Lauenburg/Hamburg. Die Künstlerin aus Hamburg ist Gewinnerin des diesjährigen Sonderstipendiums des Künstlerhauses in Lauenburg. Ihre Geschichte.
Kunst mit Kindern: Wer das hört, denkt unweigerlich an Projekte, bei denen die Kleinen ihre kreative Seite entdecken und ihrer Fantasie freien Lauf lassen können. Kaum jemand wird sich dabei die folgende Szene vorstellen: Mitten in einen künstlerischen Prozess platzt ein Teenager und braucht Hilfe beim virtuellen Unterricht. Und die Hosenbeine des Sprösslings sind schon wieder zu kurz, das knappe Monatsbudget aber längst aufgebraucht. Sollte man deshalb vielleicht besser sagen: Kunst trotz Kind? Gerade jetzt in der Corona-Krise?
Aleen Solari ist eine vielfach preisgekrönte Künstlerin und Gastprofessorin aus Hamburg. Und sie ist Mutter 13-jähriger Zwillinge. Derzeit versucht sie, sich und ihre Kinder finanziell über Wasser zu halten. Wenigstens für die nächsten vier Monate kann die 41-Jährige ein wenig durchatmen: Sie erhält das Sonderstipendium des Lauenburger Künstlerhauses für Künstler mit Kindern.
Initiative „Mehr Mütter für die Kunst“ schon vor Corona gegründet
Die Initiative „Mehr Mütter für die Kunst“ wurde im November 2019 von der ebenfalls in Hamburg lebenden Künstlerin Marcia Breuer gegründet. Sie machte damit schon vor der Corona-Krise auf ein bekanntes Dilemma aufmerksam, das vor allem Frauen betrifft: Kunst mit der Familiengründung zu verbinden. Ihrer Erfahrung nach hätten Frauen mit Kindern bei der Vergabe von Kunststipendien nur selten eine Chance. Schon allein deshalb, weil die Mehrzahl aller Stipendien eine Residenzpflicht voraussetzen und damit für Mütter in der Regel nicht infrage kämen.
Diese Erfahrung hat auch Aleen Solari gemacht. Dazu kommt: In der Corona-Krise fallen viele Nebenjobs weg, mit denen sich Künstler meist über Wasser halten. Deshalb ist die Konkurrenz ungleich größer, wenn irgendwo ein Stipendium ausgeschrieben wird. „Im Schnitt gibt es dreimal so viele Bewerbungen auf eine Ausschreibung als vor Corona“, weiß Aleen Solari.
Künstlerin möchte nicht aus der Künstlersozialkasse fliegen
Sie hat sich nie nur auf ihre Kunst verlassen, gerade weil sie als alleinstehende Mutter nicht nur für sich verantwortlich ist. „Ich arbeite in einer Agentur für weibliche Türsteherinnen. Vor dem Lockdown haben wir viele Veranstaltungen betreut. Das ist komplett weggefallen“, erzählt sie. So wie auch ihre Stelle in einer Kunstwerkstatt für junge Frauen mit psychischen Erkrankungen. Auch diese Einrichtung war lange geschlossen. „Derzeit jobbe ich auf 450-Euro-Basis als Ordnerin in einem Impfzentrum.“
Das Problem: Wegen ihrer vielen Tätigkeiten fällt Aleen Solari fast durch alle Raster staatlicher Förderung. „Weil ich als Gastprofessorin 2019 für ein paar Stunden im Monat fest angestellt war, gelte ich nicht als voll freischaffend. Außerdem zählen zum Beispiel die Einnahmen aus Preisgeldern nicht mit, wenn Verdienstausfälle berechnet werden. Davon leben wir aber normalerweise die meiste Zeit, weil ich keine klassische Verkaufskunst produziere“, erzählt sie.
Ihren Status als selbstständige Künstlerin möchte sie trotzdem nicht aufgeben, schon um nicht aus der Künstlersozialkasse zu fliegen, die für sie die Sozialabgaben übernimmt. „Es ist ein enormes Risiko, das ich eingehe, aber ich liebe meine Unabhängigkeit. Deshalb will ich mich überhaupt nicht beklagen und habe kein Problem damit, in mehreren Jobs hart dafür zu arbeiten. Nur momentan sind mir coronabedingt einfach die Hände gebunden“, bedauert sie.
Kunst ohne Pathos, aber mit gewollten Brüchen und Augenzwinkern
Liest man die Kritiken der Experten, kommt man gar nicht auf die Idee, dass eine so vielseitige Künstlerin solche Sorgen plagen. Bis zum ersten Lockdown im März 2020 war Aleen Solari bundesweit regelmäßig in Kunstausstellungen vertreten. „Solari ist eine hervorragende Beobachterin, die durch sichtliche Freude Stimmungen zielsicher trifft. Dies tut sie mit einem Augenzwinkern, ohne dabei respektlos oder überheblich zu sein. Ihre Arbeit zeugt von Liebe zum Material, Einfühlungsvermögen, Verstehenwollen, dem Wunsch nach Auseinandersetzung und Verständigung“, schreibt die Hamburger Kunstkritikerin Anna Sabrina Schmid über eine Ausstellungseröffnung im Februar 2020 in der Hamburger Kunsthalle.
Aleen Solaris Arbeiten fallen aus dem Rahmen, erschließen sich nicht im ersten Augenblick. Zum Beispiel kombiniert sie pastellfarbene, wie von Kinderhand geformte Figuren mit Szenen, in denen Menschen einfach dasitzen und warten. Die Fachjury des Künstlerhause fand dafür wohlklingende Worte: „In Aleen Solaris Arbeiten trifft ein aktueller Kulturremix auf Brüche im System. In ihrer künstlerischen Praxis arbeitet sie medienübergreifend und verbindet Performances mit Malerei, Skulptur, Fotografie und Film.“ Die Künstlerin umschreibt ihren Anspruch so: „Ich misstraue der hehren Kunst, ihrem Pathos, will aber alle einladen, sich mit Kunst zu befassen.“
Es gab insgesamt 186 Bewerbungen auf das Sonderstipendium des Künstlerhauses. Aleen Solari kann sich nun vom 1. Juli bis 31. Oktober ihrem neuen Projekt widmen: Entstehen soll ein „Tableau Vivant“, ein sogenanntes lebendes Bild.