Hamburg. Michael Kruse ist der neue starke Mann der Liberalen. Vorstandswahlen und Bundestagsliste bedeuten fast einen Generationswechsel.
Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner bemühte ein berühmtes Zitat aus der Filmgeschichte. „Ganz schön abgeräumt, dieses Wochenende: ,Ich spüre eine Erschütterung der Macht.‘ Herzlichen Glückwunsch“, schrieb Lindner per WhatsApp am Sonntag dem neuen starken Mann der Hamburger FDP, Michael Kruse, und gratulierte damit zu seiner doppelten Wahl: zum Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl am 26. September und zum neuen Landesvorsitzenden.
Nun ist der Vergleich mit den existenziellen Befindlichkeiten der Protagonisten der „Stars Wars“-Filme vielleicht etwas hochgegriffen. Die FDP ist zwar eine traditionell streitlustige Partei, vor allem wenn es um Posten und Personen geht, aber Kriege führen sie untereinander dann doch nicht. Und doch trifft das Bild von der Erschütterung der Macht die Lage der Elbliberalen ganz gut.
Karten in Hamburger FDP neu gemischt
Die Karten sind in der Partei seit dem Wochenende völlig neu gemischt. Neue, junge Köpfe sind aufgerückt, und manch liberales Schlachtross wurde unsanft aufs Altenteil geschickt. Kruse, der bis zur Bürgerschaftswahl am 23. Februar 2020 Co-Fraktionschef der FDP im Rathaus war, hat sich spät zu den Kandidaturen entschlossen und von Beginn an beide Posten miteinander verknüpft. Das war eine Ansage in einer Partei, in der es starke Stimmen gegen die Konzentration der Macht auf eine Person gibt.
Der Erfolg gibt Kruse nun recht, und selbst seine parteiinternen Kritiker halten ihm sein Organisationstalent zugute. Seine Kombi-Bewerbung um Listenplatz eins und den Landesvorsitz hatte der Geschäftsführer eines Beratungsunternehmens extrem gut vorbereitet: In zahlreichen Telefonaten mit Parteifreunden quer durch die Bezirksverbände warb er in den vergangenen Wochen für sich und stellte hier und da geschickt seine Unterstützung bei den anstehenden Wahlen für den einen oder anderen Posten in Aussicht.
Kruse setzte sich bei Wahl um Spitzenkandidatur durch
Dass Kruse besser als andere mobilisiert hatte, räumen auch seine unterlegenen Gegner ein. Er setzte sich in der Stichwahl um die Spitzenkandidatur zur Bundestagswahl deutlich mit 66 Prozent gegen das Nachwuchstalent und Juli-Vorsitzenden Carl Cevin-Key Coste durch. Und Kruse distanzierte auch den Blankeneser FDP-Kreischef Daniel Oetzel klar mit 207 zu 127 Stimmen bei der Wahl des Landesvorsitzenden.
Die im Wesentlichen digitale Mitgliederversammlung der FDP hatte ungewöhnlich großen Zulauf: Bis zu 450 Frauen und Männer – rund ein Viertel der Mitglieder des Landesverbandes – beteiligten sich an den Abstimmungen. Das erhöht noch einmal Kruses Legitimation. „Das war ein Volldurchmarsch von Kruse“, sagt einer, der nicht zu seinen engsten Parteifreunden zählt.
Schinnenburg scheiterte im ersten Wahlgang
Um das Ausmaß der Erschütterung der Macht zu erfassen, hilft der Blick auf diejenigen, die sich nicht durchsetzen konnten. Allen voran Wieland Schinnenburg, Bundestagabgeordneter neben der bisherigen Landeschefin Katja Suding, die nicht wieder kandidiert hatte und sich aus der Politik zurückzieht.
Schinnenburg bewarb sich wie Kruse um die Spitzenkandidatur, scheiterte aber bereits im ersten Wahlgang. Auch im Rennen um Listenplatz zwei konnte sich der Rechtsanwalt und Zahnarzt nicht durchsetzen und verlor in der Stichwahl gegen die 27 Jahre alte ehemalige Juli-Bundesvorsitzende Ria Schröder. Auf eine ursprünglich angestrebte Kandidatur für den Landesvorsitz verzichtete Schinnenburg nach dem Debakel.
Politisches Aus für Schinnenburg
„Es gab ein Bedürfnis nach neuen Gesichtern“, konstatiert nüchtern im Nachgang der 62 Jahre alte Schinnenburg, der 20 Jahre lang in führenden Positionen bei den Liberalen aktiv war. Für den angesehenen Gesundheitspolitiker bedeutete das Wochenende schlicht das politische Aus. „Meine Arbeit in der Politik ist bald nach der Bundestagswahl beendet“, zieht Schinnenburg, der dann nur noch Delegierter des Bundesparteitags sein wird, als Fazit.
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Bitter und sehr enttäuschend verlief die Mitgliederversammlung auch für Anna von Treuenfels-Frowein, die Spitzenkandidatin bei der Bürgerschaftswahl, die auf Platz zwei der Landesliste kandidiert hatte, aber bereits im ersten Wahlgang scheiterte.
Suding hatte sich gegen Kruse ausgesprochen
Auf der Suche nach den Ursachen für den nicht völlig überraschenden, aber keinesfalls sicher absehbaren Triumph des 37-jährigen Kruse fällt in der Tat schnell der Tag der Bürgerschaftswahl ins Auge. Die FDP scheiterte denkbar knapp an der Fünfprozenthürde und ist seitdem nur mit der direkt gewählten Anna von Treuenfels-Frowein als fraktionsloser Abgeordneten im Parlament vertreten.
Suding hatte sich im Vorfeld für Treuenfels-Frowein als Spitzenkandidatin und damit gegen Kruse ausgesprochen. Der kandidierte zwar auf Platz zwei, tauchte aber direkt nach der Wahl in ein „politisches Sabbatical“ ab und wurde von vielen Parteifreunden nicht mit dem schmerzhaften Wahlergebnis in Verbindung gebracht. Dem verbreiteten Wunsch nach Verjüngung konnte der 37-Jährige zudem durchaus entsprechen.
„Katja Suding hat gemerkt, dass ihre Zeit zu Ende geht“
Zweitens wird Kruses Aufstieg nur verständlich vor dem Hintergrund des politischen Ausstiegs von Suding und dessen Hintergründen. Die auch erst 45-Jährige war die Garantin von spektakulären Aufholjagden und Erfolgen der Liberalen bei den Bürgerschaftswahlen 2011 und 2015 sowie der Bundestagswahl 2017. Aber spätestens nach der Rathauswahl 2020 kümmerte sich Suding nach Einschätzung vieler Parteifreunde kaum mehr um die Partei. Eine gründliche Analyse des Wahlergebnisses blieb aus.
Es ist in der Landes-FDP eine gern diskutierte Frage, was eigentlich passiert wäre, wenn die prägende Figur des vergangenen Jahrzehnts noch einmal angetreten wäre. Etliche sind sich nicht sicher, ob sich Suding noch einmal als Landeschefin durchgesetzt hätte. „Katja Suding hat gemerkt, dass ihre Zeit zu Ende geht“, heißt es aus der Partei mit Blick auf ihren Rückzug. Und: „Michael Kruse hat alle Unzufriedenen eingesammelt.“
Unterschiedliche Strömungen und regionale Interessen
Der Wunsch nach Erneuerung zeigt sich im sechsköpfigen Parteipräsidium, dem bis auf den bisherigen Parteivize und jetzigen Schatzmeister Ron Schumacher nur Neulinge angehören. Um Kampfkandidaturen zu vermeiden, hat Kruse geschickt durchgesetzt, dass es künftig vier statt bislang drei Stellvertreter gibt, was vielleicht etwas überdimensioniert ist.
„Wir brauchen im Ehrenamt viele Schultern“, so begründet es Kruse. Mit den stellvertretenden Vorsitzenden Ria Schröder, Katarina Blume, Andreas Moring und Sonja Jacobsen ist es Kruse jedenfalls gelungen, unterschiedliche Strömungen und regionale Interessen zusammenzuführen sowie Männer und Frauen paritätisch zu berücksichtigen.
Chef der Hamburger FDP optimistisch
Es fällt allerdings auf, dass der bislang starke Bezirksverband Altona, dem Suding, Treuenfels-Frowein und Oetzel entstammen, kaum mehr vertreten ist. Parteivizin Blume aus Altona, die sich früh für Kruse als Landeschef ausgesprochen hatte, ist nicht auf Altonaer Ticket in das Präsidium gekommen. Manch einer sieht in den Wahlergebnissen auch eine Abstrafung der Altonaer, die vielen zu dominant waren.
Kruse lässt sich die gute Laune nicht nehmen. „Wir haben als FDP Hamburg erstmalig Vorstandswahlen ohne gegenseitige Negativansagen der Kandidaten durchgeführt. Das stimmt mich hoffnungsvoll für die Zukunft“, sagt der Parteichef, der nun beweisen muss, dass er es kann, indem er die notorisch aufmüpfige Partei auf das gemeinsame Ziel einschwört. Lindner und mit ihm alle Luke Skywalkers und Darth Vaders dürften sich jedenfalls bereithalten, um neue Erschütterungen der Macht zu registrieren.