Hamburg. “Das ist nicht toll für Frauen, wenn alles so verlassen ist“: Wie Hamburgerinnen mit der neuen Geisterstimmung am Abend umgehen.
Es ist so still, dass sogar die Lüftung der mobilen Radarkontrolle gegenüber dem Alsterhaus am Jungfernstieg zu hören ist. Dabei ist es gerade einmal kurz nach 21 Uhr an einem Sonnabend. Eine Zeit, zu der sich sonst etliche junge Leute auf den Treppenstufen an der Binnenalster treffen. Zu Corona-Zeiten ohnehin nur begrenzt und mit Abstand und Maske. Aber jetzt, mit der pandemiebedingten Ausgangssperre zwischen 21 und 5 Uhr, ist es abends noch einmal leerer und leiser geworden. Hamburg im Schlafmodus.
Kurz nach 21 Uhr steigen die wenigen Jugendlichen, die noch am Jungfernstieg waren, in den nächsten Bus und sind weg. Polizeibeamte hatten sie kurz zuvor noch angesprochen, als die vier dicht nebeneinander standen. Eine junge Mutter mit Kinderwagen hastet zur Bushaltestelle. Ihr ist es sichtlich unangenehm, hier zu sein. „Ich wusste nichts von einer Ausgangssperre“, sagt die 26-Jährige, die ursprünglich aus Ghana kommt, auf Englisch.
Das Gefühl einer unwirklichen Zwischenzeit
Erst gegen 19 Uhr war sie zum Bahnhof gefahren, um noch einige Dinge zu besorgen. „Ich beeile mich. Hätte ich das gewusst, wäre ich natürlich nicht in die Stadt gefahren.“ Ein paar Radfahrer, vereinzelte Fußgänger sind noch auf der Straße und die Busse der Hamburger Hochbahn. Über die Lombardsbrücke fahren allerdings noch mehr Autos, als es eine Ausgangssperre vermuten lässt. Ansonsten fühlt es sich eher an wie drei Uhr morgens als kurz nach 21 Uhr.
Es ist eine Stimmung wie frühmorgens, wenn man zu normalen Zeiten noch aus war und nach Hause geht. Es ist dieses Gefühl einer unwirklichen Zwischenzeit. Eine neue Erfahrung für Medizinstudentin Mareike Fürböter. Sie steht am Jungfernstieg und wartet auf ihren Bus, der sie nach Hause nach Lokstedt fährt.
Ungewohnte Leere am frühen Abend
Gerade ist ihre Schicht am Wilhelmstift zu Ende, sie hat ihre Bescheinigung ihres Arbeitgebers dabei, falls sie sich vor der Polizei rechtfertigen muss, warum sie noch unterwegs ist. Während sich die 24-Jährige nicht unsicher fühlt, sieht das bei Sabine, die ihren vollen Namen nicht nennen möchte, anders aus.
Diese ungewohnte Leere am frühen Abend kann auch beängstigend sein. Wenige Menschen um sich zu haben, das ist in Pandemiezeiten das, was sich die meisten tagsüber herbeisehnen. Bei denjenigen aber, die nach 21 Uhr noch unterwegs sein müssen, kann dieses Gefühl, allein zu sein, auch Angst auslösen.
Nächtliche Ausgangsbeschränkungen zwischen 21 und 5 Uhr
Sabine wartet um kurz vor 21.30 Uhr auf die U 1, mit der sie nach Hause nach Rotherbaum fahren möchte. Der Bahnsteig unten an der Haltestelle Jungfernstieg ist fast leer. Drei, vier weitere Menschen sind mit ihr hier, darunter auch Hochbahnpersonal. Ein Obdachloser sucht in den Mülleimern vermutlich nach Pfandflaschen. „Das ist nicht toll für Frauen, wenn alles so verlassen ist“, sagt die 54-Jährige. Sie arbeitet in der ambulanten Pflege. Ihre Schicht dauert von 15 bis 20.30 Uhr.
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„Der Bettler war gerade sehr aggressiv. Vielleicht ist es für die Obdachlosen auch schlecht, weil sie mit der Ausgangssperre weniger von den Menschen bekommen. Aber deshalb muss er seine Wut nicht an mir auslassen.“ Sie findet es um diese Zeit unheimlicher als sonst. „Ich bin eigentlich nicht so ängstlich, fühle mich aber unwohl. Trotzdem bin ich für eine Ausgangssperre“, sagt sie.
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Wegen der Corona-Pandemie gelten seit Freitagabend nächtliche Ausgangsbeschränkungen zwischen 21 und 5 Uhr. Die Hamburger dürfen ihre Wohnungen nur noch aus triftigem Grund verlassen. Ausnahmen gibt es für berufliche Tätigkeiten, das Gassigehen mit dem Hund und Sport im Freien, allerdings immer nur für eine Person.
Die Polizei war überrascht, wie gut sich die Hamburger an die Ausgangssperre halten. Auch an sonst sehr belebten Orten wie dem Alstervorland und dem Elbufer war es laut Polizei sehr ruhig. „Wir haben auch nicht festgestellt, dass sich Treffen in den privaten Bereich verlagert haben“, sagt Polizeisprecherin Evi Theodoridou.
Nicht alle halten sich an die Regeln
Wer draußen nach 21 Uhr angetroffen und von der Polizei angesprochen wurde, ging in der Regel einsichtig nach Hause. So wie eine Gruppe von vier jungen Leuten, die in Harburg einen Kiosk ansteuern wollten. „Keiner von denen sprach Deutsch“, sagt einer der Polizisten, die das Quartett stoppten. „Sie hatten es nicht gewusst und waren sofort einsichtig.“
Aber es gibt natürlich immer welche, die sich nicht an die Regeln halten. Am Steindamm in St. Georg kassierte am Karfreitag der Betreiber eines Döner-Imbisses ein Bußgeld, als er um 23.40 Uhr noch geöffnet hatte. „Er war an dem Abend bereits zweimal darauf hingewiesen worden, dass er nicht verkaufen darf“, so ein Beamter. An der Steilshooper Allee wurde Karfreitag die dortige Burger-King-Filiale von der Polizei aufgesucht, weil weiterhin Essen verkauft wurde. Auch dort gab es ein Bußgeld.
840 Verstöße gegen die Vorschriften
Am Sonnabend stellte die Polizei wieder auf dem Steindamm einen Verstoß fest. Ein Lebensmittelladen hatte nach 21 Uhr weiter geöffnet. Aber ansonsten hielten sich offenbar die meisten an die Ausgangssperre. Größere Polizeieinsätze gab es nicht. Die Überwachung der Ausgangssperre wurde zum Großteil von den Peterwagenbesatzungen der Polizeiwachen übernommen.
Neue Knallhart-Regeln für Schule, Kita, Handel, Ausgang:
Beamte der Bereitschaftspolizei standen bereit, um bei größeren Problemen eingreifen zu können. Tagsüber wurde ebenfalls kontrolliert. „Von Karfreitag bis Ostermontag stellten Kollegen 840 Verstöße gegen die geltenden Vorschriften fest“, so Theodoridou. In 380 Fällen blieb es bei einer mündlichen Verwarnung.
Die meisten Verstöße hatten nichts mit der Ausgangssperre zu tun
Die meisten Verstöße hatten nichts mit der Ausgangssperre zu tun. „Es handelte sich weit überwiegend um Verstöße gegen die Maskentragepflicht und vereinzelt um Abstands- oder Kontaktverstöße. Gegen die Ausgangsbeschränkungen wurde nur eine sehr geringe Zahl von Verstößen festgestellt.“
Auf St. Pauli und in der Schanze war es so ruhig, dass nur die Stimmen aus den Wohnungen zu hören waren. An der Hein-Hoyer-Straße musste Anwohner Thorben noch einmal mit seinem Gasthund Juno gegen 22 Uhr vor die Tür. „Die Ausgangssperre ist kein Problem, und die Leute halten sich daran, gerade hier auf St. Pauli“, so der 33-Jährige.