Hamburg. Vattenfall kann das erst sechs Jahre alte Kraftwerk schon 2021 vom Netz nehmen. Welche Ideen es für die Nachnutzung gibt.
In die Geschichte wird das Hamburger Kohlekraftwerk Moorburg wohl als großes Missverständnis eingehen, als betriebswirtschaftlicher und politischer Irrtum. Erst 2015 in Betrieb gegangen wird das Kraftwerk nun 2021 wieder abgeschaltet – gegen eine vermutlich ansehnliche, aber nicht genau bekannte Millionensumme an Steuergeld. Dass Betreiber Vattenfall bei der Auktion um Abschaltprämien am Dienstag einen Zuschlag erhalten hat, sorgte in Hamburg für Diskussionen – und wirft allerlei Fragen auf.
Sollten die Übertragungsnetzbetreiber das Stromnetz auch ohne Moorburg für stabil halten, dürfte schon ab Januar 2021 kein Strom aus Moorburg mehr verkauft werden, ganz abgeschaltet würde das Kraftwerk Anfang Juli 2021.
Umweltsenator will mit Vattenfall über Moorburg-Nachnutzung verhandeln
Was aber geschieht dann mit dem Standort und dem Grundstück, das zum größten Teil Kraftwerksbetreiber Vattenfall gehört? Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne) kündigte am Dienstag an, mit Vattenfall Gespräche über eine andere Nutzung des Standorts zu führen.
„Nach dem Aus für die fossilen Brennstoffe der Vergangenheit kann am gleichen Standort nun zügig die Energieversorgung der Zukunft beginnen“, sagte Kerstan. „Moorburg ist wegen seiner Lage und Anbindung an Leitungen und Transportwege ein idealer Standort für den Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft. Hier kann Elektrolyse aus erneuerbarem Strom und Bereitstellung von grünem Wasserstoff für die Sektorkoppelung im großen Stil stattfinden.“
Wird Moorburg zum Zentrum für Hamburgs Wasserstoffwirtschaft?
In diese Richtung denkt auch Wirtschaftssenator Michael Westhagemann (parteilos). „Zurzeit zeichnen wir Letter of Intent mit zahlreichen Unternehmen zur Abnahme von Wasserstoff. Darüber hinaus führen wir bereits konkrete Gespräche mit Industriepartnern zur Errichtung eines 100 Megawatt Elektrolyseurs am Standort Moorburg“, sagte Westhagemann.
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Vattenfall selbst hat bei seinem Gebot für die Ausstiegsprämien angegeben, „verschiedene Nachnutzungskonzepte zu evaluieren“. Diese reichten „von der Umrüstung der Anlage auf alternative Brennstoffe bis zum Rückbau“. Dabei könnte es etwa auch um die Nutzung von Biomasse gehen. Eine diskutierte Umstellung auf Gas statt Kohle sei mit der Abschaltung vom Tisch, sagte der Umweltsenator.
„Wir begrüßen die Entscheidung“, sagte Vattenfall-Vorstandschefin Anna Borg. „Obwohl das Kraftwerk, das 2015 in Betrieb genommen wurde, eines der modernsten in Deutschland ist, entspricht die frühzeitige Stilllegung sowohl den Plänen der Bundesregierung, die Emissionen aus der Kohleverstromung zu reduzieren, als auch der Strategie von Vattenfall, innerhalb einer Generation ein Leben ohne fossile Brennstoffe zu ermöglichen.“
Abschaltung von Moorburg ohne Einfluss auf Wedel – CDU: "Pyrrhussieg"
Laut Kerstan hat das Aus für Moorburg keinen Einfluss auf die Restlaufzeit des deutlich klima- und umweltschädlicheren alten Kohlekraftwerks Wedel. Auch sehe er keine Versorgungsengpässe und gehe nicht von Preissteigerungen bei den Energiekosten aus. Moorburg sei schon immer "überdimensioniert" gewesen. Man schaue, ob man die mögliche Steigerung der Netzentgelte für sechs Hamburger Betriebe kompensieren könne. Hamburg werde bis 2030 „komplett kohlefrei“.
Allerdings gab es auch viele kritische und skeptische Stimmen. CDU-Umweltpolitiker Stephan Gamm sagte, dies sei „kein großer Tag für die Klimapolitik, sondern ein Armutszeugnis für den Industriestandort Hamburg und Deutschland“. Kerstan sei „seit Jahren mit der Aufgabe überfordert, das älteste und dreckigste Kohlekraft Deutschlands in Wedel abzuschalten“ und feiere sich „für die Stilllegung des effizientesten und saubersten Kraftwerkes Europas“. Mit diesem "klimapolitischen Pyrrhussieg" werde der Wirtschaftsstandort Hamburg gefährdet.
Steuerzahlerbund spricht von "ökologischem Irrsinn"
Die AfD sprach von „ideologischem Irrsinn“. Der Hamburger Steuerzahlerbund-Chef Lorenz Palte sagte: „Die baldige Abschaltung des saubersten Kohlekraftwerks der Republik bei Weiterbetrieb des dreckigsten Kohlekraftwerks der Republik bis mindestens 2025 ist ökologischer Irrsinn und Steuergeldverschwendung in einem.“
Der Chef des Industrieverbandes, Matthias Boxberger, forderte „eine belastbare Perspektive für Versorgungssicherheit und Netzstabilität gerade für die großen Verbraucher in der Industrie“.
BUND: Abschaltung Moorburgs "richtige Antwort auf die Klimakrise"
SPD-Umweltpolitiker Alexander Mohrenberg sagte, die „Abschaltung des größten CO2-Erzeugers in Hamburg“ sei „ein starkes Signal für den Klimaschutz“. Der Linken-Bürgerschaftsabgeordnete Stephan Jersch sagte, mit der Abschaltung Moorburgs ende ein „umweltpolitischer Anachronismus“. Nun müssten auch die Kraftwerke Tiefstack und Wedel schneller abgeschaltet werden und der Kohleausstieg auf 2025 vorgezogen werden.
Der BUND nannte die Abschaltung die „richtige Antwort auf die Klimakrise“. Greenpeace dagegen kritisierte „Fehler des Kohleausstiegsgesetzes“. Es sei „niemandem zu erklären, warum ein vergleichsweise junges Steinkohlekraftwerk vom Netz geht, während die schmutzigsten Braunkohlekraftwerke noch viele Jahre weiterlaufen dürfen“.
Unterdessen freute sich Senator Kerstan am Dienstag auch über ein anderes Thema: Die Wärme Hamburg GmbH beliefert nach dem Anschluss eines Wohngebäudes im Pergolenviertel nun bereits umgerechnet 500.000 Wohneinheiten. Das sei „nur ein erster Meilenstein“, so der Senator. „Fernwärme ist konkurrenzfähig und sie wird im Zuge der Wärmewende immer klimafreundlicher.“