Hamburg. Dass der Senat Milliarden-Schulden mache, sei zwar vertretbar. Aber wofür er das Geld ausgibt, sei zum Teil fragwürdig.

Selten zuvor wurde eine Stellungnahme des Rechnungshofs mit so viel Spannung erwartet. Denn am Dienstag meldeten sich die obersten – und politisch unabhängigen – Finanzprüfer der Stadt erstmals in der Corona-Krise offiziell zu Wort. Und ihr auf mehr als 80 Seiten ausgeweitetes Urteil über die Senatspolitik in Hamburg fiel gemischt aus: grundsätzliche Zustimmung, aber deutliche Kritik an einzelnen Maßnahmen.

Dass Rot-Grün im Zeitraum von 2020 bis 2022 Corona-bedingt rund sechs Milliarden Euro neue Schulden aufnehmen will (oder zum Teil schon aufgenommen hat), sei „nicht zu kritisieren“, so Rechnungshof-Direktor Philipp Häfner. Es sei zwar eine gewisse „Ironie der Geschichte“, dass sich die Stadt ausgerechnet in den Jahren vor und nach dem finalen Inkrafttreten der Schuldenbremse so hoch verschulde wie noch nie (bislang hat der Haushalt Verbindlichkeiten von gut 23 Milliarden Euro). Doch es sei halt volkswirtschaftlich kaum herzuleiten, wie viel Geld die Abwehr der Notsituation und die Folgen der Krise objektiv erforderten.

Rechnungshof kritisiert, wofür die Notkredite ausgegeben werden

Auch aus Sicht des Rechnungshofs, der sich von Amts wegen als „Bremser der Neuverschuldung“ verstehe, so Häfner, bestehe „nicht nur die Gefahr, zu viel Geld in die Hand zu nehmen. Auch ein Zuwenig birgt Risiken und kann die Zukunft belasten.“ So könne eine tiefe Wirtschaftskrise den Haushalt womöglich stärker belasten als die neuen Schulden. „Zudem ist es wichtig, in dieser Krise durch staatliche Hilfen die soziale und gesellschaftliche Stabilität und den Zusammenhalt zu unterstützen“, so Häfner. Soweit die Unterstützung für die Senatspolitik.

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Sehr kritisch sieht der Rechnungshof hingegen, wofür die Notkredite zum Teil verplant oder ausgegeben werden. Denn das im Zuge der Pandemie zur Verfügung gestellte Geld dürfe „nur für Zwecke eingesetzt werden, die belegbar mit der Notlage und der Abwehr ihrer Folgen verknüpft sind – sowohl inhaltlich als auch zeitlich“, heißt es in dem Bericht der Finanzprüfer. Und ob das immer der Fall ist, da meldete der Rechnungshof doch Zweifel an.

Neue IT für Hamburger Polizei wird mitfinanziert

Beispiel eins: Für die IT-Modernisierung bei der Polizei plant der Senat in 2021 und 2022 insgesamt gut 30 Millionen Euro ein – und finanziert diese aus seinem insgesamt 900 Millionen Euro schweren „Hamburger Wirtschaftsstabilisierungsprogramm“ (HWSP). Häfner zufolge wäre das nur statthaft, wenn belegt werde, dass die Polizei wegen Corona mehr oder andere IT benötige und dass sich die Investitionen noch während der Krise nutzen lassen – das sei jedoch angesichts der erfahrungsgemäß langsamen Umsetzung von neuen IT-Lösungen fraglich. Eine andere Begründung könne sein, dass mit der Investition die IT-Wirtschaft angekurbelt werden solle, so Häfner. Doch gerade diese Branche gilt ohnehin als große Krisen-Gewinnerin.

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Beispiel zwei: Unter den Stichworten „Mobilitätswende“ und "Radverkehrsoffensive“ will der Senat 80 Millionen Euro in 2021/22 aus dem HWSP ausgeben. Auch das sieht der Rechnungshof kritisch: „Entweder werden die Radwege während der Corona-Krise gebraucht, dann müssten sie spätestens im kommenden Jahr fertig werden“, so Häfner. Oder es gehe um Wirtschaftsförderung. Das sei jedoch nicht plausibel, denn auch die Bauwirtschaft stehe nicht schlechter da als vor der Krise. Daher mache der Rechnungshof „ein deutliches Fragezeichen“ an die Kreditfinanzierbarkeit mancher Maßnahmen. Allerdings, schränkte Häfner ein, habe der Senat ja noch die Möglichkeit, seine Pläne zu begründen.

Rechnungshof: Das Geld darf, muss aber nicht ausgegeben werden

Zudem wies der Rechnungshof darauf hin, dass Kredit-Ermächtigungen der Bürgerschaft nur bedeuteten, dass Geld ausgegeben werden darf – müsse es aber nicht. „Schon 2020 standen mehr Notfallmittel zur Verfügung, als tatsächlich verausgabt werden konnten und mithin auch gebraucht wurden“, so der Bericht. Von den bewilligten 1,6 Milliarden seien faktisch nur 500 Millionen Euro ausgegeben worden. Auch für 2021/2022 sei vermutlich „mehr Geld ermächtigt, als … ausgegeben werden kann“.

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Hinzu komme, dass es der Stadt schon seit Jahren nicht mehr gelinge, die im Haushalt bereitgestellten Mittel vollständig auszugeben: „Gegenwärtig steht eher zu viel Geld zur Verfügung.“ Wenn etwa für eingeplante Bauprojekte keine Firmen gefunden werden, bleiben die Mittel als „Reste“ stehen, die ins nächste Haushaltsjahr übertragen werden können. „Die Reste steigen von Jahr zu Jahr“, so der Rechnungshofbericht. „Mittlerweile könnte ein ganzes Jahr lang auf einen Investitionshaushalt verzichtet und trotzdem unverändert weiter aus Resten investiert werden.“

Finanzpolitik ab 2023 belastet: „Dann kommen die schweren Jahre.“

Das eigentliche Problem komme aber erst 2022/2023 auf die Stadt zu: Da sich in Hamburg die Höhe der erlaubten Ausgaben aus den tatsächlichen Steuereinnahmen der vergangenen 14 Jahre ableiten (und dieser „Steuertrend“ fällt), müssten von 2022 an jährlich rund 250 Millionen Euro eingespart werden. Von 2025 an kämen noch 175 Millionen Euro jährlich hinzu, die fest zur Tilgung der neuen Schulden eingeplant seien. Unterm Strich müssten die Behörden als mehr als 400 Millionen im Jahr weniger ausgeben. „All das wird die Finanzpolitik ab 2023 belasten“, so Häfner. „Dann kommen die schweren Jahre.“

Thilo Kleibauer, haushaltspolitischer Sprecher der CDU-Fraktion, begrüßte die kritische Stellungnahme: „Der Rechnungshof hat unmissverständlich deutlich gemacht, dass die beschlossenen Notkredite von drei Milliarden Euro nicht missbräuchlich verwendet werden dürfen. Die Ausnahme von der Schuldenbremse gilt für Corona-Mehrbedarfe der Stadt sowie zur Unterstützung von der Pandemie betroffener Branchen, nicht aber für alle möglichen Ausgabenwünsche.“ Auch die AfD forderte: "Corona kann und darf nicht die Generalausrede für die massiven Mehrausgaben sein."

Bund der Steuerzahler: Analyse muss den Senat "wachrütteln"

Die Analyse des Rechnungshofs müsse den Senat „wachrütteln“, forderte der Bund der Steuerzahler. Bei vielen mit Corona begründeten Mehrausgaben des Senats fehle „schlicht der Beweis, dass es sich tatsächlich um Mehrausgaben handelt, die durch Corona verursacht worden sind“, sagte der Landesvorsitzende Lorenz Palte. „Die rechtlichen Hürden, die der Rechnungshof dabei aufzeigt, muss der Senat ernst nehmen.“

„Wir fühlen uns im Wesentlichen bestätigt“, sagte dagegen Finanzsenator Andreas Dressel (SPD) dem Abendblatt. „Es ist keine Selbstverständlichkeit, dass ein Rechnungshof eine Nettokreditaufnahme in dieser Höhe und die Ausweitung der Notsituation auf 2022 mitträgt.“ Zur Kritik an einzelnen Maßnahmen sagte er: „Wir nehmen die Hinweise ernst. Die Planungen stehen ja erst am Anfang. Wir werden die Begründungen noch konkretisieren.“