Hamburg. Urbane Gebiete gab es schon vor 100 Jahren. Jetzt will die Stadt wieder dahin zurück. Stadtplanerin Cordula Ernsing erklärt, warum.
Gründerzeitviertel, Nachkriegsbebauung und Hochhaussiedlungen – in Hamburg sind seit Anfang des 20. Jahrhunderts die unterschiedlichsten Quartiere entstanden. Errichtet wurden sie nach der jeweils vorherrschenden Idee, wie Menschen wohnen sollen. Und die hat sich immer wieder gewandelt. Die nutzungsgemischten Quartiere, die derzeit von der Stadt forciert werden, greifen dabei den Gedanken wieder auf, der die heute so beliebten Altbauviertel geprägt hat: eine Mischung aus verschiedenen Wohnformen und Gewerbe.
„Eigentlich möchten wir, dass sich das Leben der Menschen in ihrem Viertel abspielen kann, dass sie dort leben, arbeiten und einkaufen“, sagt Cordula Ernsing, Leiterin der Stadt- und Landschaftsplanung im Bezirk Hamburg-Nord, in dem derzeit der vielen Konversionsflächen wegen gleich mehrere größere Quartiere entstehen.
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Bauherren zeigten Kreativität
Doch die Investoren sehen das anders. Sie möchten am liebsten auch auf ausgewiesenen Gewerbeflächen nur Wohnungen bauen, da das lukrativer ist als die Gewerbeflächen an Handwerksbetriebe zu vermieten. Und wenn schon keine Wohnungen, dann doch Hotels oder Boardinghouses. „Das ist aber nicht das, was wir uns vorstellen“, so die Stadtplanerin. Hamburg hat sich sehr dafür eingesetzt, dass das „urbane Gebiet“ als neue Nutzungskategorie im Baugesetzbuch aufgenommen wurde und jetzt bundesweit ausgewiesen werden kann.
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Außerdem gibt es die Konzeptausschreibung, die die Stadt seit einigen Jahren bei der Grundstücksvergabe anwendet. Dabei können die Investoren Punkte sammeln, wenn sie mit ihren Vorhaben möglichst viele Vorstellungen der Stadt umsetzen, beispielsweise einen hohen ökologischen Standard, einen hohen Anteil geförderter Wohnungen, Kultur, Kitas oder Läden anbieten. „Das funktioniert gut“, sagt Cordula Ernsing. Die Bauherren zeigten Kreativität. „Im Pergolenviertel werden z. B. Demenz-WGs oder ein Kinderlehrschwimmbecken umgesetzt.“
Von den ersten Planungen bis zum Baustart vergehen oft viele Jahre
Weil von den ersten Planungen bis zum Baustart eines neuen Viertels oft viele Jahre vergehen, kommt es vor, dass sich innerhalb eines Quartiers die Anforderungen an die Bauherren verändern. Etwa im Quartier „Oxpark“ in Langenhorn, wo die Stadt durch die Konzeptausschreibung auf den letzten beiden Baufeldern doch noch Läden und Gewerbe durchsetzen konnte.
Ähnlich, wie es die Stadt jetzt anstrebt, wurden die Viertel schon um 1900 gebaut. Mit imposanten teuren Wohnungen in den oberen Geschossen, günstigeren im Souterrain oder in den Hinterhäusern. „Es waren oft sozial gemischte Quartiere“, sagt Cordula Ernsing. Abhängig von der Lage hätten die Wohnungen dabei oft die gleichen Zuschnitte gehabt – nur in unterschiedlichen Dimensionen: in Eppendorf bis zu 220 Quadratmeter und 4,50 Meter hohe Decken, in Barmbek-Süd 120 Quadratmeter und 2,80 Meter.
Kleine Wohnungen werden überwiegend von Singles bewohnt
Dazu habe es in den Erdgeschossen Läden für den täglichen Bedarf und Werkstätten in den Höfen gegeben. Nach dem Ersten Weltkrieg, der Schumacher-Ära, wurden trotz der Wohnungsnot charmante und qualitätvolle Quartiere wie die Jarrestadt oder der Dulsberg geschaffen, mit Loggien, Ornamenten und begrünten Innenhöfen mit Statuen und Laubengängen, mit Läden und kleinen Werkstätten an den Hauptstraßen.
„Die kleinen Wohnungen sind heute noch immer beliebt, werden aber nicht mehr wie früher von ganzen Familien, sondern überwiegend von Singles bewohnt“, sagt die Fachamtsleiterin. Damals habe man 20.000 bis 30.000 Wohnungen im Jahr gebaut. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg mussten schnell ganze Stadtteile entstehen.
Menschen mögen die gemischten Gebiete
„Das Ziel war es jetzt allerdings, Arbeit und Wohnen zu trennen. Es entstanden reine Wohnquartiere in Eidelstedt, Langenhorn, Hamm und Horn. Arbeiten sollten die Menschen woanders. Dieser Logik folgt das Baugesetzbuch im Grundsatz noch immer.“ Mit den Großsiedlungen in den 70er-Jahren wurde diese Entwicklung manifestiert.
Doch die Menschen mögen die gemischten Gebiete. Etwa die Isestraße mit ihrer U-Bahn-Trasse. Oder die HafenCity vis-à-vis von Containerterminals und Hafenbetrieben. Es muss laut Gesetz so ruhig sein, dass die Menschen mit geöffnetem Fenster schlafen können. Also wurde das „HafenCity-Fenster“ entwickelt. Es lenkt den Schall so, dass die Bewohner trotz Hafenlärms schlafen können, und wird mittlerweile europaweit an lärmexponierten Wohnorten eingebaut.
Menschen mögen die gemischten Gebiete
In „urbanen Gebieten“ soll nun ein gewisser Lärmpegel zugelassen und toleriert werden. Und das soll kein Rückschritt, sondern ein Fortschritt sein. „Wir halten die nutzungsgemischte Stadt für lebenswerter, denn es steigert die Lebensqualität, wenn man im Viertel lebt und arbeitet, und vermeidet zudem Verkehr.“
Mit dem ehemaligen Busbetriebshof Mesterkamp in Barmbek-Süd bebaut Hamburg-Nord bald die letzte Konversionsfläche im Bezirk. In dieses Quartier werden alle in den letzten Jahren gesammelten Erfahrungen, Erkenntnisse und Ansinnen der Stadtplanung einfließen – Bürgerbeteiligung eingeschlossen, denn im Bebauungsplan werden Anwohnerwünsche berücksichtigt.
„Es werden 450 Wohnungen entstehen, ein großer Teil davon öffentlich gefördert, außerdem kleine Läden, Cafés, ein Hotel und ein Supermarkt, ein Gewerbehof, ein großer grüner Platz und ein Gemeinschaftshaus“, zählt Cordula Ernsing auf. Zudem werde das Quartier auf Wunsch der Anwohner verkehrsberuhigt. Und die Grundstücke würden überwiegend im Erbbaurecht vergeben. So verliere die Stadt auch in Zukunft nicht ihren Einfluss auf die Gestaltung des neuen Wohnviertels.