Hamburg. Im September kollabierte eine 16-Jährige bei einer Party in Winterhude nach Ecstasy-Konsum. Ein Besuch bei den trauernden Eltern.
Über den geschwungenen silbernen Engelsflügeln stehen auf einem weißen Regal ihr Lieblingsparfüm, Weihnachtskugeln, Teelichter und Fotos. Yvonne M. und Stiefvater Alex G. schauen oft auf diesen Traueraltar im Wohnzimmer, der an ihre Tochter Celina erinnert. „Es gibt keine Worte für unseren Schmerz. Wir denken immerzu an sie“, sagt die Mutter.
Die Familie lebt erst seit ein paar Wochen auf diesen 80 Quadratmeter in Finkenwerder. Drei Zimmer, Küche, Bad. Ihr altes Zuhause, nur wenige Autominuten entfernt, war viel größer. Aber da haben sie es nicht mehr ausgehalten. „Dort sind wir vor allem wegen Celina eingezogen. Sie wollte unbedingt wieder zurück nach Finkenwerder“, sagt Yvonne M. (42). Aber nun? Ohne die Tochter? Nein, sagt Yvonne M., das ging einfach nicht mehr.
Der tragische Abend beginnt mit einem fröhlichen Abschied
Der Abend, nach dem für die Familie nichts mehr so sein wird, wie es war mal, beginnt mit einem fröhlichen Abschied. „Ich wünsche Dir viel Spaß“, ruft die Mutter der Tochter noch zu, als sie sich um 19.30 Uhr mit dem HVV-Bus auf den Weg zu einer Party nach Winterhude macht. Alex G., Küchenchef in einem Hamburger Restaurant, hat zuvor noch die Zutaten für ihr Lieblingsessen eingekauft: Gulasch mit Spätzle und Rotkohl. Das soll es am Sonntagmittag geben.
Als es am Sonntagmorgen um 3.30 Uhr schellt, denkt Yvonne M.: „Typisch Celina, hat mal wieder ihren Schlüssel vergessen.“ Doch statt ihrer Tochter stehen Polizeibeamte in der Tür, begleitet von Mitarbeitern des Kriseninterventionsteams. „Bitte setzen Sie sich, wir haben eine traurige Nachricht. Ihre Tochter ist vor zwei Stunden verstorben“, sagt ein Beamter. Die Stunden danach erlebt Yvonne M. wie „ferngesteuert“, wie sie sagt. Die Gespräche mit Celinas jüngeren Geschwistern (11/10), die Fahrt zur älteren Schwester (23), die schon ausgezogen ist. Der Besuch bei ihrer Mutter, die das Enkelkind so geliebt hat.
Celinas Tod: Was geschah in der Wohnung in Winterhude?
Was genau in jenen Stunden in der Wohnung in Winterhude passierte, wird noch ermittelt. Klar ist: Die Heranwachsenden konsumierten bei der Party Alkohol und Drogen. Ein Gast soll Celina und mindestens ein weiteres Mädchen mit Ecstasy-Pillen versorgt haben. Yvonne M. hat mehrere WhatsApp-Nachrichten, die an diesem Tag in der Clique ihrer Tochter kursierten, auf ihrem Handy gespeichert. Um 0.34 Uhr schrieb ein Partygast: „Ey ja, es ist noch nicht besser.“ Um 0.58 Uhr schrieb ein Freund zurück: „Wenn es nicht besser wird, ruft Celinas Mama an.“ Um 1.01 Uhr wurde diese WhatsApp aus der Wohnung geschickt: „Wir haben den Krankenwagen jetzt gerufen.“ Worauf diese Antwort kam: „Scheiße, oh mein Gott, Ihr müsst alle illegalen Sachen entsorgen, die Polizei wird auch kommen.“
Mit Tränen in den Augen scrollt Yvonne M. durch ihr Handy: „Das macht mich fassungslos. Die haben vor lauter Angst vor einem Strafverfahren wegen Drogenkonsums viel zu spät den Krankenwagen gerufen, obwohl es Celina schon so schlecht ging.“ Der dann alarmierte Notarzt versuchte noch im Flur das kollabierte Mädchen zu reanimieren – vergebens.
Können ein oder zwei Pillen eine solche Katastrophe auslösen?
Prof. Rainer Thomasius, Chef der UKE-Suchtabteilung, bejaht diese Frage: „Gerade für Minderjährige ist Ecstasy besonders gefährlich“. Zwei Monate nach Celinas Tod schwebte eine 13-Jährige nach dem Konsum der synthetischen Droge bei einer Geburtstagsparty in Bramfeld in Lebensgefahr. Laut Drogenreport 2020 geben 0,6 Prozent der 12 bis 17-Jährigen zu, dass sie sie schon mal Ecstasy konsumiert haben. Bei den jungen Erwachsenen sind es vier Prozent. „Doch das sind Zahlen aus dem Bundesschnitt. Wir gehen davon aus, dass in Metropolen wie Hamburg die Zahlen um den Faktor zehn höher liegen“, sagt Thomasius.
Fast alle Jugendlichen unterschätzen die Gefahr. Zumal sie nicht wissen, dass viele Pillen inzwischen einen dramatisch hohen Anteil an Amphetaminderivat MDMA haben. Erfahrene Konsumenten schlucken daher keine ganzen Pillen, wenn sie diesen Anteil nicht kennen.
Auch ein noch so hartes Urteil macht Celina nicht wieder lebendig
Die Dosis bei Celina dürfte enorm hoch gewesen sein. Denn laut Obduktion wäre sie selbst dann gestorben, wenn die Jugendlichen den Rettungswagen früher gerufen hätten. Yvonne M. macht dies wütend: „Wenn die Dosis wirklich so hoch war, wieso hat man ihr dann eine ganze Pille gegeben? Und es kann doch nicht sein, dass die Leute, die meine Tochter so im Stich gelassen haben, nun nicht angemessen bestraft werden.“ Sie weiß natürlich, dass auch ein noch so hartes Urteil Celina nicht mehr lebendig machen werden wird: „Aber mir geht es um Gerechtigkeit. Und darum, dass eine Strafe ein Signal an junge Leute sein kann, in solchen Fällen sofort den Notarzt zu rufen. Dadurch können vielleicht andere gerettet werden.“
Laut Staatsanwaltschaft wird derzeit gegen einen 19- und einen 20-Jährigen wegen des Anfangsverdachts der Tötung durch Unterlassen ermittelt. Ein weiterer Partygast wurde zwei Tage später in Lohbrügge auf frischer Tat beim Dealen erwischt. Inzwischen wurde er von der Untersuchungshaft verschont. Er muss sich wegen unerlaubten Handels mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verantworten. „Meine Mandanten haben einen Anspruch darauf, dass diese Tat vollständig aufgeklärt wird und die Täter angemessen bestraft werden“, sagt der Kieler Rechtsanwalt Friedrich Fülscher, der Yvonne M. und Alex G. juristisch berät.
Gerüchte machen Celinas Familie sehr zu schaffen
Sehr zu schaffen machen der Familie nun Gerüchte, die in ihrem Umfeld derzeit kursieren. „Da wird aus Celina ein Drogenmädchen gemacht. Das ist so unfair“, sagt die Mutter. Celina habe nur einmal an ihrem 16. Geburtstag an einem Joint gezogen. „Mama, das war so eklig“, habe sie gesagt. Ansonsten habe ihr ein falscher Freund einmal unbemerkt Ecstasy Pulver in einen Drink gestreut, um sie gefügig zu machen, wie die Mutter sagt. „Aber unsere Tochter war total solide“, sagt Alex G. Im Sommer, sagt er, habe sie ganz aufgeregt angerufen, weil die Polizei sie mit anderen Jugendlichen bei einer Party im Freien kontrolliert habe. Als die Mutter zu ihrer aufgelösten Tochter eilte, hätten die Beamten gelacht: „Celina hatte 0,4 Promille. Wir hätten sie mit dem Fahrrad nach Hause fahren lassen.“ Celina, sagt die Mutter, sei stets eher „ängstlich und vorsichtig“ gewesen.
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Auf dem Fernseher startet Alex G. eine Fotoserie mit vielen Bildern von Celina. Mehrere Fotos zeigen sie im Familienurlaub in Ägypten. „Sie wollte unbedingt ans Rote Meer.“ Sechs Wochen vor ihrem Tod hatte sie eine Ausbildung zur Familienpflegerin begonnen. „Celina wollte Kinder in schwierigen Familienverhältnissen helfen, danach zur Bundeswehr und in Krisenregionen Menschen unterstützen“, sagt die Mutter: „Sie hatte so viele Träume.“
Die Geschwister vermissten Celina schrecklich
Nun stehen ihr Bett und ihr Schminktisch im Zimmer ihrer jüngeren Schwester. Yvonne M. macht sich Sorgen um ihre Kinder: „Sie vermissen Celina schrecklich.“ Ihre ältere Tochter wache morgens auf mit dem Gedanken: „Ich muss gleich Celina anrufen. Wir wollen doch Einkaufen gehen.“ Alex G. sagt, dass er wie seine Lebensgefährtin nur noch mit starken Schlafmitteln für ein paar Stunden Ruhe findet. Die gelernte Kauffrau für Hafenlogistik, die inzwischen in einem nahegelegen Supermarkt arbeitet, ist krankgeschrieben: „Zum Glück ist mein Arbeitgeber wie meine Kolleginnen und Kollegen sehr verständnisvoll.“
Oft gehen sie auf den Finkenwerder Friedhof, wo ihre Tochter begraben ist. „Bald kommt der Gedenkstein, das wird noch mal hart für uns“, sagt Alex G. Bei der Beerdigung ließen alle Kinder Luftballons steigen. Auf dem Zettel des Ballons, den ihr Sohn in den Himmel steigen ließ, stand: „Du bist erst tot, wenn dein kleiner Bruder dich vergessen hat.“