Hamburg. Historisch, emotional, ehrlich: Der Empfang des Abendblatts hatte prominente Gäste. Was sie bewegt, wie sie Mut machen.

Rund 1000 Gäste hat Chefredakteur Lars Haider beim 33. Neujahrsempfang des Hamburger Abendblatts begrüßt – pandemiebedingt natürlich nicht im Großen Festsaal des Hotels Atlantic, sondern digital, also zu Hause an den Bildschirmen. Dennoch war dieser historische Empfang keine "One-Man-Show", sondern eine hochkarätig besetzte Gesprächsrunde. Zahlreiche Persönlichkeiten wurden live zugeschaltet, darunter die Erfolgsautorin und Hamburger Ehrenbürgerin Kirsten Boie, UKE-Professorin Marylyn Addo, die gerade an einem Corona-Impfstoff forscht, und auch Gastronom Tim Mälzer, der deutliche Worte fand.

Tim Mälzer: "Langsam wird es wirtschaftlich eng"

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Der Gastronomiebranche gehe es "okay", so der Starkoch und Unternehmer, allerdings seien die Rücklagen langsam verbraucht. "Den Worthülsen müssen jetzt Taten folgen, bisher ist nämlich relativ wenig bei uns angekommen."

Zwar habe er 10.000 Euro Novemberhilfe erhalten, diese Summe könne aber natürlich nur einen Bruchteil des tatsächlichen wirtschaftlichen Schadens abdecken. "Wir wollen ja gar nicht unbedingt sofort wieder aufmachen, aber so langsam wird es eng", sagt Mälzer, der in Hamburg neben der "Bullerei" im Schanzenviertel auch "Die Gute Botschaft" am Alsterufer betreibt.

"Die Politik hat versucht, uns zu schützen, aber..."

Viele seiner Mitarbeiter lebten seit fast einem Jahr von 60 Prozent ihres Gehalts: "Da wird sich dieses Jahr noch zeigen, dass die Leute womöglich peu a peu ins soziale Abseits geraten." Als der Lockdown im November beschlossen worden sei, sei schon klar gewesen, dass es keinen Sinn machen würde, sich vor März wieder mit der Öffnung der Gastronomie zu beschäftigen, so Mälzer, der im Fernsehen mit seiner Vox-Reihe "Kitchen Impossible" erfolgreich ist. "Politiker-Bashing", sagt Mälzer, liege ihm jedoch fern. "Ich möchte diese Entscheidungen nicht treffen müssen. Die Politik hat versucht, uns zu schützen. Ich hätte mir allerdings mehr Dialog gewünscht oder vielleicht mehr Anerkennung des bürgerschaftlichen Engagements. Denn nur dadurch haben wir es geschafft, bis jetzt so gut durch die Krise zu kommen. Das macht auch diese Stadt so großartig."

Er wolle deshalb insbesondere jenen Hamburgern danken, die das Lieferangebot der Gastronomie annähmen und ihre Lieblingsrestaurants mit Gutscheinkäufen unterstützten. "Das gibt uns die Hoffnung, wieder durchzustarten." Doch wann wird das sein? "Die Impfwelle muss wirklich in der Mitte der Bevölkerung ankommen, damit das auch für uns eine Relevanz bekommt. Die Menschen, die schon bald geimpft werden, gehen danach ja nicht gleich zum Tanzen in einen Club."

Als Vater liegt Tim Mälzer auch das Wohl der Kinder in dieser Krise am Herzen – und so sagt er in Anspielung an ein berühmt gewordenes Zitat von Finanzminister Olaf Scholz (SPD): "In Zukunft muss die Bildungslücke mit der Bazooka bearbeitet werden, um soziale Unterschiede auszugleichen."

Kirsten Boie: "Die Bildungsschere ist auseinander gegangen"

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Auch der Kinder- und Jugendbuchautorin Kirsten Boie (u.a. "Ritter Trenk", "Möwenweg") geht es vor allem darum, dass die Jüngsten in der Gesellschaft keinen Schaden nehmen: "Noch wichtiger als alles andere in dieser Pandemie, sind für mich die Kinder und das Thema Bildung. Denn ich fürchte, dass die Bildungsschere enorm auseinander gegangen ist", so Hamburgs Ehrenbürgerin im Gespräch mit Chefredakteur Lars Haider. Im Augenblick sei da wenig Abhilfe möglich. "Aber nach der Pandemie müssen wir ganz genau draufschauen und alles für mehr Bildungsgerechtigkeit tun."

Für diesen von Herzen kommenden Appell ließ die erfolgreiche Schriftstellerin auch den aus Flensburg zugeschalteten Grünen-Chef Robert Habeck kurz warten. Grundsätzlich habe ihr das vergangene Corona-Jahr unfreiwillig "Entschleunigung" gebracht, so Boie. "Eigentlich bin ich die Hälfte des Jahres unterwegs, bin auf Lesungen, bei Podiumsdiskussionen. Das fiel natürlich alles weg und ich hatte Zeit zu schreiben." Sie selbst sei seit 25 Jahren im Geschäft, sei privilegiert. Doch für viele Kollegen sei die Krise verheerend. "Weil sie eben nicht von den Einnahmen durch ihre Bücher leben, sondern von den Veranstaltungen. Und die haben alle nicht stattgefunden. Das hat in der zweiten Hälfte des Jahres durchaus zu Panik geführt."

"Panik hemmt die Kreativität"

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Sie wisse von Autoren, die derzeit fürchteten, ihre Wohnungen aufgeben zu müssen. "Und die bekommen dann zu hören: Aber ihr könnt doch schreiben und euch an eure Bücher setzen. Aber wenn man mit der Panik lebt, wie man seinen Lebensunterhalt künftig bestreiten soll, dann fördert das nicht gerade die Kreativität." Dass es bald eine Fülle von Büchern geben werde, die sich mit Corona beschäftigen, könne sie sich sehr gut vorstellen: "Aber ob die alle überzeugend sind, das bleibt abzuwarten."

Professor Dr. Marylyn Addo: "Wir sind weiter, als wir im Sommer geträumt haben"

Neujahrsempfang 2021: UKE-Infektiologin Prof. Dr. Marylyn Addo im Gespräch mit Abendblatt-Chefredakteur Lars Haider
Neujahrsempfang 2021: UKE-Infektiologin Prof. Dr. Marylyn Addo im Gespräch mit Abendblatt-Chefredakteur Lars Haider © Andreas Laible

Sie ist die Frau, in die ganz Hamburg große Hoffnung setzt: UKE-Professorin Dr. Marylyn Addo, eine der führenden Infektiologinnen des Landes, forscht mit ihrem Team an einem Corona-Impfstoff und kann das aktuelle Pandemiegeschehen wohl am besten einschätzen. Wann ist der ganze "Spuk" also endlich vorbei? "Das ist schwer vorherzusagen. Aber ich bin sehr zuversichtlich, dass wir im nächsten Jahr beim Abendblatt-Neujahrsempfang eine ganz andere Situation haben", so die Internistin, die an der renommierten Harvard Medical School gelehrt hat, ehe sie nach Hamburg kam, wo die zweifache Mutter seit 2015 die Abteilung für Infektiologie am UKE leitet.

"Wir werden bis dahin ein Stück Normalität zurückgewonnen haben. Für die nächsten, noch herausfordernden Monate muss weiterhin oberstes Ziel sein, die Infektionszahlen herunterzubekommen und die Impfungen weiter auf den Weg zu bringen."

"Das hätten wir kaum zu träumen gewagt"

Auf Lars Haiders Frage, ob die Politik bei der Impfstoffverteilung Fehler begangen habe, antwortet die Wissenschaftlerin: "Ich habe da vielleicht einen anderen Blick drauf. Vor noch nicht mal einem Jahr wurde das neuartige Virus bekannt. Und schon Ende Dezember 2020 haben wir die ersten Hamburger, darunter unsere Mitarbeiter am UKE, impfen können. Ich bin weiterhin begeistert davon, was in dieser kurzen Zeit erreicht wurde."

Die ersten Impfstoffe seien nun verfügbar und hätten eine nachgewiesene Wirksamkeit von 95 Prozent. "Das hätten wir doch im vergangenen Sommer kaum zu träumen gewagt", sagt die renommierten Expertin.

Tarek Müller: Daumen hoch!

Neujahrsempfang des Hamburger Abendblatts 2021: Technik Hotel Atlantic
Neujahrsempfang des Hamburger Abendblatts 2021: Technik Hotel Atlantic © Andreas Laible

„Normalerweise redet er mehr“, sagte Lars Haider augenzwinkernd über die Live-Schalte mit Tarek Müller, dem Gründer und Geschäftsführer des Online-Versandhandels About You, einer Beteiligung der Otto Group. Der in Harburg aufgewachsene Erfolgsunternehmer, der als digitaler Vorreiter gilt, war wegen eines technischen Problems nicht zu hören, aber zumindest zu sehen. Und so ergab sich spontan das Format "Sagen Sie jetzt nichts": Mit Lächeln, Gesten und pantomimischem Geschick konnten die wichtigsten Fragen auch so geklärt werden: Mehr als eine Million Atemschutzmasken, Tendenz steigend, habe Müllers Modefirma im vergangenen Jahr verkauft.

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Homeoffice, was Lars Haider grundsätzlich begrüßt, findet der Gründer "so mittel", das habe Vor- und Nachteile. Weiterhin verfolgt der 32-Jährige den Plan, mit 40 Jahren in die Hamburger Politik einzusteigen. Ob er in der Krise etwas grundlegend anders gemacht hätte als Bürgermeister Peter Tschentscher, wollte Lars Haider wissen. Die Antwort: nein. Wer Tarek Müller - und er hat viel zu sagen - nachträglich noch hören möchte, dem sei die entsprechende Folge des erfolgreichen Abendblatt-Podcasts "Entscheider treffen Haider" empfohlen.

Luisa Neubauer: "In der Klimasache ein Jahr verloren"

Neujahrsempfang des Hamburger Abendblatts 2021:Luisa Neubauer
Neujahrsempfang des Hamburger Abendblatts 2021:Luisa Neubauer © Andreas Laible

Aus Berlin zugeschaltet war Klimaaktivistin Luisa Neubauer, die es nach eigener Aussauge momentan schwierig findet, zuversichtlich zu sein - jedenfalls, was die Verbesserung des Weltklimas betrifft. "Wir sind in einer mittelmäßig desaströsen Situation", so die Hamburgerin, die als "deutsches Gesicht der Fridays for Future-Bewegung" gilt. Positiv sei, dass mehr Menschen Haltung zeigten, für ihre Überzeugungen auf die Straße gingen, laut würden.

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Ob denn nicht 2020 für die Klimabewegung ein gutes Jahr gewesen sei, wollte Chefredakteur Lars Haider wissen. Der weltweite Flugverkehr sei doch beispielsweise coronabedingt zum Stillstand gekommen, Emissionen eingespart worden. "Schon", sagte die 24-Jährige, die in Iserbrook aufgewachsen ist, in Blankenese Abitur gemacht hat und derzeit mit ihrer Großmutter an einem Buchprojekt arbeitet. "Aber das war ja alles eine zufällige Nebenwirkung der Pandemie, mit nachhaltiger Politik oder gar einer bewussten Entscheidung im Kampf gegen den Klimawandel hatte das überhaupt nichts zu tun."

Die Beiträge des 33. Abendblatt-Neujahrsempfangs

Zudem sei der Zeitraum zu kurz, um einen möglichen positiven Effekt beim Klima zu spüren. "Es hat sich leider gezeigt, dass wir es nicht gelernt haben, verschiedene Krisen gleichzeitig ernst zu nehmen", so Neubauer, die im vergangenen Sommer ihr Geographie-Studium in Göttingen mit dem Bachelor abgeschlossen hat.

Was bleibt, ist die Hoffnung. Dass sich der Klimawandel aufhalten lässt. Dass sich Corona stoppen lässt. Nicht zuletzt, damit der 34. Neujahrsempfang des Hamburger Abendblatts wieder wie gewohnt feiern lässt. Mit Händeschütteln, Umarmungen und persönlichen Gesprächen.