Hamburg. Am Großmarkt entsteht das Quartier von morgen. Der Pavillon des digitalen Campus ist vollendet, bald folgt ein Holzhochhaus.

Aller Anfang ist schwer: Mit lautem Beifall ging 2015 die Idee von Hammerbrookyln an den Start: Auf dem damals noch abseits liegenden Areal am Stadtdeich im Schatten des Großmarktes wollten der Kreative Ma­thias Müller-Using, der Ökonom Henning Vöpel und der Digitalisierungsexperte Björn Bloching etwas ganz Großes erschaffen: einen digitalen Campus, eine Zukunftswerkstatt für die Stadt. Mit dem US-Pavillon der Expo in Mailand gab es rasch einen Genius Loci.

Doch bevor das Projekt richtig Fahrt aufnehmen konnte, zerstritten sich erst die drei Initiatoren – und dann kam Corona. Inzwischen aber wächst das ambitionierte Projekt zwischen Großmarkt und Deichtorhallen. Die Art-Invest Real Estate ist Bauherr, die Stadt Hamburg sowie Vöpel und Bloching initiierten die gemeinnützige Stiftung „Hammerbrooklyn – Stadt der Zukunft“. Als Impuls- und Ideengeber ist zudem die Factory Berlin eingestiegen. Vor einigen Tagen wurde coronagemäß im kleinen Kreis der eins­tige Expo-Pavillon eröffnet. Eine Idee wird Wirklichkeit.

Verbindung aus Neuer und Alter Welt

Der Name ist Programm: Hammerbrook wird zu Hammerbrooklyn, er soll eine Verbindung knüpfen aus Neuer und Alter Welt, aus Hamburg und New York, aus Vergangenheit und Zukunft. Bauherr ist der Projektentwickler, Asset Manager und Investor Art-Invest, einer der großen Player im Land. Im Podcast „Was wird aus Hamburg“ beschreibt Martin ­Wolfrat, der Leiter der Niederlassung Hamburg von Art-Invest, worum es bei dem Quartier geht.

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„Hammerbrooklyn gehört zu den Top-5-Projekten, die wir international entwickeln“, sagt er. Bis 2027 sollen auf zwei Baufeldern fünf Gebäude mit einer Bruttogeschossfläche von insgesamt rund 60.000 Quadratmetern entstehen. Als Gesamtinvestitionsvolumen werden 200 Millionen Euro kolportiert. Wolfrat spricht etwas vager von einem „dreistelligen Millionenbetrag“.

Innovationsstandort am Wasser

Entstehen soll ein Innovationsstandort am Wasser, der Hamburg bislang fehlt. „Die Idee des Ortes ist besonders, und die Architektur macht ihn einzigartig“, sagt Wolfrat. „Wir sind eingestiegen, weil wir das Projekt hochspannend finden. Hier geht es um die Zukunft der Arbeit, ressourcenschonendes Bauen und moderne Mobilitätslösungen zugleich“, sagt der 41-Jährige.

Hammerbrooklyn ist mehr als ein Immobilienprojekt – in dem Quartier sollen Firmen die Welt von morgen denken und entwickeln. „Wir möchten die kreativsten Köpfe an diesem Ort zusammenbringen. Hammerbrooklyn soll ein Ort des Austausches werden und Strahlkraft weit über die Grenzen hinaus entwickeln.“ Nach der Pandemie soll die Arbeit dort richtig beginnen.

„Wir haben mit der Gründung der Stiftung und dem Einstieg der Factory Berlin Meilensteine erreicht. Das ist eine tolle Kombination.“ Hinter der Factory Berlin verbirgt sich ein erfolgreicher Inkubator, ein Brutkasten für Innovationen und Firmengründungen. Seit 2014 hat das Unternehmen als „Keimzelle“ für Start-ups Investments von einer Milliarde Euro ermöglicht. Mit der Factory Hammerbrooklyn wagen die Berliner nun erstmals die Expansion in eine andere Stadt.

Fünfzehngeschossiges Gebäude in Holz-Hybrid-Bauweise

Das erste Gebäude im ersten Bauabschnitt ist gerade fertig geworden: So zog der Pavillon der USA, den der New Yorker Architekt James Biber für die Expo 2015 entworfen hatte, von Mailand an den Stadtdeich. „Das Thema Upcycling bewegt alle. Wir wollten ein bereits bestehendes Gebäude wiederverwerten und durch weitere Neubauten ergänzen“, sagt Wolfrat.

Das temporäre Expo-Gebäude ohne Fassade, durch das in Mailand der Wind pfiff, wurde in Hamburg als Bürogebäude ertüchtigt. Auf einer Fläche von 7317 Quadratmetern finden sich ein Saal für bis zu 800 Menschen und zahlreiche Arbeitsplätze und Konferenzräume, in die sich Kreative, Firmen oder Start-ups einmieten können. Eine Dachterrasse über den fünf Stockwerken ermöglicht Weitblicke auf das Quartier im Aufbruch diesseits und jenseits des Oberhafens.

Der sogenannte Treetop-Tower, ein fünfzehngeschossiges Gebäude in Holz-Hybrid-Bauweise, soll von 2024 an den ersten Bauabschnitt zwischen dem Deich und den Gewerbehallen westlich des Schleusenkanals krönen.

Holz ist ein großes Thema

Das Hamburger Büro Spine Architects hat das Bürogebäude mit rund 10.000 Quadratmeter Bruttogeschossfläche entworfen. „Wir wollen ein Hochhaus aus Holz bauen. Holz ist ein großes Thema“, sagt der studierte Architekt Wolfrat. Der Treetop-Tower soll eine Krone aus Holz erhalten – und die Lounge im obersten Stock soll Ausblicke auf den Campus und die Stadt ermöglichen. „Alle Nutzer müssen das Thema Innovation und Digitalisierung in ihrer DNA haben“, sagt Wolfrat. „Wir wollen ein Ökosystem für Gründer etablieren.“

Martin Wolfrat leitet die Niederlassung Hamburg von Art-Invest Real Estate in Hamburg seit einem Jahr.
Martin Wolfrat leitet die Niederlassung Hamburg von Art-Invest Real Estate in Hamburg seit einem Jahr. © Michael Rauhe

Dementsprechend werden Büroflächen neu interpretiert und Grundrisse neu gedacht: „Uns geht es um das Büro der Zukunft.“ Statt Standardräume mit durchgezogenen Decken zu bauen, sollen etwa Räume des Austausches auf verschiedenen Ebenen entstehen. Moderne Arbeitswelten lassen sich schon jetzt im Pavillon erkunden.

Für die Art-Invest wird Hammerbrooklyn ein wichtiges Referenzobjekt

„Ein Haus von morgen muss komplett per Handy-App zu bedienen sein: Das beginnt mit der Eingangskontrolle und der Aufzugssteuerung“, so Wolfrat. Diese App sei bereits entwickelt. Als weiteres Feature kommt etwa die Lichtsteuerung dazu – im gesamten Pavillon sind Sensoren verbaut, die auf Bewegung und Tageslicht reagieren, aber auch mit dem Handy steuerbar sind. Sämtliche Räume lassen sich per App buchen. „Sogar die Belegung könnte die Software coronagerecht überwachen: Sind etwa zu viele Personen im Raum, bekommt man automatisch eine Nachricht aufs Handy.“ Wolfrat verspricht: „Dieses Haus kann auf die Pandemie reagieren.“

Für die Art-Invest wird Hammerbrooklyn ein wichtiges Referenzobjekt: „Wir haben schon jetzt durch den Pavillon eine steile Lernkurve“, sagt Wolfrat. „Alle zukünftigen Häuser von uns werden Teile der Technik verwenden und smart werden. Das hilft uns über Hamburg hinaus.“

Scharnier zwischen Deichtorhalle und Großmarkt

Den Schlussstein des neuen Hammerbrooklyn setzt der zweite Bauabschnitt, der westlich des Schleusenkanals nach Wegfall der Großmarktnutzung 2024/2025 beginnen soll. Auf diesem „Big Market“ entstehen drei weitere Neubauten voraussichtlich in Holz-Hy­brid-Bauweise inklusive einer gemeinsamen Tiefgarage mit neuen Mobilitätskonzepten. Die Ideenmeisterschaft hat zwei internationale Architekturbüros zu den Siegern gekürt: Bruther aus Paris und EM2N aus Zürich.

Zwei separate Baukörper bilden den Gallery Complex, die Mietflächen des Greenhouse bekommen Klimagärten. Die elf Geschosse des Stairway Buildings wachsen als städtebauliche Dominante treppenförmig in die Höhe. Dort ist eine moderne Mehrzweckhalle mit rund 800 Quadratmetern geplant. „Als Lehre aus der Corona-Krise soll es auch digitale Hybrid-Veranstaltungen ermöglichen.“ So können sich über große Bildschirme Menschen aus anderen Orten zuschalten.

„Wir möchten das Quartier beleben und wollen das Scharnier zwischen Deichtorhalle und Großmarkt sein.“ Die Fertigstellung ist bis 2027/28 geplant. Ausdrücklich versteht sich Hammerbrooklyn als offener Ort: So plant Art-Invest eine Genusshalle wie in Barcelona, in der Besucher an verschiedenen Ständen essen und trinken können.

Für die Projektentwickler war Covid-19 ein Schlag ins Kontor

Für Hammerbrook birgt das Großprojekt eine Chance, als Stadtteil wiederzuerstehen. In den Bombennächten der Operation Gomorrha 1943 fiel der alte Arbeiterstadtteil in Trümmer; nach dem Krieg entstanden nur schlichte Gewerbe- und Bürobauten. Hammerbrook wurde zur Peripherie inmitten der Stadt, eine Ecke, in die sich kaum jemand freiwillig verirrte. Inzwischen aber sind erste Wohngebiete entstanden, der Fahrradweg an der Elbe öffnet das wasserreiche Quartier zur City hin. Nun könnte aus Hammerbrook der quirlige Stadtteil Hammerbrooklyn werden. „Ich wünsche mir, dass wir die ehrgeizigen Ziele erreichen“, sagt Wolfrat. „Auf jeden Fall schlägt das Projektentwicklerherz höher.“

Die wichtigsten Corona-Themen im Überblick

Zuletzt hat die Art-Invest in Hamburg den Alten Wall saniert – der großen Eröffnung kam die Pandemie dazwischen. Auch für die Projektentwickler war Covid-19 ein Schlag ins Kontor: „Corona wird unser Geschäftsmodell verändern“, sagt Wolfrat. Im Bürobereich erwartet er einen Rückgang von rund zehn Prozent. „Nutzer setzen sich intensiver mit der Frage auseinander, wie viele Flächen sie noch benötigen und wie viel Zeit die Beschäftigten im Büro verbringen.“ Dadurch werden sich Grundrisse verändern, Aufenthaltsräume wichtiger – aber auch die Qualität der Architektur.

Erfolgsgeschichte des Alten Walls fortschreiben

„Die Zeit ist herausfordernd, es war schon einmal einfacher“, sagt Wolfrat. Der Handel aber hatte schon vor Corona das Problem, dass sich Umsätze ins Netz verlagern – da hat die Pandemie „nur die Zündschnur verkürzt“. Der Umbruch kommt nun schneller als erwartet.

„Das kann aber in einen Aufbruch münden: Es gibt so schöne und gute Ansätze in der Innenstadt für die Belebung, etwa über die Freiflächengestaltung. Gerade passiert sehr viel.“ Auch in der Ausweitung der Öffnungszeiten sieht Wolfrat eine Chance. „Der Alte Wall wird sehr gut von Mietern angenommen – für Abgesänge auf die Innenstadt ist es definitiv zu früh. Wir müssen Erlebniswelten schaffen, damit kann sich die City vom Onlinehandel absetzen.“

Längst plant die Art-Invest an einer Fortsetzung der Aufwertung bis zur Stadthausbrücke: „Wir wollen mit dem Alten Wall 2.0 die Erfolgsgeschichte des Alten Walls fortschreiben“, sagt er. „Ich träume davon, diese Straße zu beleben und eine echte Verbindung bis zur HafenCity zu entwickeln.“ Wolfrat ist für den Standort zuversichtlich: „Hamburg hat eine besondere Vielfalt, Hamburg hat viel Wasser und ist besser aufgestellt als viele andere Städte.“