Hamburg. Immer mehr Menschen entdecken Vorzüge heimischer Früchte. Auf Gut Karlshöhe werden Apfelbäume, Birnen, Pflaumen und Kirschen gepflegt.

Laue Abendluft weht über kniehohes Gras. Zwei Männer schwingen die Sensen, während die letzten Obstbäume dieses Frühlings in voller Blüte stehen. Etwa der Rheinische Winterrambur, eine Apfelsorte aus dem 17. Jahrhundert, wuchsfreudig und mit lagerfähigen Früchten.

Es sind die beiden Biologen Wolfram Hammer und Jürgen Forkel-Schubert, die auf dieser Wiese Hand anlegen – ehrenamtlich im Auftrag des BUND (Bund für Umwelt und Naturschutz). Gemeinsam pflegen und gestalten die langjährigen BUND-Mitglieder ein kleines Paradies mitten in der Stadt. Gut einen Hektar groß ist die Streuobstwiese auf Gut Karlshöhe in Bramfeld, dem Hamburger Umweltzentrum. Es wird von der Hamburger Klimaschutzstiftung betrieben.

Kaum Streuobstwiesen in Hamburg

„Streuobstwiesen sind ein wertvoller Bestandteil einer artenreichen Kulturlandschaft. Und sie liefern gesundes, regionales Obst, das häufig sogar für Allergiker geeignet ist. Deshalb setzen wir uns für ihren Erhalt ein“, sagen die beiden Biologen. Der Pomologen-Verein, dem Apfelkundler aus ganz Deutschland angehören, bringt die Lage so auf den Punkt: Fast unbemerkt verschwinden seit Jahrzehnten die hochstämmigen Obstbäume aus den Gärten, von den Wegrändern und Wiesen.

Mit anderen Sorten lässt sich einfach mehr Geld verdienen. Nach Schätzungen existieren bundesweit rund 300.000 Hektar Streuobstbestände, die meisten davon befinden sich in Baden-Württemberg, sagt Wolfram Hammer. In Hamburg gebe es weniger als zehn solcher Wiesen. Vier von ihnen werden vom BUND betreut, darunter in Volksdorf und Wilhelmsburg.

Hamburger entdecken Vorzüge alter heimischen Sorten

Während die Mehrheit der Konsumenten knackig rote und chemisch behandelte Äpfel aus den Supermärkten bevorzugt, entdecken jedoch immer mehr Menschen die Vorzüge alter heimischen Sorten. „Auf unserer Streuobstwiese wachsen rund 150 Bäume. Sie sind teilweise 100 Jahre alt. Neben Äpfeln sind es Birnen, Pflaumen, Edelkastanien und Kirschen wie die Dönissens Gelbe Knorpelkirsche“, sagt Jürgen Forkel-Schubert. Alle alten Sorten seien resistent gegen bestimmte Krankheiten und geschmacklich vielfältiger als die gängigen Marktsorten.

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Der BUND-Ehrenamtliche hatte einst das Umweltzentrum geleitet und war danach viele Jahre in der Hamburger Umweltbehörde tätig. Jetzt pflegt er diese Streuobstwiese – aus Liebe zur Natur. Sein privater Garten sei gerade mal 60 Quadratmeter groß, erzählt Forkel-Schubert. „Aber da wachsen immerhin 30 Bäume.“ Wie das geht? „Alles Bonsai“, sagt er schmunzelnd.

Natur gibt Takt für Hamburgs Streuobstwiese vor

Wie er berichtet, wurde die Bramfelder Streuobstwiese Anfang der 1920er-Jahre angelegt, nachdem die Stadt Gut Karlshöhe gekauft hatte. Wo heute auch neu gepflanzte Exemplare wie die Bürgermeisterbirne wachsen, Hummeln und Waldeidechsen leben, legten einst Hühner – darunter das Deutsche Reichshuhn – ihre Eier um die Wette. Das ursprünglich als Geflügelfarm genutzte Gelände war zeitweise eine Lehranstalt für Geflügelwirtschaft mit „Wettlegehof“. Seit Ende der 1980er-Jahre bis heute betreut die Bezirksgruppe Wandsbek des BUND die Streuobstwiese ehrenamtlich.

Den Takt gibt jedes Jahr aufs Neue die Natur vor. Im Winter werden die Bäume geschnitten, im Frühjahr Baumscheiben gepflegt und gedüngt, im Juni die Triebe ausgedünnt – und im August beginnt die Ernte. In guten Jahren ernten die BUND-Aktiven und Gutsmitarbeiter rund 30 Schubkarren voll, „das sind etwa 15 Doppelzentner“, sagt Wolfram Hammer. Etliches davon landet in der umweltpädagogischen Arbeit mit Kindern, die Gut Karlshöhe anbietet. Ein anderer Teil wird verzehrt und zu Saft gepresst. Dafür kommt extra der Apfelkundler Ulrich Kubina mit seinem Saftmobil vorbei. Die Maschine ist gut 2,8 Tonnen schwer und legt jährlich rund 10.000 Kilometer zurück. Vor Ort wird das frische Obst zu Saft verarbeitet. Die Äpfel werden gewaschen, zerkleinert und schließlich gepresst.

Leben kehrt aufs Hamburger Gut zurück

Weil das Gut Karlshöhe und damit auch die Obstwiese rund um die Uhr zugänglich ist, schlagen in der Erntezeit immer wieder Diebe zu. „Sie stehlen das Obst, und weil manchmal sogar ganze Bäume über Nacht abgeerntet werden, gehen wir davon aus, dass manche das Obst auch weiterverkaufen“, sagt Hammer. Das sei kein Kavaliersdelikt, sondern eine Straftat.

Nach langen Monaten des Lockdowns kehrt nun das öffentliche Leben auf das Gut zurück. So ist auch die Streuobstwiese beim Tag der Stadtnatur am 12 und 13. Juni mit dabei. (tagder-stadtnaturhamburg.de/) Biologe Forkel-Schubert wird zwei Führungen leiten. Und ganz bestimmt zeigt er auch eine „Ruine“: Einen alten, zu 99 Prozent abgestorbenen Boskop, den ein Fahrradschlauch zusammenhält. Aber er lebt und blüht auf fast totem Holz.