Hamburg. Hybrid- oder Präsenzunterricht? Ganz klassisch analog oder lieber digital? Klassen teilen oder nicht? Was zehn Experten dazu sagen.

Derzeit gibt es kaum ein Thema, das für derartig hitzige Diskussionen sorgt wie dieses: Schule in Corona-Zeiten. Die einen wollen, dass Schüler größtenteils von zu Hause lernen, die anderen fordern, dass der Präsenzunterricht so lange es irgendwie geht aufrechterhalten wird. Und auch im Meinungsfeld dazwischen gibt es zahlreiche weitere Ansätze.

Im Kern geht es bei diesem Thema – egal wie man es dreht – immer um die Frage, wie es gelingen kann, die Ansteckungsgefahr gering zu halten und gleichzeitig auf einem ausreichend hohen Niveau Inhalte zu vermitteln. Auf der Suche nach diesem Mittelweg fallen zahlreiche weitere Aspekte ins Gewicht: Wie können auch schwache Schüler mitgenommen werden? Wie soll es bei den jüngsten Schulkindern funktionieren? Wie bei den angehenden Abiturienten?

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Die Ministerpräsidenten und Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hatten die Kultusminister aufgefordert, einen Lösungsvorschlag für die Schulen vorzulegen. „Bund und Länder werden auf der nächsten Konferenz darüber beraten, wie Ansteckungsrisiken im Schulbereich in Hotspots reduziert werden können“, heißt es dazu in dem Beschluss der Regierungschefs und der Bundeskanzlerin. Bevor kommende Woche nun getagt wird, hat sich das Abendblatt schon mal bei den unterschiedlichen Akteuren in Hamburg umgehört. Dabei wird deutlich: Eine Lösung, mit der alle zufrieden sind, dürfte schwer zu finden sein.

Mobile Testteams

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Jonas Schmidt-Chanasit, Virologe am  Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin: „In dieser Frage sollten wir Virologen demütig sein. Welche pädagogischen und sozialen Folgen Fern- oder geteilter Unterricht hat, können andere Professionen besser beurteilen. Was das Virusgeschehen an Schulen angeht, zeigt die Mehrzahl der Studien, dass die Infektionen eher von außen in die Schulen hereingetragen werden als anders herum. Wenn die Inzidenz insgesamt steigt, kommt es aber auch in den Schulen verstärkt zu Infektionen.

Große Infektionsketten sehen wir in Schulen eher selten, zudem erkranken Kinder und Jugendliche fast nie schwer. Wie ansteckend Schüler sind, hängt vom Alter ab. Kinder unter zwölf Jahren stecken andere Menschen seltener an. Ich plädiere seit Monaten für technische Lösungen, dort wo es notwendig ist, etwa für den Einbau von Luftfilteranlagen. Zudem sollten wir in Schulen mehr testen, um Risikogruppen im Lehrerkollegium zu schützen. Sinnvoll wäre der Einsatz von mobilen Testteams.“

Pro Wechselunterricht

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Anja Bensinger-Stolze, Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW): „Wir brauchen einen guten Wechselunterricht, denn nur so können wir gewährleisten, dass die Abstände auch eingehalten werden. Die Schulen sollten selber entscheiden können, ob sie die Gruppen täglich oder wöchentlich wechseln. Der Vorteil kleinerer Gruppen ist auch ein besseres Lernklima. Weiter ist es wichtig, dass wir die Bildungspläne entschlacken und die Stundenzahl verringern. Ansonsten kommen auch Lehrer an ihre Belastungsgrenze. Klar muss sein: Wir können im Wechselunterricht nicht den gesamten Lehrplan umsetzen. Das ist einfach nicht machbar. Und wir sollten schnell handeln: Denn schon jetzt ist der reguläre Präsenzunterricht an vielen Schulen de facto nicht möglich, weil viele Lehrer und Schüler erkrankt oder in Quarantäne sind.“

Versetzter Unterrichtsbeginn

Auch Birgit Stöver, bildungspolitische Sprecherin der CDU-Bürgerschaftsfraktion, lehnt den GEW-Vorstoß ab.
Auch Birgit Stöver, bildungspolitische Sprecherin der CDU-Bürgerschaftsfraktion, lehnt den GEW-Vorstoß ab (Archivbild). © Mark Sandten | Unbekannt

Birgit Stöver, schulpolitische Sprecherin der CDU-Bürgerschaftsfraktion: „Hamburgs Schüler sollen, solange es das Infektionsgeschehen zulässt, auch im Winter live die Schule besuchen. Dieses soll durch den Einsatz von kinderfreundlichen Schnelltests (PCR-Gurgeltests) und einer verbesserten Abstimmung zwischen Gesundheitsamt und Schule länger gewährleistet werden. Weitere Maßnahmen sollten an die Infektionswerte der einzelnen Schulen gekoppelt werden. Nach Lehrkräften sollten nun auch Schülerinnen und Schüler kostenfreie FFP2-Masken erhalten. Eine Reduzierung der Schülerzahlen und Schülerströme an den weiterführenden Schulen muss durch versetzte Anfangszeiten und Wechselunterricht ab Klasse 7 erreicht werden. Hierfür müssen endlich mit einem Kraftakt die digitalen Voraussetzungen geschaffen werden.“

Bildungsrat muss her

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Christian Gefert, Vorsitzender der Vereinigung der Leitungen der Hamburger Gymnasien und Studienseminare, VLHGS: „Wir freuen uns über viel Präsenzunterricht. An einzelnen Schulen ist das aber aufgrund der Infektionszahlen nicht immer möglich. Es geht darum, vor Ort individuelle Lösungen zu finden und den selbstverantworteten Schulen das zuzutrauen. Die Situationen an den Hamburger Schulen sind sehr unterschiedlich. Wir brauchen dringend einen Bildungsrat, sodass die Bündnispartner und die Politik in einen Dialog treten, statt von der Behörde immer nur neue Anweisungen zu bekommen. Zentrales Thema ist auch die Digitalisierung. Es reicht nicht, Laptops an den Schulen zu verteilen. Es braucht eine Art digitalen Hausmeister, eine IT-Support. Und wir müssen über das Abitur 2021 sprechen und frühzeitig planen.“

„Flipped Classroom“

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Marc Keynejad, Vorsitzender der Elternkammer Hamburg: „Den Präsenzunterricht einzustellen würde Familien an die Belastungsgrenze bringen, denn  inzwischen haben die meisten Eltern ihren Urlaub verbraucht.“ Nun einfach immer einen Teil der Klasse zu Hause zu lassen, würde bedeuten, dass im Schnitt nur die Hälfte des Stoffs durchgenommen werden kann. Das muss verhindert werden. Etwa, indem ein Teil der Klasse in andere Räumlichkeiten in der Schule wechselt und etwa per Video zugeschaltet wird. In der Regel stehen 30 Prozent der Räume frei. Eine andere Möglichkeit wäre der „flipped classroom“, bei dem der Unterricht dem Wort nach umgedreht wird. Prinzip ist, dass Schüler eigenständig lernen und nur in die Schule kommen, wenn sie Unterstützung brauchen. Der Lehrer würde die Rolle eines Coaches übernehmen.“

Gutes Analog-Konzept

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Stephan Giese, Leiter der Grundschule Am Schleemer Park: „Angesichts der derzeit hohen Infektionszahlen halte ich es für nicht vertretbar, am hundertprozentigen Präsenzunterricht festzuhalten, auch wenn das an Standorten wie unserem eine enorme Herausforderung ist, denn unsere Schule liegt in einem Brennpunkt. Dennoch wäre ich dafür, dass wir zum Hybridunterricht wechseln. Das könnte hier so aussehen, dass wir die Klassen teilen und ein Teil zu Hause lernt. Die Kinder sollen aber die Möglichkeit haben, sich in Dreier-Lerngruppen zusammenzutun. Den Hybridunterricht würden wir so gestalten, dass wir täglich zwischen Präsenzunterricht und Homeschooling wechseln. Gerade für Kinder, die zu Hause vielleicht keine idealen Bedingungen haben, ist der enge Kontakt zur Schule wichtig. Zu den technischen Lösungen: Wir haben zwar iPads bekommen, aber sind noch nicht so weit, dass wir sie jetzt schon standardmäßig einsetzen können. Wir würden also derzeit eher bei einem guten Analog-Konzept bleiben.“

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Für Präsenzunterricht

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Tobias Lucht, Leiter des Kinder- und Jugendwerks Die Arche Hamburg: „Für sozial benachteiligte Kinder ist Präsenzunterricht extrem wichtig. Viele von ihnen bekommen von ihren Eltern keine Unterstützung bei Hausaufgaben, keine Ermutigung im Umgang mit digitalen Lerngeräten und Plattformen, oft gibt es für sie nicht einmal Mittagessen. Für diese Kinder sind mitunter Lehrer die einzigen stabilen Bezugspersonen, die für eine Tagesstruktur sorgen. Falls sich das Infektionsgeschehen verschärfen sollte, müssen sämtliche Maßnahmen erwogen werden, die weiterhin regelmäßigen Präsenzunterricht ermöglichen: Warum bei einer nötigen Aufteilung der Klassen in kleinere Kohorten nicht einige Gruppen vormittags unterrichten und andere nachmittags? Kommen auch Räume etwa in Kirchen, Turnhallen und Vereinen als Lernorte in Betracht? Um einen Lehrermangel auszugleichen, lassen sich womöglich Ganztagsbetreuer und Unterstützer der Lernferien einsetzen. All das erforderte allerdings sehr viel Flexibilität von den Schulen.“

Auch Grundschüler können schon Maske tragen

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Dr. Stefan Renz, Vorsitzender des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte in Hamburg: „Wir Kinderärzte sprechen uns dafür aus, so lange wie möglich am Präsenzunterricht festzuhalten. Die Folgen der Schulschließungen, gerade für sozial schwache Familien, sind zu gravierend. Dennoch bedarf es einiger Anpassungen, damit das Lernen in den Schulen sicherer wird. Da sind zum einen Plexiglasscheiben, die für die Lehrerpulte angeschafft werden sollten. Dazu sollten alle Lehrkräfte mit FFP2-Masken ausgestattet werden. Wenn sie dann Kontakt zu einem infizierten Kind haben, müssen sie nicht automatisch in Quarantäne. Dazu ist die Maskenpflicht ab Klasse 5 ein Muss. Wir denken, man könnte sie sogar auf die unteren Klassenstufen ausweiten. Das Wichtigste ist aber eine bessere Aufklärung, gerade in den sozial schwachen Stadtteilen. Der Einsatz von Schulgesundheitskräften, die aufklären und auf die Einhaltung der Hygieneregeln achten, wäre ein Beispiel. Sollte es zu Hybridunterricht kommen, dann bitten wir darum, die Kinder mit besonderem Förderbedarf im Auge zu behalten und Grundschüler wenn irgend möglich auszunehmen.“

Wir brauchen mehr ernst gemeinte Beteiligung

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Mathias Morgenroth-Marwedel, Sprecher der Schulleiter der Hamburger Stadtteilschulen in der Gemeinnützigen Gesellschaft Gesamtschule: „Wir brauchen dringend das Vertrauen von Politik und Verwaltung, dass wir als selbstverantwortliche Schulen Corona-Maßnahmen vor Ort am besten selbst umsetzen können. Nur Lüften und Masken tragen reicht als Konzept nicht aus.  Wir brauchen eine Diskussion über Lehrpläne und Unterrichtskonzepte. Schule steht nicht nur für hineingetrichterte Inhalte in den sogenannten Hauptfächern.

Wir müssen die Lehrpläne  entschlacken, ohne Fächer wie Kunst oder Theater aufzugeben. Schule ist auch ein Ort für ein soziales Miteinander. Daher müssen wir den Präsenzunterricht so lange wie möglich aufrechterhalten. Und wir brauchen langfristige Ideen. Für einen Hybridunterricht sind wir gut aufgestellt, wenn wir nicht durch immer neue Vorgaben ausgebremst werden. Jetzt kommt es auf ernst gemeinte Beteiligung an.

Ein erster Schritt wäre, dass Schulaufsichtsbeamte sich ein Bild machen, wie es  an den Schulen coronamäßig derzeit läuft.“

Umfangreiche Hygienekonzepte und kostenlose Masken

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Schulsenator Ties Rabe (SPD): „In der Öffentlichkeit gibt es eine aufgewühlte Diskussion über die Gefahren des Schulbetriebes. Zugleich wünschen sich außergewöhnlich viele Eltern, Schulleitungen und Schulgemeinschaften, dass Kinder und Jugendliche jeden Tag in der Schule lernen dürfen – und nicht allein zu Hause. Beide Stimmen nehmen wir ernst. Um die Gesundheit in allen Schulen zu schützen, gibt es eine Maskenpflicht, Lüftungsregeln, technische Verbesserungen der Klassenräume und umfangreiche Hygienekonzepte. Alle Schulbeschäftigten bekommen kostenlose Infektionsschutz-Masken und kostenlose Corona-Tests bei jedem Hausarzt – wo gibt es das sonst? Kaum ein anderes Bundesland tut so viel für die Sicherheit in der Schule. Trotzdem: Wenn die Pandemie nicht gestoppt wird, braucht es weitere Maßnahmen. Dabei gilt: Kinder sollen gesund bleiben – und sie sollen zugleich glücklich und unbeschwert groß werden. Dazu brauchen sie gute Bildung, viele Anregungen zum Lernen, soziale Kontakte, die Begegnung mit Freunden und einen abwechslungsreichen Tag. Das alles kann auch der schönste Computer zu Hause nicht ersetzen.“      

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