Hamburg. Jana Riedel fährt mit ihrer Bohnentanke durch die Stadt und verkauft lose Ware. Doch die Geschäfte gestalten sich derzeit schwierig.

Ein Karton reißt ein. Kleine Schachteln fallen zu Boden. „Das ist ja total nass“, sagt Jana Riedel (42). Sie betreibt die Bohnentanke, Hamburgs ersten Unverpackt-Laden auf Rädern. Mit ihrem Anhänger steht sie mehrmals pro Woche auf Märkten. Plastiktüten gibt es in ihrem Wagen nicht, dafür ökologische Papierboxen, eine Waage und Einmachgläser, die oft gespendet wurden und zu Hause weiterverwendet werden können.

Die Frau kniet vor den nassen Schachteln. Ein Stirnband hält ihr die Rastalocken aus dem Gesicht. Eine Schürze mit der Aufschrift „Bohne“ hängt um ihren Hals. Ihre grünen Augen folgen der Wasserspur, die bis unter die Theke führt. Dort stehen noch drei Kartons. Alle aufgeweicht.

Alle 14 Tage steht die Bohnentanke auf dem Markt in Elmshorn

Die Schachteln nimmt sie raus, breitet sie zum Trocknen auf einer weißen Decke aus. Da liegt sie, die lose Ware: feste Handcremes, Wattestäbchen aus Papier und Kinder-Zahnbürsten aus Bambus. Als sie jüngst in Elmshorn war, war es extrem nass und kalt, sagt Riedel. Seitdem sind zwei Tage vergangen. So lange konnte sich die Nässe im Wagen ausbreiten.

Alle 14 Tage steht ihre Bohnentanke auf dem Markt in Elmshorn. Aber nur noch für kurze Zeit, denn ab Mai öffnet dort der Unverpackt-Laden Simpel. Riedel ist dann nur noch in Hamburg: Sie fährt freitags auf den Hammer Wochenmarkt an der Vogelstange und sonnabends nach Wandsbek hinter das Quarree.

Insgesamt hat sie etwa 100 Produkte

Darüber freut sie sich, weil sie in Hamm wohnt und keine langen Strecken zurücklegen muss. Seit Ende Oktober verkauft sie dort schon Lebensmittel, Kosmetik und Zubehör an die Marktbesucher: Zimt (0,66 Euro pro 100 Gramm), Schokokekse (2,30 Euro), Cranberrys (2,90 Euro), Hundeseife (2,50 Euro), Abschminkpads (24 Euro). Insgesamt sind es etwa 100 Produkte. Riedel bezieht die Ware von mehreren Anbietern. Die Lebensmittel sind von Stückgut, Hamburgs erstem Unverpackt-Laden. Der Rest ist ein Sammelsurium von verschiedenen Firmen.

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Die Etiketten auf den Gläschen mit der Körperbutter haben wegen des Wetters die Farbe verloren. „Die muss ich wohl günstiger anbieten“, sagt Riedel und kramt sie in zwei Reihen vorne ins Regal. Das ist das erste Mal, dass ihre Ware nass geworden ist. Wie viel der Schaden sie kostet, kann sie noch nicht einschätzen. Dabei verdient sie mit ihrem Stand ohnehin nicht viel.

Ihren Hauptverdienst hat sie als Krankenschwester

In Hamburg seien es 200 Euro Umsatz pro Tag, in Elmshorn etwa 20 Euro. Würde der Verkauf in diesem Tempo weitergehen, dürfte Riedel zwei Jahren brauchen, um schwarze Zahlen zu schreiben. Das vermutet sie jedenfalls. Denn der Anhänger, die Regale, die Mehlmühle. Alles in allem habe sie 25.000 Euro investiert. Bevor sie von einem Gewinn sprechen könne, müsse sie das Geld erst in die Kasse bekommen. „Ein teures Hobby“, sagt sie. Und weiter: „Es wäre zwar schön, wenn es wirtschaftlicher sein würde, aber das ist eigentlich nicht mein Anliegen.“

Ihren Hauptverdienst hat sie als Krankenschwester im Marienkrankenhaus. Dort arbeitet sie in Teilzeit auf der Neugeborenen-Station. „Ich liebe meinen Job“, sagt sie. Doch der Krankenhausalltag war ihr nicht genug. Sie will etwas für die Umwelt tun, eine Botschaft senden: Reduziert Plastikmüll! Schont den Planeten! Ob die Nachricht durchdringt? Nach drei Monaten auf den Hamburger Märkten bezweifelt sie es. „Es ist nicht sinnfrei, was ich mache. Aber es bringt klimaschutztechnisch nicht mega viel. Ich glaube, die Welt geht trotzdem zugrunde. Aber Aufgeben ist nicht.“

Sie hofft, dass ihre Botschaft ankommt

Seit Wochen beobachtet sie, dass die Marktbesucher erst an die Fisch- und Fleischtheke gehen, ihre Käufe aufwendig einpacken lassen, dann zu ihr kommen, oft nur schauen. So wie ihre nächste Kundin. Eine Frau bleibt vor der Bohnentanke stehen. Die Mütze geht ihr bis zu den Augen. Sie mustert das Glas mit den Schokokeksen, dann die Seifen. „Was kann ich für dich tun?“, fragt die Hobby-Verkäuferin.

„Ich checke aus, was ich nächstes Mal alles an Gläsern mitnehmen muss.“ Eine Minute steht sie mit vorgeschobenem Kopf da. „Toll, dass du das machst“, sagt sie und verabschiedet sich daraufhin. Als die Kundin außer Hörweite ist, sagt Riedel: „Das sagen so, so viele. Wenn es danach ginge, müsste mein Laden bald ausverkauft sein. Aber so wenige kaufen dann wirklich ein.“ Trotzdem, sie will weitermachen, hofft, dass ihre Botschaft doch noch ankommt – und ist damit nicht allein.

Schon fast ein Dutzend Läden ohne Verpackungen

Dem Berufsverband der Unverpackt-Läden zufolge gibt es in Hamburg zehn weitere Geschäfte, die lose Ware verkaufen: neben Stückgut auch bio.lose, Endkorn, Loko, Monger Store Deli, Ohne Gedöns, Onkel Emma, Seppels, Streubar und Twelve Monkeys. Weitere sind geplant, darunter ein zweiter mobiler Marktladen mit Namen Süderelbe. Er wird auf den Wochenmärkten in Harburg, Wilhelmsburg und Neugraben stehen. Doch das steigende Angebot an losen Waren könnte zum Verhängnis für die Händlerinnen werden.

Denn obwohl sie im Lockdown öffnen dürfen, sinkt die Nachfrage. Dem Berufsverband liegen bundesweite Zahlen vor: Seit Ausbruch der Corona-Pandemie sei der Umsatz um etwa 30 bis 40 Prozent zurückgegangen. Für die Stückgut-Geschäfte in Ottensen und auf St. Pauli läuft es auf den ersten Blick etwas besser.

Stabile Nachfrage nach Lebensmitteln

So gut wie kein Geld sei mit Hygiene-, Kosmetik- und Haushaltsprodukten zu verdienen, doch die Nachfrage nach Lebensmitteln sei zumindest stabil, sagt Stückgut-Geschäftsführerin Insa Dehne (37). Demnach verbuche ihr Unternehmen nur knapp 30 Prozent weniger Umsatz. Doch das sei gerade das Problem: Um Corona-Hilfen zu erhalten, müssten die Zahlen um mindestens 30 Prozent zurückgehen. „Es ist Jammern auf hohem Niveau, weil es andere Branchen härter getroffen hat“, sagt sie.

Warum sinken die Umsätze trotz geöffneter Läden? Aus Angst vor Infektionen, wegen der sinkenden Kaufkraft in der Bevölkerung und der Fehlannahme, dass die Läden geschlossen seien, vermutet der Verband. Außerdem stünden die Büros in der Stadt leer, weshalb sich weniger Menschen nach Feierabend in der Innenstadt aufhielten und dort einkaufen.

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Das ist übrigens der Grund, warum Riedel anfangs dachte, ein mobiler Unverpackt-Laden sei rentabel – eben, weil sie die lose Ware in die Stadtteile bringt, dorthin, wo die Menschen wohnen und den Markt fußläufig erreichen können. Die Hobby-Verkäuferin hofft, dass ihr Plan spätestens nach Corona aufgeht. Dass die Stadtbewohner den Zimt, die Schokokekse und Cranberrys bald in Einmachgläsern kaufen und auf Verpackungsmüll verzichten.