Hamburg. Gewaltkriminalität ist insgesamt auf Vorjahresniveau. St. Georg und St. Pauli sind in Hamburg weiterhin an der Spitze.

Der Corona-Effekt hat dafür gesorgt, dass die Kriminalitätsbelastung in Hamburg deutlich abgenommen hat – so sanken die Fallzahlen, etwa beim Einbruch- und Fahrraddiebstahl, vorübergehend auf ein Rekordtief. Doch wie hat sich die Krise ab Mitte März mit dem achtwöchigen Stillstand des öffentlichen Lebens auf die für das Sicherheitsempfinden der Hamburger maßgebliche Gewaltkriminalität ausgewirkt?

Erstaunlicherweise hatten die Corona-Beschränkungen in diesem Deliktsbereich einen offenbar geringeren Einfluss. Registrierte die Polizei in den ersten sechs Monaten des Vorjahres hamburgweit 3350 Gewalttaten, waren es bis Ende Juni dieses Jahres 3343 – also sieben weniger. Nur.

Ein Grund dafür: Die Zahl der gefährlichen Körperverletzungen, die in Hamburg mehr als 70 Prozent der Gewaltkriminalität ausmacht, lag vor und gleich nach dem Lockdown höher als in den Vorjahren. Dasselbe gilt für die Raubkriminalität, die noch einmal einen Anteil von rund 25 Prozent an der gesamten Gewaltkriminalität hat.

Bezirk Mitte führt Gewaltstatistik an

Nach der vorläufigen Halbjahresbilanz – Fälle können nachträglich noch hinzugefügt oder herausgenommen werden – führt wie üblich und weit vor allen anderen Bezirken Mitte die Gewaltstatistik mit 1446 Taten an. Der Bezirk, in dem gut 46 Prozent der gesamten Gewaltkriminalität in Hamburg angezeigt wird, verzeichnet damit sechs Prozent weniger Gewalttaten als im Vorjahreshalbjahr – da waren es noch 1538.

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Ausschlaggebend dürfte der Lockdown auf St. Pauli und in St. Georg gewesen sein, wo allein rund 28 Prozent der gesamten Gewaltkriminalität in Hamburg regis­-
t­riert wird.

Es folgen die Bezirke Wandsbek (2020: 477/ 2019: 430), Altona (389/ 359), Nord (342/ 368), Harburg (277/ 254), Eimsbüttel (223/ 201) und Bergedorf (188/ 200).

Zahl der Vergewaltigungen deutlich gestiegen

Auffällig: Im ersten Halbjahr 2019 gab es mit 18 Fällen von Mord, Totschlag und Tötung auf Verlangen schon mehr als doppelt so viele Tötungsdelikte in Hamburg. Bis Ende Juni 2020 erfasste die Polizei stadtweit „nur“ sieben Tötungsdelikte, fünf allein im Bezirk Mitte, dafür kein einziges im Bezirk Altona. Zum Vergleich: Bis Mitte 2019 waren in Altona sechs Menschen mutmaßlich eines gewaltsamen Todes gestorben. Deutlich gestiegen ist dieses Jahr allerdings die Zahl der angezeigten Vergewaltigungen: von 100 in den ersten zwei Quartalen 2019 auf 127 – eine Zunahme von 27 Prozent. Ein signifikantes Plus derartiger schwerer Sexualstraftaten registrierte die Polizei in den Bezirken Wandsbek, Mitte, Nord und Altona.

Wie aus der Senatsantwort auf mehrere Kleine Anfragen der AfD-Bürgerschaftsfraktion zur Entwicklung der Gewaltkriminalität in elf Stadtteilen hervorgeht, sind bei Gewaltdelikten nach wie vor St. Pauli und St. Georg die unangefochtenen Spitzenreiter in Hamburg – auch wenn der Jahrestrend für beide Viertel hoffnungsvoll stimmt.

So gab es bereits 2019 rund um den Trinkertreff Hansaplatz fast 18 Prozent und auf St. Pauli fast acht Prozent weniger Gewaltdelikte als im Jahr davor. Die Polizei führt dies auf eine erhöhte Präsenz und in St. Georg insbesondere auf die seit August 2019 laufende Kameraüberwachung zurück. Insgesamt hat die Polizei bis Ende Juni 2020 auf St. Pauli 6752 Straftaten registriert, 8751 waren es in St. Georg.

Feier-Flaute hatte positiven Effekt

Laut Senat handelt es sich bei 238 der in St. Georg bis Ende Juni 2020 erfassten 383 Gewalttaten (2019: 388) um gefährliche Körperverletzung, 134 Raubtaten kommen hinzu. 205 der 288 ermittelten und überwiegend polizeibekannten Verdächtigen seien „nichtdeutsche Tatverdächtige“, was einem Anteil von 71 Prozent entspricht. Hamburgweit und auf alle Straftaten (bis auf ausländerspezifische Delikte) bezogen, lag der Anteil nichtdeutscher Tatverdächtiger im Vorjahr hingegen bei etwa 42 Prozent.

Während in St. Georg, speziell im Bereich Hansaplatz, eine Trinker- und Drogenszene seit Jahren fest verwurzelt ist, hängt die Kriminalität auf St. Pauli offenbar stärker davon ab, wie belebt das Vergnügungsviertel insgesamt ist. Und hier sah es zwischen März und Mai düster aus: Wie kaum ein anderer Stadtteil litt St. Pauli unter der Krise; monatelang waren Bars und Clubs geschlossen, die Bordellbetriebe sind es noch immer. Offenbar hatte die Feier-Flaute zumindest einen positiven Effekt: Die Zahl der Gewalttaten ging im ersten Halbjahr um rund ein Fünftel zurück – auch wenn es immer noch so viele sind, wie der Bezirk Eimsbüttel in einem ganzen Jahr verzeichnet.

Polizisten gehen durch eine Straße am Hansaplatz
Polizisten gehen durch eine Straße am Hansaplatz © dpa

Hatten die Beamten bis Juni 2019 noch 553 Fälle erfasst, waren es bis Ende Juni 2020 lediglich 440, darunter 137 Raubtaten und 289 Fälle von gefähr­licher Körperverletzung. Nach wie vor sind das Vergnügungs- und das Bahnhofsviertel gefährliche Pflaster für Polizisten: In den ersten sechs Monaten sind in St. Georg 84 und auf St. Pauli 96 Polizisten tätlich angegriffen worden. Hamburgweit sind rund 50 Beamte durch Angriffshandlungen im Dienst verletzt worden, so die Polizei auf Abendblatt-Anfrage. Bis Mitte 2019 waren es noch 84.

Anteil der Gewaltdelikte auf St. Pauli am höchsten

Gegenüber dem Vorjahreszeitraum stieg die Zahl der Gewalttaten zwar in einem Teil der elf Stadtteile, nach denen die AfD gefragt hatte, etwa in Altona-Altstadt von 66 auf 76 oder in Steilshoop von 26 auf 37. Doch in anderen Vierteln ging sie zurück, so in Wilhelmsburg von 107 auf 96.

Gemessen an der Gesamtzahl der bis Juni erfassten Straftaten ist der Anteil der Gewaltdelikte mit 6,52 Prozent auf St. Pauli am höchsten, es folgen Horn (4,82 Prozent), St. Georg (4,38), Lurup (4,26), Billstedt (4,17), Jenfeld (4,06), Osdorf (3,7), Steilshoop (3,69), Altona-Altstadt (3,47), Wilhelmsburg (3,41) und Dulsberg (1,73). Hamburgweit wurden im Vorjahr 7186 Gewaltdelikte registriert, damit lag ihr Anteil an der Gesamtkriminalität bei 3,4 Prozent. Tendenz: weiter fallend.