Hamburg. Obdachlosen Menschen stehen weitere eisige Nächte bevor. Hamburger sollen sie dazu ermutigen, Notunterkünfte aufzusuchen.

Nachdem in dieser Woche erneut ein Mann tot auf der Straße aufgefunden worden ist, appellierte die Sozialbehörde am Freitag ausdrücklich, obdachlose Menschen zur Nutzung der Notunterkünfte in Hamburg zu ermutigen. Dort seien nach wie vor freie Betten verfügbar. Seit einer Woche sind die Standorte des Winternotprogramms ganztägig geöffnet und sollen damit rund um die Uhr Schutz vor der Kälte bieten.

Am Mittwoch war nahe den Landungsbrücken ein männlicher Leichnam aufgefunden worden, eine Identifizierung des Verstorbenen steht laut der Polizei Hamburg noch aus. Laut Senat starben in diesem Jahr bereits sieben Obdachlose auf Hamburgs Straßen, Obdachlosenorganisationen sprechen von zwölf Todesfällen in diesem Winter.

Durchgängige Hilfe bietet neben den Notunterkünften auch die Bahnhofsmission, die jeden Tag 24 Stunden besetzt ist. Vor Ort werden Schlafsäcke und heiße Getränke ausgegeben, bei Bedarf Transporte in Unterkünfte organisiert. „Kontinuierlich zur Verfügung zu stehen halte ich für sehr wichtig“, sagt Missionsleiter Axel Mangat.

So will Hamburg weitere Kältetote verhindern

Dass manche Obdachlosen bestehende Hilfsangebote nicht wahrnehmen möchten, habe unterschiedliche Gründe: „Das kann man nicht pauschalisieren, aber die Personen machen es sich alle nicht leicht. Manchmal sind es die eigenen Sichtweisen auf Obdachlosigkeit, manchmal hat man kein Vertrauen mehr in das Hilfesystem, oder die Rahmenbedingungen passen nicht – etwa die fehlende Privatsphäre in Gruppenzimmern“, sagt Mangat.

Auch für die Gefahr, sich mit dem Coronavirus anzustecken, gebe es eine hohe Sensibilität, sagt Ulrich Hermannes, Geschäftsführer des Missionsträgers „hoffnungsorte hamburg“. Mit der Anlaufstelle „plata“ will der Träger auch gezielt nicht deutsche Obdachlose ansprechen und sie überzeugen, eine Notunterkunft aufzusuchen: „Das gelingt manchmal, aber auch nicht immer. Vor Beginn der Corona-Krise haben Menschen aus dieser Zielgruppe negative Erfahrungen gemacht in Bezug auf die formalen Rahmenbedingungen, die für eine Aufnahme Voraussetzung waren und die sie nicht immer erfüllten. Die Kriterien wurden mit Beginn der Krise gelockert, aber es gibt bei einigen nach wie vor Vorbehalte“, sagt Hermannes.

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Menschen, die schon lange auf der Straße leben, würden teilweise auch ihre physische Kondition überschätzen. „Sie glauben, vor dem Hintergrund der eigenen Erfahrungen, auch noch in hohem Alter eher draußen schlafen zu können und Notunterkünfte nicht zu benötigen“, so Hermannes weiter. Die Bahnhofsmission vermittelt an Tagesanlaufstellen möglichst nah am Hauptbahnhof, wesentliche Partner sind die Tagesaufenthaltsstätte der Stadt an der Markthalle und das „Herz As“ der „hoffnungsorte hamburg“ an der Norderstraße.

Angebot wurde erweitert

Dort wurde aktuell das Angebot erweitert: Es gibt 40 zusätzliche Plätze in einem Anbau, in dem sich Obdachlose ausruhen und Beratungsangebote wahrnehmen können – unter anderem mit gesondertem Frauenangebot. „Das Angebot von Hilfeverbänden und Vereinen erweitert sich von Tag zu Tag“, sagt Missionsleiter Mangat. Ein weiteres gezieltes Angebot gibt es seit dieser Woche auch am Schanzenpark: Das Kulturhaus Schrødingers hat am Montag ein Lager für Obdachlose mit Hunden errichtet.

„Städtische Angebote sind so geregelt, dass Hunde oft nicht mit reingenommen werden dürfen. Für viele ist es aber nicht vorstellbar, ihren Hund nicht mitzunehmen“, sagt Szilvia Romhanyi, ehrenamtliche Helferin der Schrødingers-Vereinsarbeit. Wo früher eine Konzertbühne stand, befinden sich nun 18 gespendete Zelte mit Stromversorgung und Heizdecken. „Die Menschen, die hier sind, nehmen das auch sehr gut an“, sagt Romhanyi. „Aber hier ist noch Platz.“

Unter dem Vordach eines Kaufhauses in der Innenstadt hat ein Obdachloser Zuflucht gesucht. Trotz der Kälte übernachten in Hamburg viele Obdachlose im Freien, weil sie die Massenunterkünfte fürchten.
Unter dem Vordach eines Kaufhauses in der Innenstadt hat ein Obdachloser Zuflucht gesucht. Trotz der Kälte übernachten in Hamburg viele Obdachlose im Freien, weil sie die Massenunterkünfte fürchten. © dpa/Christian Charisius

Spezialisierte Hilfe, etwa für drogenabhängige Obdachlose, bieten auch dafür Einrichtungen wie das Drob Inn. Der Kältebus, der täglich zwischen 19 und 24 Uhr obdachlose Personen in die Unterkünfte der Stadt bringt, hatte bereits am vergangenen Wochenende seine Fahrtzeiten ausgeweitet. Auch an diesem Wochenende soll der Bus zusätzlich am Nachmittag zwischen 12 und 15 Uhr unterwegs sein, wie der Träger CaFeé mit Herz mitteilt. Unter der Woche sei dies aber nicht zu gewährleisten, da das Fahrerteam ehrenamtlich arbeitet.

200 Menschen in Hamburg in Einzelunterbringung versorgt

Vor Weihnachten unterstützten der ehemalige Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bahn, Rüdiger Grube, und seine Frau, Fernsehköchin und Unternehmerin Cornelia Poletto, die Arbeit im Harburg Huus des Deutschen Roten Kreuzes mit einer Spende. Im Harburg Huus finden Obdachlose ebenfalls Kleidung und ein Bett. Dazu sagt Poletto auf Anfrage: „Ich habe den Gästen ein weihnachtliches Adventsessen vorbeigebracht. Dabei bin ich mit vielen von ihnen ins Gespräch gekommen. Es ist so wichtig, dass die Menschen ihre Vorurteile gegen Obdachlose ablegen.“

Auch Missionsleiter Mangat wünscht sich einen anderen Ansatz: „Ein Themenpunkt im Bereich Obdachlosigkeit ist auch, dass viel über diese Menschen gesprochen wird, aber man sich mehr trauen müsste, direkt mit ihnen zu sprechen und sie zu fragen, was sie brauchen.“

  • Bürgerinnen und Bürger, die hilfebedürftige Obdachlose antreffen, können über die Hotline 42828 5000 professionelle Hilfe durch die Straßensozialarbeit anfordern.
  • Der Kältebus ist unter der 015165683368 zu erreichen.
  • Bei akuter Gefahr wie sichtbaren Wunden, Verletzungen oder Orientierungslosigkeit bittet die Sozialbehörde darum, immer den Rettungsdienst (112) oder die Polizei (110) direkt anzurufen.

Insgesamt seien derzeit rund 200 Personen durch die Stadt in einer Einzelunterbringung versorgt, wie der Sprecher der Sozialbehörde Martin Helfrich mitteilt. „Darunter über 50 Personen in angemieteten Zimmern über unterschiedliche Hotels hinweg, gut 100 Plätze stehen wegen des Verbots der Prostitution aus Corona-Eindämmungsgründen für von Obdachlosigkeit bedrohte Personen aus der Sexarbeit zur Verfügung. Über 50 weitere Plätze in Einzelunterbringungsangeboten von fördern & wohnen“, sagt Helfrich.

200 Menschen demonstrieren auf dem Jungfernstieg für die Öffnung der Hotels für Obdachlose.
200 Menschen demonstrieren auf dem Jungfernstieg für die Öffnung der Hotels für Obdachlose.

Doch Forderungen für weitere Hotelunterbringungen bestehen fort: Für Sonnabend hatten Initiativen wie die Seebrücke Hamburg in den sozialen Medien zu einer Demonstration unter dem Titel „Keine Toten mehr – open the hotels now!“ aufgerufen. 200 Menschen haben von 14 Uhr an auf dem Jungfernstieg die Öffnung der Hotels für obdachlose Menschen gefordert. Auf dem Gerhart-Hauptmann-Platz brennen derweil Kerzen: Hier findet bereits seit dem 6. Februar eine durchgehende Mahnwache zum Gedenken an die Verstorbenen dieses Winters statt.

Kältebus-Team beklagt Abweisungen

An mindestens acht Tagen in diesem Winter soll es Aufnahmepro­bleme in den Unterkünften des Hamburger Winternotprogramms gegeben haben. So vermerkte es das ehrenamtliche Helferteam des Projektes Kältebus in seinem Fahrtenbuch. Das Team fährt jede Nacht bedürftige Personen in die Notunterkünfte der Stadt, vor der Anfahrt der jeweiligen Unterkunft werden die Obdachlosen in der Regel telefonisch angekündigt. Es sei an Tagen im November, Dezember und Januar um Paare und Einzelpersonen gegangen, so das Kältebus-Team. „Es passiert öfter, dass wir die Leute nicht in die Unterkünfte bringen können, weil es einen Aufnahmestopp gibt“, sagt Fahrerin Anni Seemann.

Am 26. Januar habe sie eine Frau in die Kollaustraße gebracht, die normal aufgenommen worden sei. „Später wollten wir zwei junge Herren transportieren, die noch nie in einer Notunterkunft waren. Sowohl Kollaustraße als auch Schmiedekoppel sagten am Telefon, sie seien voll, auch für die kommenden Tage“, sagt Seemann. In der Friesenstraße hätten die Männer im Aufenthaltsraum bleiben müssen, da die Zimmer alle belegt gewesen seien. „Ich lese immer, alle Notunterkünfte seien nur zu 70 Prozent ausgelastet. Wenn dies unter Corona-Bedingungen aber quasi 100 Prozent sind, können wir eben niemanden mehr dort hinbringen.“

Fahrer vom Kältebus erleben Aufnahmestopp

Noch am 13. Januar habe die Sozialbehörde auf freie Kapazitäten an den drei Standorten Friesenstraße, Schmiedekoppel und Kollaustraße verwiesen. „Danach erlebten unsere Fahrer Aufnahmestopps in allen Einrichtungen“, sagt Christiane Hartkopf, die bis zum 1. Fe­bruar beim ehemaligen Träger Alimaus für den Kältebus zuständig war.

Der Kältebus fährt von November bis März durch Hamburg und bringt Obdachlose bei Bedarf in Unterkünfte.
Der Kältebus fährt von November bis März durch Hamburg und bringt Obdachlose bei Bedarf in Unterkünfte. © Katharina Knothe / Alimaus |

„Wenn ein Paar ein Paar-Zimmer wünscht, jedoch keines frei ist, muss an einen anderen Standort verwiesen werden“, sagt Behördensprecher Martin Helfrich auf Anfrage. Es gebe auch Situationen, in denen jemand wegen seines vorherigen Verhaltens Hausverbot erhalten habe. „Auch in solchen Fällen stehen der betroffenen Person nicht alle Standorte offen. Aus diesen Gründen ist es erforderlich und zweckdienlich, wenn die Absprache zur vorherigen Anmeldung eingehalten wird, um vergebliche Anfahrten zu vermeiden“, so Helfrich. Das Winternotprogramm habe aber zu jedem Zeitpunkt während dieser Saison über freie Kapazitäten verfügt.

„Wenn wir mit dem Kältebus wirklich vor der Tür stehen, werden wir aber meist nicht abgewiesen“, so die Kältebus-Fahrerin Katharina Knote. Die Einrichtungsleiter haben immer alles getan, um zu helfen. Aber es ist viel auf Improvisation angelegt.“