Hamburg. Neue Daten aus Kliniken und Schulen analysiert. Linke, Sozialverband und DGB fordern mehr Corona-Schutz für Schwächere.

Nach fast einem Jahr Corona-Pandemie haben bereits unterschiedliche Studien nahegelegt, dass das Risiko für eine Infektion und einen schweren Krankheitsverlauf mit dem sozialen Status zusammenhängen könnte.

Anders gesagt: Wer schlechter bezahlten Berufen nachgeht, beengter wohnt und weniger gebildet ist, erkrankt eher und schwerer. Corona macht keine Ausnahme, denn Menschen mit geringerem Sozialstatus sind auch für andere Krankheiten anfälliger und haben sogar insgesamt eine geringere Lebenserwartung.

Hamburg: Wohnorte der Intensivpatienten vorgelegt

Nun scheinen auch erste Zahlen zu Hamburger Corona-Klinikpatienten die Annahmen der bisherigen Studien aus aller Welt zu stützen. Erstmals hat der Senat jetzt die Postleitzahlen der Wohnorte der Hamburger vorgelegt, die zwischen Februar und Mitte November auf Normal- oder Intensivstationen in der Hansestadt behandelt wurden – in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage des Linken Gesundheitspolitikers Deniz Celik.

Die Linke hat die Zahlen ausgewertet. Dabei hat der Bürgerschaftsabgeordnete Celik nach eigenen Angaben die Einwohnerzahl der Postleitzahlbereiche mit der Zahl der jeweiligen Klinikpatienten in Relation gesetzt – und diese verglichen mit dem hamburgweiten Durchschnitt.#

Linke bringen Sozialmonitoring mit Infektionszahlen in Zusammenhang

So konnte festgestellt werden, ob in einem bestimmten Postleitzahlbereich überdurchschnittlich viele Menschen wegen einer Corona-Infektion in Kliniken behandelt werden mussten – oder weniger als im Durchschnitt. Zwar sind Postleitzahlbereiche nicht deckungsgleich mit Stadtteilen – aber sie lassen sich grob zuordnen.

Um zu überprüfen, ob es einen Zusammenhang mit dem Sozialstatus gibt, wurde schließlich das Sozialmonitoring des Senats herangezogen, in dem jedem Stadtteil ein „Statusindex“ zugewiesen wird. Dabei werden Faktoren wie Arbeitslosigkeit, Hartz IV-Bezug, Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund oder der Anteil von alleinerziehenden Eltern einbezogen.

Mehr schwere Corona-Fälle in Stadtteilen mit niedrigem Index?

Auch wenn die Auswertung keinen wissenschaftlichen Anspruch erhebt: Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass auch in Hamburg Menschen aus Stadtteilen mit niedrigem Statusindex öfter von schweren Corona-Verläufen betroffen sind.

So wurden Einwohner des Postleitzahlbereichs 21109 (Wilhelmsburg/Veddel, Sozialstatus niedrig bis sehr niedrig) 3,3-mal so häufig auf Normalstationen behandelt wie im Hamburger Durchschnitt – bei Intensivbehandlungen lag der Faktor bei 3,2.

Corona: Wilhelmsburger überdurchschnittlich häufig im Krankenhaus behandelt

Ähnliches gilt für die Postleitzahl 21107 (Wilhelmsburg/Steinwerder, Sozialstatus niedrig bis sehr niedrig). Hier wurden laut Linken-Auswertung 3,8-mal mehr Einwohner auf Normalstationen behandelt als im Hamburger Durchschnitt.

Bei Intensivbehandlungen lag der Faktor bei 2,1. Auch Einwohner der Postleitzahlbereiche 21073 und 21075 (Heimfeld, Eißendorf, Wilstorf, Harburg, Sozialstatus überwiegend niedrig) waren überdurchschnittlich betroffen. Dasselbe gilt für Teile von Billstedt, Lohbrügge, Horn und Hamm (Sozialstatus niedrig bis sehr niedrig).

Auch hohe Werte in wohlhabenden Hamburger Stadtteilen

Allerdings weisen auch einige wohlhabendere Stadtteile hohe Werte aus, teilweise höhere als ärmere: etwa Rissen, Wellingsbüttel, Hummelsbüttel oder Sasel. Eine mögliche Erklärung könnte der höherer Altersdurchschnitt hier sein.

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„Es zeigt sich, dass auch in Hamburg ein starker Zusammenhang zwischen sozialem Status und schweren Krankheitsverläufen existiert“, sagt Linken-Gesundheitspolitiker Celik. „Menschen, die in ärmeren Stadtteilen leben, sind ungleich stärker von Corona betroffen. Sie leben oft in engen Wohnverhältnissen, können viel seltener auf Homeoffice ausweichen und sind häufiger auf die Nutzung des überfüllten ÖPNV angewiesen. Ihre Lebensbedingungen erschweren die Befolgung von AHA-Regeln und begünstigen Infektionen.“

Celik: "Soziale Dimension der Pandemie" muss betrachtet werden

Er sehe „den rot-grünen Senat in der Pflicht, endlich die soziale Dimension der Pandemie in den Blick zu nehmen und mit zielgerichteten Maßnahmen Menschen, die armutsbedingt höheren Risiken ausgesetzt sind, besseren Schutz anzubieten“, so Celik. Dazu gehörten „kostenlose Testkapazitäten, die Verteilung von FFP2-Masken“, sowie „Gesundheitslotsen sowie Sprach- und KulturvermittlerInnen“.

Die Sozialbehörde hat sich trotz Anfrage am Montag nicht zu einem möglichen Einfluss des Sozialstatus auf Erkrankungsrisiken geäußert. Sie warnte aber vor „statistischen Schnellschüssen“. So könnten Ausbruchsgeschehen die Ergebnisse verzerren und die räumliche Enge von Stadtteilen spiele ein Rolle – ebenso die Berufe der Einwohner.

Corona-Infektion bei 0,7 Prozent der Gymnasiasten

Allerdings deuten auch die jüngsten Daten aus der Schulbehörde an, dass es einen Zusammenhang zwischen Corona-Risiko und Sozialstatus geben könnte. So wurde seit den Herbstferien bei 0,7 Prozent der Gymnasiasten eine Infektion nachgewiesen – aber bei 1,4 Prozent der Stadtteil- und 1,2 Prozent der Sonderschüler.

Bei Berufsschulen waren 1,1 Prozent der Schüler betroffen, in Grundschulen lediglich 0,5 Prozent. Das Risiko von Gymnasiasten für eine Infektion ist also nur etwa halb so hoch wie das von Stadtteilschülern. Auch diese könnte eine Indiz dafür sein, dass Sozialstatus und Bildungsstand eine Rolle spielen.

Sozialverband: Ärmere Menschen werden öfter krank

„Dass es mehr Corona-Patienten aus armen Stadtteilen gibt, überrascht mich nicht“, sagt Klaus Wicher, Landesvorsitzender des Sozialverband Deutschland, dem Abendblatt. „Studien belegen schon seit Jahren, dass Menschen, die in Armut leben, sich qualitativ schlechter ernähren und öfter krank sind. Ihre Lebenserwartung ist niedriger als bei anderen. In Zeiten von Corona bedeutet eine Infektion deshalb für sie stärkere Symptome und schwerere Verläufe.“

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Doch Corona sei für diese Menschen nicht nur gesundheitlich eine größere Bedrohung: „Die Veddel, Wilhelmsburg, Steilshoop, Lurup, das sind Stadtteile, die seit Langem sozial schwach strukturiert sind. Die Tafeln arbeiten nur noch eingeschränkt, die Wohnverhältnisse sind stark eingeschränkt, der soziale Zusammenhalt hat sich für viele aufgelöst.“ Armut stigmatisiere und mache einsam, so Wicher: „Corona macht Arme noch ärmer, bei der Teilhabe an der Gesellschaft und an sozialer Gemeinsamkeit.“

DGB fordert Hilfe für Betroffene

Auch Hamburgs DGB-Chefin Katja Karger sieht das Problem: „Die soziale Schere geht in der Krise weiter auseinander, es trifft zuerst diejenigen ohne Job oder mit niedrigen Einkommen. Es sind Minijobber, befristet Beschäftigten oder Leiharbeiter, die als erste ihre Jobs verlieren.“

Die DBG-Chefin fordert eine aktive Arbeitsmarktpolitik und gezielte finanzielle Hilfen für die Betroffenen. „In Hamburg gibt es über 100.000 Minijobs und darüber hinaus noch rund 80.000 Beschäftigte mit einem Nebenjob. Dagegen muss etwas getan werden“, so Karger. „Ein Mindestlohn von zwölf Euro und höhere Tarifbindung sind unerlässlich.“