Anstalten macht, um dem speziell unter muslimischen Zuwanderern grassierenden Antisemitismus entgegenzutreten.“