Hamburg. Janine Schwarze bekommt ein Jahr lang aus Spenden ein bedingungsloses Grundeinkommen. Das Konzept setzt eigentlich auf den Staat.

Als Janine Schwarze im Juli 2020 erfuhr, dass sie gewonnen hatte, konnte sie ihr Glück erst einmal gar nicht fassen. Ein Jahr lang sollte die Hamburgerin jeden Monat 1000 Euro überwiesen bekommen. Als Grundeinkommen ohne jede Bedingung, das sie völlig frei einsetzen konnte für alles, was sie sich erträumte oder schon immer mal ausprobieren wollte – als eine Investition in sich selbst.

Jahrelang hatte sie sich immer wieder bei dem Verein „Mein Grundeinkommen“ beworben, aber nie zu den glücklichen Gewinnern gezählt. Das änderte sich genau zum richtigen Zeitpunkt: Als Schauspielerin waren ihr in der Pandemie die Einnahmen weggebrochen, die Soforthilfe des Staates lief gerade aus. Angesichts der Corona-Krise konnte sie das Geld doppelt gut gebrauchen. „Das war schon wie eine himmlische Fügung“, sagt die 36-Jährige.

Bedingungsloses Grundeinkommen: Hamburgerin ist Schauspielerin

Janine Schwarze ist kein Luxusmensch, sie kommt mit sehr wenig aus. Das habe sie sich wohl selbst antrainiert, weil sie wusste, dass sie als Schauspielerin nicht mit hohen regelmäßigen Einkünften rechnen konnte, sagt sie. Nach der Schauspielschule in Hamburg arbeitete sie überwiegend bei freien Theaterprojekten mit, zunehmend dann auch als Regieassistentin. Nebenbei lernte sie Yoga und begann, sich als Yoga-Lehrerin ausbilden zu lassen. Das wurde ihr immer wichtiger, doch sie sah sich selbst noch auf der Suche.

Dann plötzlich das spendenfinanzierte bedingungslose Grundeinkommen: Schon kurz nach der „Glückwunsch-Sie-haben-gewonnen“-Mail war im August das erste Geld auf ihrem Konto. „Erst war ich kurz wie vor den Kopf gestoßen und wusste gar nicht, was ich nun damit anfange, dann fiel mir ganz viel auf einmal ein.“ Schnell kristallisierte sich heraus: Sie wollte sich weiterbilden, die Yoga-Ausbildung intensivieren. Das bedingungslose Grundeinkommen war „ein tolles Geschenk“. Es bedeutete für sie: „Fühl Dich frei!“

„Mein Grundeinkommen“ durch Spenden finanziert

Ihre beste Freundin hatte sie auf die Initiative aufmerksam gemacht, die als gemeinnützige Nichtregierungsorganisation (NGO) regelmäßig auf ein Jahr ausgelegte bedingungslose monatliche Zahlungen verlost. „Mein Grundeinkommen“, wie sich der Verein nennt, sieht sich als eines der „spannendsten Sozial-Labore“ der Welt. Er will auf eher unideologische Weise dazu beitragen, ein Konzept voranzubringen, das auf den ersten Blick abwegig erscheint, bei näherer Betrachtung aber seine Vorteile hat und immer mehr Fürsprecher findet: einen monatlichen finanziellen Grundstock für jede und jeden, der es ermöglicht, den eigenen Weg zu finden und der Gesellschaft etwas zurückzugeben.

Der Verein sammelt Spenden und sobald 12.000 Euro via Crowdfunding zusammengekommen sind, wird ein weiteres Grundeinkommen von 1000 Euro monatlich verlost. Jeden Monat gewinnen bundesweit mittlerweile rund 30 Menschen den Geldsegen, mehr als eine Million Menschen bewerben sich. Egal, ob arm oder reich, alt oder jung – der Gewinner bekommt das Geld und kann damit anfangen, was sie oder er möchte. Mehr als 180.000 Groß- und Kleinstspender machen das möglich. Auch Janine Schwarze spendet regelmäßig. „Wer mit leeren Händen kommt, geht auch mit leeren Händen“, sagt sie.

Hamburgerin während Corona ohne Einkommen

Die Hamburgerin brauchte das Geld zunächst einmal zum Leben, nachdem sie in der Corona-Pandemie ohne Einkommen dastand. Mit 1000 Euro kommt sie in etwa aus, sie ist eben Minimalistin. Im Herbst 2020 konnte Schwarze wieder anfangen, zumindest etwas zu arbeiten, und hatte dank des Geldes den Freiraum, ihren Träumen und Wünschen nachzuspüren: Sie wollte unbedingt ins Ausland, am besten, um dort zu leben. Sie fand heraus, wie wichtig ihr Yoga ist, insbesondere als heilende Therapie – das will sie nun ernsthafter angehen und die Schauspielerei eher nebenbei betreiben.

Ihren Weg hätte sie vielleicht auch ohne Grundeinkommen gefunden, doch für die Selbstständige, die finanziell wenig abgesichert ist, wäre es deutlich schwieriger geworden. „Das Geld gibt Ruhe, man lebt insgesamt deutlich entspannter.“ Sie empfindet große Dankbarkeit. „Dank so viel anderer Menschen, die das unterstützen und mitziehen, habe ich den Luxus eines finanzierten Jahres.“

„Es braucht jetzt einfach Praxisbeispiele"

Janine Schwarze ist eine von rund 800 Menschen, die der Verein „Mein Grundeinkommen“ nach eigenen Angaben seit seiner Gründung 2014 mit der monatlichen Überweisung beglückt hat. „Die Debatte wird seit Jahrzehnten voller ideologischer Glaubenssätze geführt“, sagt Gründer Michael Bohmeyer. Alle mutmaßten, was wohl passieren würde, wenn ein solches Grundeinkommen käme. „Es braucht jetzt einfach Praxisbeispiele, damit die Debatte substanziell geführt werden kann und wir einer möglichen Einführung vielleicht ein Schritt näher kommen“, sagt der Mitt-Dreißiger über seine Initiative.

Bohmeyer ist ein smarter Typ, er gibt der Idee ein sehr modernes Antlitz. Der Berliner entwickelte die Idee, nachdem er früh Internet-Start-ups gegründet hatte und Ende 2013 mit gerade mal 29 Jahren als Geschäftsführer ausstieg, aber als Mitgesellschafter einen Gewinnanteil erhielt. Das waren zunächst zufällig rund 1000 Euro im Monat. Seine Geschichte hat er seither häufig erzählt: Wie sich sein Leben veränderte, er weniger Streit mit seinem Kind hatte und ein neues Interesse an der Welt entwickelte.

Modellversuch startet jetzt mit 122 Teilnehmern

Das war für ihn der Anstoß, das soziale Experiment eines spendenfinanzierten Grundeinkommens ohne Vorbedingungen zu starten. Sein Buch mit dem Titel „Was würdest du tun?“ ist längst ein Bestseller. Bohmeyer findet: „Wer wirklich freie Menschen will, muss ihnen diese Freiheit auch zutrauen“, wie er einst im Interview sagte. Einer nicht repräsentativen Umfrage unter den Gewinnern des Grundeinkommens zufolge, die der Verein selbst anstellte, verspüren die meisten Teilnehmer in dem Jahr ohne finanzielle Sorgen mehr Tatendrang, sind mutiger und neugieriger, und sie fragen sich vermehrt, wie sie wirklich leben wollen.

Diese Erfahrungen haben den Verein ermutigt, jetzt gemeinsam mit dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) das erste zivilgesellschaftliche Pilotprojekt zum Grundeinkommen zu starten. In einer wissenschaftlich begleiteten Langzeitstudie erhalten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer drei Jahre lang jeweils 1200 Euro im Monat. In dieser Woche startete das Pilotprojekt mit der ersten Auszahlung. Die Studie soll untersuchen, welche Auswirkungen ein Grundeinkommen ohne direkte Gegenleistung im Alltag und auf das Arbeitsleben der Menschen haben könnte. 122 Menschen wurden aus mehr als zwei Millionen Bewerbern ausgewählt.

Grundidee von Grundeinkommen setzt auf Staat

Die Forscher um den wissenschaftlichen Leiter Prof. Jürgen Schupp erhoffen sich weitere Antworten auf viele Fragen: Entwickelt die Menschen mehr Gemeinsinn? Ermöglicht es eine bessere Arbeit oder mehr Weiterbildung? Treffen die Teilnehmer tatsächlich mutigere Entscheidungen?

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Janine Schwarzes monatliche Überweisung wird aus Spenden finanziert. Die Grundidee, die dahintersteht und seit Jahren extrem kontrovers diskutiert wird, setzt hingegen auf den Staat. Diesen anderen Weg geht auch die Volksinitiative des Vereins „Expedition Grundeinkommen Hamburg“. Sie möchte in der Hansestadt im Rahmen eines wissenschaftlichen Modellversuchs mit mindestens 2000 Teilnehmern ebenfalls „Wirkung, Akzeptanz und Umsetzbarkeit verschiedener Varianten des bedingungslosen Grundeinkommens“ erproben, aber eben nicht mithilfe von Spenden, sondern durch Steuergelder finanziert. Konkret sollen dabei repräsentativ ausgewählte Personen für drei Jahre lang ein Grundeinkommen erhalten. Dazu soll es eine Kontrollgruppe geben, die keine Zahlungen erhält.

Initiatoren mussten 65.000 Unterschriften sammeln

Die Vertreter der bundesweit umtriebigen Initiative hatten in Hamburg unmittelbar vor Beginn der Corona-Pandemie bis Anfang März 2020 mehr als die erforderlichen 10.000 Unterschriften im Rathaus eingereicht. Die erste Hürde der Volksgesetzgebung war damit genommen, die Volksinitiative amtlich besiegelt zustande gekommen. Doch nun liegt sie auf Eis.

Anfang September 2020 hatten die Initiatoren im nächsten Schritt beim Senat die Durchführung eines Volksbegehrens beantragt. Dabei hätte sie dann später noch einmal rund 65.000 Unterschriften sammeln müssen. Doch der Senat lehnte ab. Unter anderem führte er ins Feld, die Hansestadt habe nicht die Kompetenz zur Durchführung des Modellversuchs und ein solcher wäre ein Verstoß gegen den Haushaltsvorbehalt des Parlaments. Das sieht die Initiative anders. Nun muss das Hamburgische Verfassungsgericht darüber entscheiden. Voraussichtlich im Sommer soll es zu einer mündlichen Verhandlung kommen.

Anderes Vorgehen in Berlin

In Berlin sieht man das offensichtlich anders. Das dortige Abgeordnetenhaus hat eine ganz ähnliche Initiative in der Hauptstadt zumindest zugelassen, weil die formalen Anforderungen erfüllt seien. Die Berliner Parlamentarier befassen sich derzeit mit dem Antrag auf ein Volksbegehren. Die Initiatoren um die Berlinerin Laura Brämswig durften ihre Argumente jetzt im zuständigen Ausschuss vortragen. Die unterschiedliche Handhabung in Hamburg und Berlin kann der Verein „Mehr Demokratie“ aus der Hansestadt nicht nachvollziehen. Zumal im Hamburger Antrag als Kosten lediglich 40 Millionen Euro, verteilt auf acht Haushaltsjahre, genannt werden.

Die Initiatoren des Vereins „Expedition Grundeinkommen Hamburg“ um Laura Brämswig jubelten Anfang 2020, als sie die Unterschriften für ihre Volksinitiative im Rathaus abgaben.
Die Initiatoren des Vereins „Expedition Grundeinkommen Hamburg“ um Laura Brämswig jubelten Anfang 2020, als sie die Unterschriften für ihre Volksinitiative im Rathaus abgaben. © FUNKE Foto Services | Michael Rauhe

Die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens wird nicht nur in den beiden größten deutschen Städten diskutiert, sondern weltweit. Kern ist ein sozialpolitisches Transferkonzept, nach dem jeder Bürger – in den meisten Modellen unabhängig von seiner wirtschaftlichen Lage – monatlich eine gesetzlich festgelegte und vom Staat ausgezahlte Summe erhält. Dafür entfielen Sozialleistungen wie Arbeitslosengeld oder Sozialhilfe; aufwendige Anspruchsprüfungen wären überflüssig. Das Modell soll auch dazu dienen, die Folgen des drohenden Verlusts von Arbeitsplätzen durch technologische Rationalisierungsprozesse und die digitale Revolution abzufedern.

Kritiker: Grundeinkommen setzt falsche Anreize

Das Konzept hat prominente Fürsprecher: 2017 warb auch der Hamburger Ökonom Thomas Straubhaar in seinem Buch „Radikal gerecht: Wie das bedingungslose Grundeinkommen den Sozialstaat revolutioniert“ für ein solches Modell. Der Staat, so argumentierte der frühere Direktor des Hamburger Weltwirtschaftsinstituts (HWWI), investiere nicht länger in die Verwaltung des Mangels, sondern in eine gerechte Gleichbehandlung aller – und bezahlbar sei das Modell ebenfalls. In einer sich rasant wandelnden Arbeitswelt, so glauben auch die Gründer der Volksinitiativen, biete das Grundeinkommen Menschen die Sicherheit, sich beruflich umzuorientieren und neue Wege zu gehen – was der Gesellschaft insgesamt zugute komme.

Gegner wenden ein, das Grundeinkommen sei nicht finanzierbar und setze falsche Anreize: Ein Teil der Bevölkerung würde gar nicht oder weniger arbeiten, wenn es jeden Monat garantiertes Geld vom Staat gebe. Wenn die Regierung dem Einzelnen die Notwendigkeit abnehme, für sich selbst zu sorgen, mache das die Menschen nicht frei, sondern schaffe Anhängigkeiten. Der Sozialstaat werde in absurder Weise aufgebläht. „Leistung muss sich lohnen. Und wer arbeitet, muss mehr haben, als wenn er nicht arbeitet“, hieß es beispielsweise von der Hamburger CDU.

Hamburgerin sparte ein Teil des Grundeinkommens

Janine Schwarzes sorgenfreies Jahr geht bald zu Ende. Dieser Gedanke verursachte bei ihr erstmal ein mulmiges Gefühl. Doch das war nur ein kurzer Moment. Ihr Leben hat keine komplett neue Ausrichtung bekommen, aber was bestärkt wurde, ist ein positiver Blick in die Zukunft, ein Urvertrauen, das Gefühl von: „Das wird schon“. Weg vom „Man könnte ja mal“ hin zu „Das versuche ich jetzt“. Sie hat einen Teil des Geldes gespart, als Startkapital für etwas Neues. Schwarze würde gern im Ausland leben. „Ich bin zu vorsichtig veranlagt, um einfach so loszuziehen, aber durch das Grundeinkommen wird ein solches Projekt realistischer.“