Hamburg. Wegen Corona steht das Antiquariat Bernhardt in Eilbek nach 28 Jahren vor dem Aus. Doch viele treue Buchliebhaber wollen das nicht hinnehmen.

„2020 wollte ich endlich schwarze Zahlen schreiben, und dann grätscht Corona dazwischen“, sagt Torsten Bernhardt. Der Inhaber des Antiquariats Bernhardt in Eilbek schüttelt den Kopf. In seinem Laden an der Wandsbeker Chaussee 159 stapeln sich die etwa 20.000 Bücher bis unter die Decke. An den Wänden und in der Mitte des Raums reihen sie sich in hohen Regalen anein­ander, innerhalb der engen Gänge bilden sie mannshohe Türme, daneben stehen überquellende Pappkartons.

Vor einem dieser Büchertürme sitzt der 51 Jahre alte Inhaber und lässt seinen Blick über die Titel schweifen: „Robinson Crusoe’s Reisen, wunderbare Abenteuer und Erlebnisse“ aus dem Jahr 1898, „Die Geschichte der Stadt Hamburg“ oder ein erotisches Fotobuch von Helmut Newton – Kenner und Sammler schätzen das breite Angebot. Insbesondere zu den Themen Schifffahrt, Militaria, Zeitgeschichte, Hamburg und Verkehrswesen bietet Torsten Bernhardt ein breites Sortiment an. Doch wie lange noch? Der Antiquar fürchtet um seine Existenz, um das Geschäft, das sein Vater ihm vor 18 Jahren übergeben hat.

Geschäfte sind kontinuierlich zurückgegangen

Erst 1992 hatte Vater Werner Bernhardt das Antiquariat, das damals noch im „City-Hof“ am Johanniswall zu finden war, übernommen. Der vorherige Inhaber Günter Zimmerling hatte es 1952 eröffnet und war 1968 mit seinem Geschäft in die Altstadt gezogen. „Immer wenn Vaddern damals geschäftlich in der Stadt war und Sohnemann im Auto saß, sind wir irgendwann im Antiquariat gelandet“, sagt Bernhardt. Mit der Übernahme habe sich sein Vater einen Traum erfüllt. Schon damals habe er sonnabends im Laden ausgeholfen. „Die Geschäfte sind aber kontinuierlich zurückgegangen. Es wird immer weniger gelesen, und es werden immer weniger Bücher gekauft“.

Trotzdem sei nicht immer alles schlecht gewesen. Er erinnert sich an viele schöne oder kuriose Momente. Am Johanniswall drehte eine Firma mal einen Werbefilm in seinem Antiquariat, erzählt er. „Da war der Laden am Ende nur drei Sekunden zu sehen, aber gefühlt war die ganze Produktionsfirma drin“, sagt er und lacht, warm und tief. Am alten Standort haben gelegentlich auch Prominente in seinem Sortiment gestöbert. 2018 wurden die Gebäude am Johanniswall dann abgerissen. Über eine Freundin fand Bernhardt schließlich die Verkaufsräume an der Wandsbeker Chaussee. Der Umzug dauerte ein Vierteljahr, das wirkte sich auf den Umsatz aus. Auch im darauffolgenden Jahr machte er noch Verlust, setzte auf 2020. Die Pandemie machte seine Hoffnungen dann zunichte.

Bund übernahm die laufenden Kosten

Im Frühjahr retteten ihn die Corona-Hilfen. Der Bund übernahm die laufenden Kosten wie die Miete, als Soloselbstständiger bekam er zudem einen Zuschuss von 2500 Euro von der Stadt. „Man muss schon selber aktiv hinterher sein, dass man die Hilfsangebote bekommt. Da nimmt einen niemand an die Hand“, sagt er. „Aber mein Laden hat überlebt.“ Im Sommer konnte er wieder öffnen, allerdings kauften deutlich weniger Kunden bei ihm ein. „Wenn die Leute nicht wissen, wie es um sie selber bestellt ist, dann halten sie ihr Geld zurück, dann wird an Büchern gespart“, sagt er.

Jetzt zum zweiten harten Lockdown beantragt Bernhardt wieder Überbrückungshilfen. „Wenn ich nicht wenigstens meine laufenden Kosten erstattet bekomme, ist im Januar oder Februar Schichtende.“ Im Dezember, wenige Tage vor Weihnachten, müsste der Laden eigentlich brummen, sagt er. Da mache er normalerweise einen Großteil seines Umsatzes. Doch im Corona-Jahr ist alles anders. Auch an diesem Vormittag bleibt es ruhig, nur einmal klingelt das Telefon. An ein mögliches „Danach“ möchte der gelernte Informatiker trotzdem noch nicht denken. „Keine Idee, was ich dann mache“, sagt er nach einer langen Pause. „Dann steht hier ein Container vor der Tür, in den alles wandert.“

Auf Facebook wird um Unterstützung geworben

Der 51-Jährige führt den Laden allein. 2015 ist sein Vater gestorben, kurze Zeit darauf erkrankte seine Mutter an Demenz und lebt seitdem in einem Pflegeheim. Bis 2017 hatte sie im Laden ausgeholfen und ihm auch finanziell unter die Arme gegriffen. Aus Angst, dass seine Mutter ein Sozialfall wird, habe ihm das Amtsgericht jedoch die Betreuung ihrer Vermögensvorsorge entzogen. „Wenn meine Mutter nicht dement wäre, würde sie mich unterstützen“, sagt Bernhardt.

Coronavirus – die Fotos zur Krise:

Nun kann er nur noch auf seine Stammkunden zählen. Und die wollen nicht hinnehmen, dass ihr Lieblingsantiquar schließt. Eine treue Kundin startete einen Facebook-Aufruf in einer Eilbeker Nachbarschaftsgruppe und schilderte die dramatische Lage des Inhabers. „Ich wollte einfach helfen“, sagt Silke Schenke, die Verfasserin des Posts. „Normalerweise bin ich vorsichtig auf Facebook, aber der Torsten liegt mir einfach am Herzen.“ Ihr Mann sammele antiquarische Bücher und kenne den Buchhändler seit langer Zeit. „Das ist ganz, ganz bitter“, sagt Schenke.

Bernhardt wird weiter im Landen stehen

„Das ist ein alteingesessenes Unternehmen, und Torsten ist ein herzensguter Mensch“, so die 54-Jährige. 130-mal wurde ihr Post geteilt. Zahlreiche Nutzer kommentierten den Aufruf, versprachen Bernhardt in den kommenden Wochen zu unterstützen. Auch Juliane Timmermann, stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bürgerschaftsfraktion, teilte den Aufruf. „Inhabergeführte Geschäfte machen einen Stadtteil attraktiv und gehören zu guten Nachbarschaften. Es wäre daher sehr traurig, müsste das Antiquariat schließen“, sagte sie dem Abendblatt. Sie habe ihre Reichweite nutzen wollen, um auf die Situation aufmerksam zu machen und dem Inhaber zu helfen.

Bernhardt wurde erst im Nachhinein von Silke Schenke eingeweiht. „Das hat mich positiv überrascht“, so der Buchhändler. „Das ist aber nicht das, was mich rettet. Wenn jetzt fünf Stammkunden ein Buch mehr kaufen. Es ist nicht so, dass sich lange Schlangen vor meinem Laden gebildet haben.“ Er freue sich aber trotzdem darüber, dass einige Eilbeker ihre neuen Bücher jetzt bei ihm kaufen, weil sie Amazon oder große Ketten nicht unterstützen möchten.

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Über das Internet und das Telefon könnten seine Kunden auch während des Lockdowns Bücher bei ihm bestellen. „Ich werde weiterhin im Laden stehen und Anrufe entgegennehmen“, sagt er. Ob er nach dem harten Lockdown am 11. Januar seine Türen wieder öffnet, kann er noch nicht sagen. „So weit im Voraus plant ja noch nicht einmal die Politik“, sagt er. „Es wird schon irgendwie weitergehen.“

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