Hamburg. Rassistisch und antisemitisch motivierte Straftaten nehmen zu. Hamburgerin wegen „Like“ angeklagt. Gallina: „Massives Problem.“

Hamburger sind stolz auf Hamburg – auch deshalb, weil die Bürger der Hansestadt als besonders weltoffen und tolerant gelten. Doch ein hässlicher Trend nagt an diesem Nimbus: Hasskriminalität – Straftaten, die auf Vorurteilen des Täters beruhen – entwickelt sich immer mehr zu einem Problem.

Wie die Justizbehörde auf Abendblatt-Anfrage mitteilte, ist die Zahl der in diesem Jahr eingeleiteten Ermittlungsverfahren im Bereich der sogenannten Hasskriminalität gegenüber 2019 noch einmal deutlich gestiegen. Während die Behörde im gesamten Vorjahr 184 Verfahren verzeichnete, waren es bis zum 16. Dezember 2020 schon 230. In 77 Fällen war das Internet der Tatort.

Hamburg: Zunahme antisemitischer und rassistischer Taten

Zugenommen haben insbesondere rassistisch und antisemitisch motivierte Taten. Allein 79 der 107 Beleidigungsdelikte (Pöbeleien, Verleumdungen, üble Nachrede) hatten demnach einen rassistischen Hintergrund. Im Jahr davor waren es 40 weniger. Von den 79 Verdachtsfällen von Volksverhetzung (2019: 64) – inzwischen ein typisches Internet-Delikt – waren 34 antisemitisch und 41 rassistisch motiviert. Insgesamt erfassten die Behörden 149 Taten mit fremdenfeindlichem (2019: 111) Hintergrund. Nicht immer blieb es hier bei verbalen Angriffen – in 21 Fällen nahmen die Behörden auch Ermittlungen wegen Körperverletzungen auf.

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Von den 51 registrierten antisemitischen Straftaten wurde in einem Fall die Schwelle zur physischen Gewalt überschritten: Ein 29 Jahre alter Deutsch-Kasache hatte am 4. Oktober vor der Synagoge Hohe Weide einen Studenten, der eine Kippa trug, mit einem Klappspaten attackiert und schwer am Kopf verletzt. Hinzu kommen 19 islamfeindliche Taten; in weiteren 24 Fällen richteten sich Häme, Hass und Hetze gegen die sexuelle Orientierung oder die sexuelle Identität von Menschen.

Facebook, Twitter und Co. sollen Hass-Postings löschen und melden

Die Justizbehörde geht allerdings davon aus, dass es sich bei den 230 verfolgten Taten nur um die Spitze des Eisbergs handelt. Vor allem im Netz brodelt der Hass. Noch einmal deutlich steigen dürften die Fallzahlen, wenn das Bundesgesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität auch in Hinblick auf die geplante Meldepflicht in Kraft tritt. Die sozialen Netzwerke sollen dann nicht nur Hass-Postings löschen, sondern sie zudem dem Bundeskriminalamt melden. „Hass und Verschwörungstheorien im Netz haben das Potenzial, unsere Gesellschaft zu spalten“, sagte Justizsenatorin Anna Gallina (Grüne) dem Abendblatt. „Wir reden über ein massives Problem, bei dem der Hass sehr gezielt über Menschen ausgekippt wird. Oft bleibt es nicht beim Hass im Netz, sondern hat zur Folge, dass Menschen weitere Straftaten begehen. Aus Worten werden Taten.“

So ist längst bekannt, dass sich die Attentäter von Hanau und Halle sowie der mutmaßliche Mörder des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU) im Internet radikalisiert hatten.

Strafbefehl wegen "Like"

Um sich strafbar zu machen, reicht mitunter schon ein Klick, wie eine 64 Jahre alte Hamburgerin feststellen musste. Auf Facebook soll sie im Februar einen Kommentar zum Attentat von Hanau, in dem die Ermordung von Ausländern befürwortet wurde, mit einem ­„Like“ versehen haben. Das Amtsgericht Wandsbek erließ daraufhin wegen „Billigung einer Straftat“ einen Strafbefehl über 40 Tagessätze. Weil die Beschuldigte Einspruch einlegte, muss jetzt verhandelt werden.

Ärger mit der Justiz handelte sich eine weitere Hamburgerin ein, die den Mord an Walter Lübcke auf Facebook mit einem Smiley und den Worten „Da hatte ja jemand mal ’ne Idee …:)“ guthieß. Die Staatsanwaltschaft hat deshalb beim Amtsgericht Harburg den Erlass eines Strafbefehls über eine Geldstrafe in Höhe von 1500 Euro beantragt.

Erklärtes Ziel der Justizbehörde ist es, die Zahl der Strafanzeigen im Bereich der digitalen Hasskriminalität zu steigern, dabei helfen soll die neue Koordinierungsstelle „OHNe Hass“. Damit Menschen, die in ihrem Beruf häufiger mit Hasskommentaren zu tun haben, ohne viel Aufwand Anzeige erstatten können, ist unter anderem der Aufbau eines Online-Dienstes geplant. Gallina: „Nur wenn Anzeige erstattet wird, können Hasstaten konsequent verfolgt werden.“