Hamburg. Gemeinsam gegen Armut: Seit 25 Jahren finanzieren Mitglieder und Spender über den gemeinnützigen Hamburger Verein soziale Projekte.

Für sich gesehen sind es einfach viele unterschiedliche Projekte: zum Beispiel die Initiative, die alte Brillen wieder auf Vordermann bringt und Bedürftigen zur Verfügung stellt. Oder der Verein, der Menschen mit geringem Einkommen den Besuch von Kulturveranstaltungen ermöglicht.

Oder das Projekt, das Kindern aus benachteiligten Familien den richtigen Umgang mit Computer und Tablet zeigt. Aber zusammen genommen sind die rund 1450 sozialen Projekte, die das Hamburger Spendenparlament in den vergangenen Jahren gefördert hat, mehr als das. Nämlich so etwas wie die „soziale DNA“ der Stadt.

Anzeigenkampagne mit Prominenten

So jedenfalls hat Sozialsenatorin Melanie Leonhard (SPD) einmal das Hamburger Spendenparlament bezeichnet, das in diesem Jahr sein 25-jähriges Bestehen feiert. Und normalerweise wäre das ein Anlass, der groß gefeiert werden würde. Mit einem prächtigen Empfang, mit einem Festakt und viel Prominenz aus Politik, Kultur und anderen Bereichen des öffentlichen Lebens. Dass daraus zumindest absehbar nichts wird, ist in diesem weiteren Corona-Jahr leider unvermeidlich.

Immerhin: Eine Anzeigenkampagne in der ganzen Stadt mit Prominenten wie Tagesthemenmoderatorin Caren Miosga und Musiker Reinhold Beckmann startet in wenigen Tagen und macht auf die Arbeit des Spendenparlaments aufmerksam, die seit vielen Jahren im Hintergrund die Stadt da zusammenhält, wo es droht, auseinanderzufallen.

Idee für das Spendenparlament stammt vom damaligen Landespastor Stephan Reimers

Die Idee für das Spendenparlament stammt – wie auch die zum Obdachlosenmagazin Hinz&Kunzt – vom damaligen Landespastor Stephan Reimers. Der gründete den Verein 1996. Vor genau 25 Jahren lud Reimers zur ersten Arbeitssitzung ein. Seine Vision: „Kein soziales Projekt gegen Arbeit, Obdachlosigkeit und Isolation soll an Geldmangel scheitern.“ Und tatsächlich lief sein Plan von Anfang an gut an.

„Relativ schnell nach der Gründung gab es schon rund 1000 Mitglieder“, sagt der heutige Vorstandsvorsitzende Uwe Kirchner. Inzwischen sind es rund 3100 Mitglieder geworden, die die bis zu 120 Förderanträge prüfen, die den Verein im Jahr erreichen. Jedes Jahr schüttet das Spendenparlament bis zu 800.000 Euro aus. Seit Bestehen kommen so 14,3 Millionen Euro zusammen.

Grundsätzliches Prozedere ist seit der Gründung gleich geblieben

Uwe Kirchner hat sich kurz vor dem Erreichen seiner Rentenzeit dazu entschieden, sich ehrenamtlich zu engagieren. 2013 wurde der Volkswirt und ehemalige Pressesprecher des Hamburger Flughafens Mitglied im Spendenparlament, 2016 übernahm er den Vorstandsvorsitz. „Für mich war immer klar, dass ich meiner Stadt einmal etwas zurückgeben und mich engagieren möchte. Die Arbeit des Spendenparlaments habe ich mit Begeisterung verfolgt, und so stand von Anfang an fest, dass ich mein Ehrenamt hier finden würde“, sagt Kirchner.

Das grundsätzliche Prozedere ist seit der Gründung gleich geblieben: Projekte, die eine Anschub- oder Überbrückungsfinanzierung brauchen, stellen einen Antrag beim Spendenparlament. Doch bevor die Mitglieder auf einer der drei Sitzungen pro Jahr darüber entscheiden, prüft eine Kommission, ob der Antrag auch die Kriterien erfüllt.

Pro Sitzung werden 20 und mehr Anträge angehört

„Dabei wird vor allen Dingen geschaut, ob sich das Projekt entweder gegen Armut, Obdachlosigkeit oder Isolation richtet und ob nicht andere eigentlich zuständig sind, die für die Förderung infrage kommen, wie etwa Schulen, Kitas oder die Stadt selbst.“ Weiter prüft die Kommission, ob das Projekt nachhaltig ausgerichtet und effizient aufgestellt ist. „Sind alle Kriterien erfüllt, bekommen die Initiatoren die Möglichkeit, ihr Vorhaben auf einer der drei Sitzungen im Jahr vorzustellen“, sagt Kirchner.

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Dabei bleiben ihnen nur rund fünf Minuten Zeit, um zu überzeugen. „Pro Sitzung werden 20 und mehr Anträge angehört. Daraus ergibt sich logischerweise, dass sich jeder kurz fassen muss, zumal über viele Anträge nach der Präsentation auch noch lebhaft diskutiert wird“, so Kirchner. Der 68-Jährige erinnert sich zum Beispiel an das Projekt „Tangokurse für Senioren in Pflegeheimen“.

Spendenparlament kümmert sich bei Bedarf auch um Überbrückungsfinanzierung

„Da haben wir lange beraten, ob es wirklich wichtig ist oder nur ‚nice to ­have‘.“ Am Ende entschied sich das Spendenparlament dafür. Eine Entscheidung, die auch aus heutiger Sicht richtig gewesen sei: „Das Projekt war sehr erfolgreich und lief mehrere Jahre lang. Die Fotos, die wir von den Tanzstunden bekommen haben, waren beeindruckend. Sie haben gezeigt, dass es sich gelohnt hat, dieses Projekt zu unterstützen.“

Grundsätzlich sei immer das Ziel, dass Projekte gefördert werden, die nach der Anschubfinanzierung auf eigenen Beinen stehen können, also selbst Spenden generieren und Ehrenämtler gewinnen können.“ Neben der Starthilfe kümmert sich das Spendenparlament bei Bedarf auch um Überbrückungsfinanzierung: „Gerade kürzlich ist bei einer Obdachlosenküche der Kessel kaputtgegangen, und pro Tag konnten bis zu 180 Obdachlose nicht mehr versorgt werden, sodass die ganze Tagesaufenthaltsstätte nicht mehr voll funktionsfähig war“, erzählt Uwe Kirchner. Für solche Fälle gebe es die Möglichkeit des sogenannten Feuerwehrantrags. „Damit konnten wir unbürokratisch und schnell helfen.“

100 Prozent der Spenden fließen direkt in die Projekte

Wichtig: 100 Prozent der Spenden fließen direkt in die Projekte. Das bedeutet auch, dass ausschließlich Ehrenamtliche für das Spendenparlament arbeiten. „Das unterscheidet uns von vielen größeren Organisationen und Stiftungen im sozialen Bereich“, betont Kirchner. Die Finanzierung der Verwaltung und Infrastruktur werde von zahlreichen Firmenspenden getragen.

Neben den rund 3100 Mitgliedern sind es derzeit 70 Ehrenamtliche, die Förderanträge prüfen, die Mittelvergabe überwachen, die Finanzen verwalten, Parlamentssitzungen organisieren, die Informationsstände besetzen und Öffentlichkeitsarbeit machen. „Es ist schon ein bisschen wie ein kleines Unternehmen“, sagt Kirchner.

Unterwegs mit dem Mitternachtsbus der Diakonie. Das Spendenparlament finanzierte den Start des Projekts 1996 mit 35.200 D-Mark.
Unterwegs mit dem Mitternachtsbus der Diakonie. Das Spendenparlament finanzierte den Start des Projekts 1996 mit 35.200 D-Mark. © Michael Rauhe | Michael Rauhe

Worüber er sich besonders freut: „Zum einen funktioniert der Generationswechsel, denn wir gewinnen immer wieder neue Ehrenamtliche für die Mitarbeit. Zum anderen ist beachtlich, wie treu unsere Mitglieder dem Spendenparlament bleiben. Rund 600 Frauen und Männer, die vor 25 Jahren zu den ersten Förderern gehört haben, sind heute immer noch dabei.“

2016 hat sich die Struktur des Spendenparlaments verändert

2016 hat sich die Struktur des Spendenparlaments insofern verändert, als dass mit der Gründung einer Stiftung eine weitere Säule dazu gekommen ist, die den Verein trägt. „Die Stiftung wurde aus den Mitteln eines Nachlasses gegründet, der uns übertragen wurde. Sie sichert die Arbeit langfristig und kann bei Bedarf auch größere Projekte realisieren.“

Die wichtigsten Corona-Themen im Überblick

Die Rücklagen, die durch die Stiftung gebildet wurden, waren in den Monaten seit Beginn der Corona-Pandemie wichtiger denn je. „Die Not in vielen Bereichen, etwa in der Kinder- und Jugendhilfe, war groß. Mädchen und Jungen aus ohnehin schon benachteiligten Familien drohten, durch den Lockdown weiter abgehängt und isoliert zu werden“, so Kirchner. „Und so sind wir glücklich, dass es uns gelungen ist, im vergangenen Jahr ein Förderprogramm in Höhe von 300.000 Euro auf den Weg zu bringen, das in diesem Jahr um weitere 300.000 Euro aufgestockt wurde.“

Abläufe mussten wegen der Corona-Pandemie geändert werden

Auch die routinierten Abläufe des Spendenparlaments mussten wegen der Corona-Pandemie geändert werden. „Die Parlamentssitzungen finden jetzt so statt, dass die Mitglieder entweder online oder per Brief über die Anträge abstimmen. Das war auch für uns ein völlig neues Prozedere, aber unsere Mitglieder haben das großartig unterstützt und sich stark beteiligt.“

Der Zahnarzt und heutige FDP-Bundestagsabgeordnete Wieland Schinnenburg und Zahnarzthelferin Ivonne Tolzin behandeln einen Patienten im Zahnmobil.
Der Zahnarzt und heutige FDP-Bundestagsabgeordnete Wieland Schinnenburg und Zahnarzthelferin Ivonne Tolzin behandeln einen Patienten im Zahnmobil. © picture alliance

Für Uwe Kirchner ist das Ehrenamt aus seinem Leben nicht mehr wegzudenken. Wie viel Zeit er dafür aufbringen muss? „Ich zähle die Stunden nicht, aber ich bin schon jeden Tag damit befasst“, so der studierte Volkswirt. „Ich möchte viele Hamburger einladen, sich bei uns zu engagieren, denn als Nebeneffekt lernt man durch die vielen Projekte und lebhaften Diskussionen auch viel über die soziale Seite Hamburgs und erfährt, dass diese Stadt nur funktioniert, wenn es Menschen gibt, die sich engagieren.“


Zahlreiche Projekte wären ohne das Spendenparlament nicht oder zumindest nicht in der Form entstanden. Zu den bekanntesten Projekten zählen:

Mitternachtsbus: Der Mitternachtsbus ist ein selbstständiges Projekt der Diakonie und wurde 1996 vom Spendenparlament mit 35.200 D-Mark angeschoben. Seitdem fährt der Bus regelmäßig von 20 bis 24 Uhr durch die Innenstadt und bringt Obdachlosen Heißgetränke, Brötchen, Kuchen, Decken, Schlafsäcke und mehr. 160 Bedürftigen kann so pro Tour geholfen werden. Bei den Fahrten geht es nicht nur um Versorgung mit Essen und Trinken, sondern auch um Zuwendung, Gespräche und Nähe. Die Ehrenamtlichen informieren auch über weitere Hilfsangebote.

Elternlotsen: Die Elternlotsenprojekte unterstützen junge Familien mit Migrationshintergrund in ihrer Muttersprache. Sie sind Kultur- und Sprachvermittler und informieren zu wichtigen Themen wie Kindertagesbetreuung, Schulen, Förderungsangebote für Familien und vieles mehr. Das Spendenparlament hat die Elternlotsenprojekte seit 2011 mit insgesamt 306.000 Euro unterstützt. Seit 2016 fördert die Sozialbehörde die Initiativen, die es inzwischen in allen Hamburger Bezirken gibt.

Kiezläufer: Die Kiezläufer sind engagierte Bürger, die in ihren Vierteln als Ansprechpartner für Jugendliche fungieren: Sie sollen Konflikte erkennen, bevor sie eskalieren. Kiezläufer sind meist in Abendstunden unterwegs, also dann, wenn die meisten Jugendeinrichtungen geschlossen haben. Sie sollen den Jugendlichen auf Augenhöhe begegnen und gleichzeitig als gute Vorbilder vorangehen. Die ersten Kiezläufer waren auf der Veddel unterwegs, später kamen Horn, Neugraben, Bergedorf-West und Mümmelmannsberg dazu. Das Spendenparlament hat seit 2013 die Kiezläufer in Horn, auf der Veddel und Bergedorf-West mit insgesamt 81.000 Euro unterstützt.

Zahnmobil: Das Zahnmobil ist eine Initiative der Hamburger Caritas und von Elmex, um hilfsbedürftigen Menschen kostenlose Zahnversorgung zu bieten und Präventionsarbeit bei Kindern zu fördern. Ermöglicht wurde das Zahnmobil 2008 durch eine Starthilfe des Hamburger Spendenparlaments in Höhe von 90.000 Euro, die bis dahin größte Einzelförderung eines Projektes. Zweimal pro Woche fährt das Zahnmobil Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe, Kindertagesstätten, pädagogische Mittagstische und andere Einrichtungen an.

Babylotsen: Die Babylotsen kümmern sich um junge Familien, bei denen sich abzeichnet, dass es nach der Geburt zu besonderen Belastungen, Überforderung und Schwierigkeiten kommen kann. Der Kontakt zwischen Eltern und Babylotsen entsteht teilweise schon vor der Geburt. 2007 hat das Hamburger Spendenparlament das Pilotprojekt des Programms am Marienkrankenhaus in Hohenfelde gefördert. Heute sind Babylotsen an 19 Geburtskliniken in vier Bundesländern im Einsatz.

So können Sie helfen

Wie kann ich das Spendenparlament unterstützen?

  • Das Spendenparlament kann auf verschiedenen Wegen unterstützt werden. Eine Möglichkeit ist eine Mitgliedschaft. Sie können natürlich auch einmalig spenden. Für eine Mitgliedschaft ist ein Jahresbeitrag von mindestens 60 Euro notwendig. Mitglieder können bei den Parlamentssitzungen über die Verteilung der Spenden mitentscheiden.

Eine Direktspende ist online über www.spendenparlament.de/helfen-sie-mit/spenden/ oder folgende Verbindungen möglich:

Hamburger Volksbank:

  • DE62 2019 0003 0019 1979 00; GENODEF1HH2

Hamburger Sparkasse:

  • DE48 2005 0550 1268 1100 44; HASPDEHHXXX

Weitere Möglichkeiten der Unterstützung – etwa das Ehrenamt – finden Sie auf der Homepage: www.spendenparlament.de/helfen-sie-mit.