Hamburg. Total gaga oder irre gerecht? Kunde, KundIn, Kund*in oder Kund:in – wie wollen wir reden, wie schreiben? Die Fronten sind verhärtet.

Marlies Krämer ist sauer, oder wenigstens war sie es. So sauer, dass die Rentnerin bis vor das Bundesverfassungsgericht gezogen ist. Dort kämpfte sie im vergangenen Juli um Gerechtigkeit. All das wegen einer Anrede, die ihr nicht passte. Ihre Sparkasse hatte sie in Formularen als „Kunde“ angesprochen. Doch sie fühlte sich nicht mitgemeint, sie war doch eine „Kundin“. Die damals 83-Jährige tobte. „Ich sehe das überhaupt nicht mehr ein, dass ich als Frau totgeschwiegen werde“, sagte sie. Doch sie verlor.

Eine Kammer aus drei männlichen Richtern wies sie ab. Sie hätte ausführlicher erklären müssen, warum sie einen Anspruch auf die weibliche Form gehabt hätte. Die männliche Form, das sogenannte „generische Maskulinum“, würde alle Personen einschließen, ganz egal welchen Geschlechts. Immerhin baue auch das Grundgesetz darauf auf, das doch alle Bürger meint – auch Bürgerinnen.

Hamburger Sänger nahm an Gedankenexperiment teil

Rein theoretisch stimmt das. Die männliche Form dient als Oberkategorie für Personen- und Berufsgruppen. Demnach lässt sie keine Rückschlüsse auf das Geschlecht zu. Doch der Ansatz funktioniert praktisch nicht. Das Problem am generischen Maskulinum demonstrierte der Hamburger Sänger Ingo Pohlmann.

Als er zu Gast war im Abendblatt-Podcast „Das Geschlecht der Anderen“, nahm er an einem Gedankenexperiment teil. Mit geschlossenen Augen saß er da, wartete auf eine Art Regieanweisung, der er gedanklich folgen sollte. Sie lautete so: Prof. Schiller tanzt im rosa Tutu durch den Park. Was sehen Sie?

Männliche Form stammt aus vergangener Zeit

Vor seinem inneren Auge lief ein Film. „Ich sehe jetzt gerade den dicken Professor Schiller mit einer Nickelbrille und einem rosa Tutu“, sagt Pohlmann. „Das sieht ganz lustig aus. Warum nicht? Wenn er das möchte … mit so einer Halbglatze und dicker Brille.“ Dabei dient der Titel „Prof.“ als Abkürzung für „Professor“, eine Berufsbezeichnung, die auf alle Geschlechter zutrifft. Prof. Schiller hätte demnach eine Frau sein können. „Super Test. Bin ich schön drauf reingefallen“, sagt Pohlmann. „Professorin Schiller im rosa Tutu. Die ist Tänzerin nebenbei und tanzt da so ein Ding, bei dem alle sagen: Halleluja!“

Doch er hat auf einen Mann geschlossen, trotz generischem Maskulinum. Statistisch gesehen, ist das auch wahrscheinlicher. Laut Statistischem Bundesamt waren 2019 in Deutschland drei von vier Professoren männlich. Allerdings stammt die männliche Form aus einer alten Zeit mit noch älteren Rollenbildern, als Männer allein die Brotverdiener und Frauen bloß hübsches Beiwerk waren. Da liegt die Frage nah: Wer formte was, das alte Rollenbild die generisch männliche Form oder umgekehrt? Wir könnten auch fragen: Was war zuerst, Henne oder Ei?

Sprache beeinflusst Denken

Egal wie die Antwort ausfällt, die Folgen bleiben gleich: Unsere Sprache beeinflusst unser Denken, und unser Denken beeinflusst unser Handeln. Wenn Sprache also ein Geschlecht hervorhebt, dann verdrängt und diskriminiert sie alle anderen.

Studien zeigen, dass generische Personen- und Berufsgruppen Rollenbilder fördern. Zum Beispiel gaben etwa 600 Grundschulkinder an, dass sie unter einem „Ingenieur“, „Automechaniker“ oder „Täter“ einen Mann verstehen.

Google Translator greift auf Rollenbilder zurück

Wie tief das Rollenbild vom arbeitenden, aggressiven Mann sitzt, zeigt ein Blick in den Online-Übersetzer „Google Translator“. Wir übersetzen vom Deutschen ins Ungarische, eine Sprache, die ohne generisches Maskulinum auskommt, und wieder zurück – herauskommt eine verdrehte Bedeutung. Aus „sie arbeitet als Professorin. Sie tötet. Er kocht. Er ist schön“ wird „er arbeitet als Professor. Er tötet. Sie kocht. Sie ist schön.“

Dahinter steckt eine einfache Erklärung: Der Google Translator übersetzt „sie“ als auch „er“ in „ő“, weil das Ungarische ohne grammatikalisches Geschlecht auskommt. Um nun „ő“ wieder zurückzuübersetzen, greift das Programm auf Rollenbilder zurück, sieht sie als wahrscheinlich an. Die Rentnerin Marlies Krämer würde wieder toben, wenn sie davon wüsste.

Sprachlobbyisten fordern gendergerechte Sprache

Deshalb fordern sie und andere Sprachlobbyisten eine gendergerechte Sprache. Für Krämer würde „Kundin“ ausreichen, andere fordern neue Formen, werden kreativ. Aus dem generischen Kunden machen sie eine(n) Kundx, KundIn, Kund_in, Kund·in, Kund:in oder Kund*in. Gegner sagen, das sei furchtbar. Mehr noch: Sprachterror und Gender-Gaga. Weil sie nichts von KundInnen, ProfessorInnen und Sekretär*innen wissen wollen, verweisen sie auf das generische Maskulinum: Es seien Kunden, ohnehin gebe es mehr männliche Professoren, und Sekretäre seien allenfalls Bürotische, an denen Sekretärinnen arbeiten. Welch ein Sprachk(r)ampf.

Wochenzeitungen titelten bereits mit „Krieg der Sternchen“ und „Krieg der Sterne“. Die Fronten sind verhärtet, wurden noch einmal angefeuert durch den jüngsten Aufreger: Die Duden-Redaktion verabschiedete sich Ende vergangenen Jahres vom generischen Maskulinum. In diesem Zuge erhielten alle männlichen Einträge ein weibliches Pendant. So wurden kurzerhand 12.000 neue Einträge hinzugefügt. Dort stehen auch die Worte „Kundin, die“ und „Professorin, die“, ebenso „Sekretär, der“ für sowohl das Möbelstück als auch den Berufsstand.

Universität Hamburg stieg in Debatte ein

Was hat die Duden-Redaktion zum Handeln gebracht? Allein die abgewiesene Klage von Marlies Krämer war es wohl nicht, es waren vielmehr die Ereignisse, die sich in den vergangenen Jahren überschlugen. Dabei wurde die Debatte von wenigen angefacht, immer mehr folgten, bis schließlich die breite Öffentlichkeit einstieg, darunter auch die Universität Hamburg, die öffentlich-rechtlichen Medien und einmal mehr das Bundesverfassungsgericht.

2017 klagte Vanja, reichte eine Verfassungsbeschwerde ein. Laut einer Chromosomenanalyse war Vanja weder Frau noch Mann, forderte deshalb neben „weiblich“ und „männlich“ eine dritte Option für den Personenstand. Alles andere sei diskriminierend. Das Gericht stimmte ihr zu. So beschloss der Bundestag daraufhin per Gesetz, dass „divers“ als dritte Option ins Geburtenregister muss – und eben das entzündete den Krieg der (Gender-)Sterne.

Menschen des „dritten Geschlechts“ unsichtbar

Vanja und andere Menschen des sogenannten „dritten Geschlechts“ sind in der Sprache unsichtbar. Es handelt sich nicht nur um eine Handvoll Menschen, es sind viele. Nach Schätzungen des deutschen Ethikrats sind es etwa 80.000, allein in Deutschland. Im Übrigen ist das auch kein zulässiges Argument, denn die Würde jedes einzelnen Menschen ist unantastbar, egal welchen Geschlechts. Wenn also alle ein Recht auf einen eigenen Personenstand im Geburtenregister haben, müsste es auch für die Sprache gelten, zum Beispiel mithilfe des Gendersterns (*). Er soll alle Geschlechter sichtbar machen können. Kunden wären demnach Kund*innen.

Ausgesprochen wird der Stern als kurze Pause. Viele finden sie unnatürlich, ist sie aber nicht. Haben Sie am Frühstücksbüfett schon einmal Spiegelei oder Rührei bestellt? Dann haben sie die Pause mitgesprochen, und vor wenigen Sekunden auch mitgedacht. Es heißt „Spiegel-ei“, „Rühr-ei“ und ebenso „Professor-innen“.

Sprache verändert sich

Trotzdem sind nur wenige überzeugt. Viele finden den Stern nicht ästhetisch und sind der Meinung, die altehrwürdige Sprache müsse gewahrt werden. Die Schriftstellerin Nele Pollatschek ist selbst nicht überzeugt vom Gendern – und doch entkräftet sie diese beiden Argumente in ihrem Gastbeitrag im Tagesspiegel.

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Sie schreibt: „Wer denkt, dass bei der zwischenmenschlichen Kommunikation Schönheit wichtiger sei als Gerechtigkeit, der rettet auch einen Ertrinkenden nicht, weil das ganz hässliche Wasserflecken auf dem Jachtdeck gibt.“ Es sei auch falsch, „dass die deutsche Sprache irgendwie vor Wandel geschützt werden müsse. Alle Argumente dieser Art bitte nur auf Althochdeutsch verfassen.“ Denn Sprache verändert sich seit geraumer Zeit. Würde sie starr sein, würden wir noch in Zeichensprache oder Lauten kommunizieren, wenn überhaupt.

Genderstern hat es in Hamburg schwer

Die Gegenargumente sind entkräftet. Trotzdem hat der Genderstern es schwer, sich durchzusetzen – auch in der Hansestadt. Dabei hatte er die Gleichstellungsbeauftragte der Uni Hamburg, Angelika Paschke-Kratzin, bereits 2019 überzeugt. Sie empfahl ihn für den akademischen Sprachgebrauch, doch hat der Präsident Dieter Lenzen sie wieder zurückgewiesen.

Er hielt es für „erforderlich, darauf hinzuweisen, dass es staatlichen Stellen nicht gestattet ist, von gültigen Senatsbeschlüssen der Freien und Hansestadt Hamburg aus freien Stücken abzuweichen.“ Diese sind schon seit 1955 auf dem gleichen Stand. Die damalige Sprecherin der Wissenschaftsbehörde, Julia Offen, sagte: „Ziel ist es, auch für Hamburg eine neue Empfehlung auszusprechen.“

GfdS rät von Gendersternchen ab

Ob es der Genderstern doch noch in eine Verordnung schafft oder eine andere Form? Sollte sich die Stadt am Rat der Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) ausrichten, wird das wohl nicht passieren. Diese rät „ausdrücklich davon ab, das Gendersternchen und ähnliche problematische Formen zu verwenden“. Sie bildeten keine Einheit, seien mit den amtlichen Regeln für die deutsche Rechtschreibung nicht vereinbar und schlicht zu kompliziert.

Das stimmt so nicht. Sie könnte zu einer Einheit finden, sobald sich eine wirklich einflussreiche Organisation zu einer Form bekennen würde, zum Beispiel die GfdS selbst. Bei den öffentlich-rechtlichen Medien läuft es bereits auf den Genderdoppelpunkt hinaus. Dieser wird, anders als der Stern, von Sprachprogrammen als Spiegel-ei-Pause mitgelesen.

Hannover, Flensburg und Kiel nutzen Stern

Sogar Moderatoren wie Claus Kleber, Anne Will und Linda Zervakis sprechen sie mit. Die Städte Hannover, Flensburg und Kiel nutzen hingegen den Stern. Wären die beiden Formen nicht mit der Rechtschreibung zu vereinen, würden öffentliche Stellen darauf verzichten. Vielleicht müssen die amtlichen Regeln zurechtgezurrt werden. Aber wofür gibt es Rechtschreibreformen, wenn nicht dafür?

Gendern ist von der Form her auch nicht komplizierter als die übrige deutsche Sprache. Oder können Sie alle Fälle aufzählen, Personal- von Possessivpronomen trennen und das Plusquamperfekt erklären? Die wahre Crux ist vielmehr das Wissen, das über die Person vorausgesetzt ist. Wir brauchen den Personenstand – auf Aussehen, Stimme oder Verhalten können wir uns nämlich nicht verlassen. Also bleibt nur Fragen: Männlich, weiblich oder …? Ach so, divers. Wenn wir also von der Kläger*in Vanja sprechen, sagen wir „er“ oder „sie“? Anders als zum Beispiel im Englischen gibt es nicht die neutrale Form „they“. Gut möglich, dass wir irgendwann im Zuge einer neuen Verfassungsbeschwerde ein neues Personalpronomen bekommen.

Stern hilft, abgedrängte Menschen sichtbar zu machen

All das gipfelt in der einen alles entscheidenden Frage: Wäre Sprache dann endlich diskriminierungsfrei? Nein, schreibt die Schriftstellerin Pollatschek. „Gendern ist eine sexistische Praxis, deren Ziel es ist, Sexismus zu bekämpfen.“ Das Geschlecht stehe im Fokus, mache sichtbar, immer und überall. Das mag sein, doch an anderer Stelle helfen Stern, Doppelpunkt und Co., abgedrängte Menschen wieder sichtbar zu machen: die Kund*in wie die Professor:in.

Sonst müssten wir nach Pollatscheks Argumentation ausschließlich zum Sekretär übergehen, die Sekretärin würde gänzlich wegfallen. Geholfen ist uns damit nicht. Würden wir vom Sekretär im rosa Tutu sprechen, würden wir entweder einen tanzenden Tisch oder einen Mann vor unserem inneren Auge sehen.

Sprachkrieg um Sternchen bleibt ungelöst

Was nun? Eine einwandfreie Gebrauchsanleitung zu gendergerechter Sprache gibt es nicht. Jedenfalls kennen wir sie (noch) nicht. Der Sprachkrieg um Sternchen und Gender-Gaga bleibt vorerst ungelöst. Wir streiten also weiter. In der Abendblatt-Redaktion haben wir einen ersten Konsens gefunden: Wir schreiben mal die männliche, mal die weibliche Pluralform. Wo es in den Sprachfluss passt, wählen wir ein neutrales Wort, zum Beispiel „Studierende“ oder „Lehrkraft“. Ausdiskutiert ist die Debatte aber auch bei uns noch nicht - und das ist gut. Nur so finden wir den besten Kompromiss.