Hamburg. Am Freitag startete der Benefizlauf zugunsten des Kinderkompetenzzentrums am UKE. Jeder kann mitmachen – und jeder Kilometer zählt.

Dieses kleine, zarte Kind. Es ist wehrlos, hilflos und in jeder Hinsicht auf Zuwendung angewiesen, auf Schutz. Und doch sind da eindeutig Anzeichen von Gewalt: der Körper voller Striemen und die Seele wund. Verängstigt steht der Vierjährige da, darauf bedacht, möglichst nichts zu tun, was seine Eltern wütend machen könnte.

Er hat Furcht vor weiteren Schlägen. Sie treffen ihn immer wieder, sie tun ihm sehr weh. Und sie nehmen ihm das, was er am Nötigsten braucht: das Gefühl der Sicherheit, der Unversehrtheit, der Geborgenheit.

Kindesmissbrauch: 850 Untersuchungen jährlich im UKE

Misshandelte Kinder wie diesen kleinen Jungen sieht der Direktor des Instituts für Rechtsmedizin, Prof. Benjamin Ondruschka, immer wieder. Er und seine Kollegen im Kinderkompetenzzentrum des UKE untersuchen die Jüngsten, die misshandelt, vernachlässigt oder missbraucht worden sind.

„Jedes Jahr sind das rund 850 Untersuchungen, um diese Fragen zu beantworten. Das sind 850 zu viel“, mahnt der Rechtsmediziner. „Und das geschieht hier in Hamburg, in einer deutschen Großstadt. Wir erleben jeden Tag Misshandlungen. Es geht durch alle Bevölkerungsschichten. Es ist ein Problem, das mitten unter uns ist.“

"Ein Kind hat das Recht auf eine gewaltfreie Erziehung"

Die Gesellschaft müsse für das Thema Kindesmisshandlung sensibilisiert werden, ist der Rechtsmediziner überzeugt. Vernachlässigung oder Misshandlungen geschähen „tagtäglich. Es ist wichtig, dass man hinschaut. Schon die Ohrfeige im Supermarkt ist nicht normal!“, betont Ondruschka. „Ein Kind hat das Recht auf eine gewaltfreie Erziehung. Wir wollen, dass man irgendwann sagen kann: Kein Kind muss Angst haben, verprügelt zu werden, nichts zu essen zu bekommen, missbraucht zu werden.“

Der Schutz der Unversehrtheit der Kleinsten sei seine „Herzensangelegenheit. Das Thema ist so wichtig, dass wir alle Möglichkeiten ausschöpfen müssen, immer wieder darauf hinzuweisen und zu sensibilisieren.“

UKE-Benefizlauf steht ganz im Zeichen des Kinderschutzes

Deshalb wird in diesem Jahr der UKE-Benefizlauf, der am Freitag Nachmittag begann, ganz im Zeichen des Kinderschutzes stehen. „Der Lauf, bei dem sich jeder beteiligen kann, soll über 100 Tage gehen“, erklärt Prof. Ondruschka. „Wir wollen damit zeigen, dass Gewalt gegen Kinder nicht das singuläre Einzelproblem ist, sondern immer wieder vorkommt. Mit unserem Benefizlauf kämpfen wir für die Rechte der Kinder.“

Bis Sonntag, 29. August, können Sportbegeisterte zugunsten des Kinderkompetenzzentrums am UKE individuell beim Benefizlauf, der erstmals online stattfindet, an den Start gehen.

UKE-Benefizlauf: Erlös für Kinderkompetenzzentrum

Den Startschuss haben zusammen mit Ondruschka Hamburgs Sozialsenatorin Melanie Leonhard (SPD) und Prof. Burkhard Göke, Ärztlicher Direktor des UKE, gegeben. „Wenn Zweifel am Wohl eines Kindes bestehen, unterstützt und berät bei uns in Hamburg das Kinderkompetenzzentrum“, betont Leonhard. „Das ist eine wichtige Institution in unserer Stadt, weil die Stärke einer Gesellschaft auch daran zu messen ist, wie gut sie Schutz für die Schwächsten und Jüngsten sicherstellt.“

Dass mit dem Erlös des Benefizlaufs das Kinderkompetenzzentrum unterstützt werde, sei „ein tolles Zeichen und hilft Kindern, die am meisten auf Hilfe angewiesen sind. Ich bin sehr froh über unsere gute Zusammenarbeit in diesem Feld“, so die Senatorin.

Für jeden Kilometer kann ein Betrag gespendet werden

„Es zählt jeder Kilometer – egal ob er gelaufen, geschwommen oder geradelt wird“, erklärt UKE-Chef Göke zu dem Lauf. „Kinder benötigen starke Schutzstrukturen“, macht Göke deutlich. „Dafür setzen wir uns im Kinder-KOMPT seit Jahren ein.“ Die erste Etappe ist Rechtsmediziner Ondruschka selbst gelaufen.

Interessierte können sich von sofort an unter www.uke.de/benefizlauf registrieren, an Terminen ihrer Wahl loslaufen und die erreichten Kilometer online angeben. Für jeden Kilometer kann ein frei gewählter Betrag, zum Beispiel 1 Euro pro Kilometer oder mehr, gespendet werden. Alternativ können auch Sportpaten gesucht werden, die stattdessen für den guten Zweck zahlen. „Unser Ziel ist es, 10.000 Kilometer zu schaffen und damit möglichst 10.000 Euro zu sammeln“, erklärt Ondruschka. „Wenn es mehr werden, umso besser.“

Hämatome durch Stockschläge – Eltern suchen Ausreden

Im Kinderkompetenzzentrum der Rechtsmedizin am UKE werden beispielsweise Kinder untersucht, die Hämatome haben, die eindeutig durch Stockschläge oder Gürtelschnallen verursacht wurden. Von den Eltern werde häufig eine Ausrede gesucht, etwa die Erklärung, dass das Kind vom Klettergerüst gefallen sei, berichtet Ondruschka.

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Doch bei den Untersuchungen durch die rechtsmedizinischen Fachleute wird die wahre Ursache für die Verletzungen ermittelt. Abhängig davon, ob bei einer Untersuchung der kleinen Patienten durch die Experten eine Misshandlung festgestellt wird und welches Ausmaß sie aufweist, gibt es beispielsweise Auflagen für die Eltern, ihr Kind regelmäßig weiter im Kinderkompetenzzentrum vorzustellen. Gegebenenfalls werden auch das Jugendamt oder die Polizei verständigt.

Bei diesen Verletzungen müssen Alarmglocken angehen

„Wir sehen auch Kinder, die so abgemagert sind, dass das lebensbedrohlich ist“, erzählt Ondruschka. Und es gebe Säuglinge, die Opfer des gefährlichen Schütteltraumas wurden und dauerhaft schwer geschädigt sind. „Wir sehen zudem frische Knochenbrüche und alte, unbehandelte Frakturen, die sehr schmerzhaft gewesen sein müssen.“ Es würden Kinder vorgestellt mit Verletzungen an Körperstellen, „die nur durch ein festes Zugreifen, Fixieren oder Oberschenkelspreizen entstanden sein können — und nicht durch Stolpern oder Rangeln zu erklären sind“.

Alarmglocken müssten angehen, wenn ein Kind beispielsweise an Bauch, Rücken, Hals oder Oberarmen verletzt ist — also an Lokalisationen, wo sie gerade nicht drauf fallen. „Der leiseste Verdacht sollte Anlass geben darüber nachzudenken, ob hier eine Kindesmisshandlung vorliegt“, appelliert der Rechtsmediziner. „Man sollte beobachten, dokumentieren und das Kinderkompetenzzentrum benachrichtigen.“

Dunkelziffer könnte während Pandemie gestiegen sein

Typisch für ein dauerhaft misshandeltes Kind sei, dass es sich übermäßig angepasst verhält, erklärt Ondruschka. Ebenfalls charakteristisch sei eine „altersuntypische Distanzlosigkeit. Ein vierjähriges Mädchen würde sich normalerweise nicht einfach so bei einem fremden Menschen wie dem Ärzteteam auf den Schoß setzen oder diese umarmen. Hier aber ist es die Symbolik als Suche nach Schutz.“

Während der Corona-Pandemie könnte die Dunkelziffer von Misshandlung und Vernachlässigung betroffener Kinder sogar weiter gestiegen sein, warnt der Rechtsmediziner. Zwar seien zahlreiche Studien dazu noch nicht abgeschlossen, aber alle kämen zum selben Fazit: „Die Anzahl der Untersuchungen, die die Kinderschutzambulanzen durchführen, ist nur die Spitze des Eisbergs. Es gibt eine große Dunkelziffer.“

Im zweiten Lockdown im Herbst habe es in Hamburg eine „stabil hohe Untersuchungszahl“ gegeben, so Ondruschka. „Das Risiko besteht gerade nicht im Urlaub, sondern im gedrängten Zusammensein, dem Alltagsstress zu Hause. Es ist zu erwarten, dass Kinder gerade in einer Phase, in der sie nicht unter sozialer Kontrolle beispielsweise in Schule und Kita stehen, durchaus Misshandlungen erlitten haben. Wir können Misshandlungen nicht rückgängig machen“, betont Rechtsmediziner Ondruschka. „Aber wird können helfen, dass die Kinder das Erlebte nicht erneut erfahren müssen und dass Geschwister geschützt werden.“

Das Kinderkompetenzzentrum ist jederzeit zu erreichen unter Email: kinderkompetenzzentrum@uke.de oder Telefon 7410 52127