Hamburg. Die populäre Sängerin und Schauspielern hat ihre biografischen Erinnerungen geschrieben. Eine Begegnung der ungeahnten Art.
Ein Gespräch am Vormittag. Warum nicht bei einem kleinen Spaziergang in der Herbstsonne auf der Moorweide? Mit Zwischenstopp auf einer Parkbank. „Das ganze Leben ist Begegnung.“ Hat Katja Ebstein ja nicht nur gesagt, sondern auch geschrieben – in ihrer Biografie. Und die Sängerin kennt und mag den kurzen Weg vom Dammtor-Bahnhof zum Hotel Grand Elysée.
Jetzt ist es früher Mittag. „Ich träume noch ...“ Das Schild an der Zimmertür im sechsten Stock irritiert, aber Katja Ebstein ist hellwach. Hat mal eben ein Gespräch dazwischengeschoben, ein verdammt langes. „Nee“, für die Moorweide sei es ihr – die Sonne ist jetzt weg – nun doch zu kühl, sagt die Frau mit den markanten langen roten Haaren ganz direkt. Berlinerin eben, wenn auch keine gebürtige. Es folgt eine Begegnung der ungeahnten Art in ihrem Hotelzimmer – bei weit geöffnetem Fenster mit viel Abstand zwischen Sofa und Schreibtisch.
In eine Schublade hat sich Ebstein indes nie stecken lassen: Sängerin, Schauspielerin, Musical-Lady, literarische Kabarettistin, politische Aktivistin - alles Teil ihrer Vita. Und jetzt, im Alter von 75 Jahren, erstmals Buchautorin – eine Frau, die gern selbst mit anpackt. Vor ihrem Haus auf Amrum etwa, wo sie seit den 70er-Jahren zeitweise lebt und arbeitet, wenn sie nicht in der Nähe Münchens oder in der alten Heimat Berlin ist, habe sie erst vor Kurzem eine große Hecke gepflanzt, erzählt sie, Da reizt die Moorweide womöglich weniger.
Ebsteins „Wunder gibt es immer wieder“ lief sogar am Millerntor
Aber Hamburg? Auf die Hansestadt ist die Frau mit der starken Stimme, die jenseits des Gesangs stets etwas heiser, fast ein wenig hysterisch klingt, gut zu sprechen. Hier war sie immer wieder zu sehen und zu hören. Zuletzt im Vorjahr als Gast beim Benefiz-Abend für Nestwerk e.V. mit dem ironischen Schlager-Programm „Nutten, Koks und frische Erdbeeren“ im Schmidts Tivoli, jedoch auch im alten Millerntor-Stadion: Als nach dem glorreichen 2:1 des FC St. Pauli gegen Bayern München 2002 Katja Ebsteins „Wunder gibt es immer wieder“ aus den Lautsprechern sogar den Punkrock verdrängte. Das Lied, mit dem sie 1970 als Drittplatzierte beim Eurovision Song Contest ihren Durchbruch feierte, ist für Ebstein alles andere als ein Mühlstein: „Der Song von Christian Bruhn war immer gut und wurde eigenständig zum Evergreen.“
Ein Jahr darauf ging sie mit James Last auf eine gemeinsame erfolgreiche Europa-Tournee, „wo er mir eine Dreiviertelstunde von seiner Konzertzeit einräumte und mich mit seinem Orchester begleitet hat“, erzählt sie. „Er war ein wunderbar fürsorglicher Mensch.“
Erst sang sie „Theater“, dann spielte sie am Ernst Deutsch
Auch an einen großen Hamburger Schauspieler erinnert sich Katja Ebstein im Gespräch: Friedrich Schütter, Intendant des Ernst Deutsch Theaters, hatte die Sängerin gefragt, ob sie nicht bei ihm spielen wolle – bevor sie mit „Theater“ beim Eurovision Song Contest 1980 den zweiten Platz belegte. „Als eine absolute Quereinsteigerin war die Rolle des ,Blauen Engel’ für mich ein Glücksfall“, sagt sie. „Fiete‘ freute sich, dass die Abonnentenzahlen spürbar stiegen. Das Stück lief vier Monate am festen Haus, und ich hatte damit einen guten Start im Genre Schauspiel.“ 1991 kehrte sie als Seeräuber-Jenny in der „Dreigroschenoper“ ans Ernst Deutsch Theater zurück.
Begegnungen eines vielfältigen (Künstler-)Lebens sind das, Abschnitte deutscher Zeitgeschichte. Aus Platzgründen haben sie es nur mit einigen Sätzen in ihr Buch geschafft. Bei Katja Ebsteins biografischen Erinnerungen begegnen einem dennoch weitere bekannte Hamburger.
Udo Lindenberg sagte: „Siehst ja lecker aus“
Alt-Bürgermeister Klaus von Dohnanyi etwa, mit dem Ebstein 1972 im Bundestagswahlkampf im Bus von Auftritt zu Auftritt fuhr. Kanzler Willy Brandt hatte Ebstein („Er war mein politischer Lehrer und wurde von uns Jugendlichen während seiner Berliner Bürgermeisterzeit wie ein Popstar gefeiert“) Ende der 50er bewundert. Wie die SPD-Tour für Brandt aussah, beschreibt sie im Kapitel: „Katja sehen – Willy wählen“: „Klaus von Dohnanyi hat mich in der Regel reden lassen – am Schluss habe ich das ,Kleine Lied vom Frieden’ gesungen. Wir waren in diesen Tagen ziemlich erfolgreich, hat mir von Dohnanyi später erzählt.“
Jetzt sagt Katja Ebstein: „Haltung in eigenen Texten ausdrücken ist meine Devise wie auch bei Udo Lindenberg, Konstantin Wecker, Hannes Wader, Reinhard Mey und anderen.“ Von Begegnungen mit ihnen erzählt sie im Kapitel „Mach dein Ding“. „.Siehst ja lecker aus’ – dieser kurz an mich genuschelte Satz stammt von Udo Lindenberg,“ Er begegnete ihr bei Veranstaltungen wie „Künstler für den Frieden“. Oder mal im Hotel Atlantic, im Buch mit „k“ geschrieben. Ansonsten häuft sich Bekanntes in den Kapiteln über Brandt und Lindenberg.
Als Teenager traf Ebstein die Studenten Ohnesorg und Dutschke
Persönlicher sind ihre Begegnungen als Teenager mit zwei bekannten Studenten gleich im zweiten Kapitel, das Ebstein „Die Inseln meines Lebens“ genannt hat. „In diesen Ferien begegnete ich einem gut aussehenden, zurückhaltenden – um nicht zu sagen schüchternen – sensiblen Jungen, der mit der Nordsee-Ferienentscheidung ,Amrum’ offensichtlich auch ein Suchender nach dem Besonderen war – sein Name war Benno Ohnesorg“, schreibt sie. „Wir redeten übers Schreiben von Poesie und übers Malen.“
Ohnesorg, der Kunsterzieher werden wollte, wurde 1967 in West-Berlin bei Protesten gegen den persischen Schah von einem Polizisten erschossen, Rudi Dutschke knapp ein Jahr später von einem Rechtsgerichteten schwer verwundet. „Seine Fähigkeit zum Zuhören, seine Bescheidenheit, seine Leidenschaft, seine Offenheit, sein klarer Verstand und seine Herzlichkeit imponierten mir“, schreibt Ebstein über Dutschke. Obwohl sie zum Zeitpunkt des Attentats bereits in München wohnte, wehrt sich Ebstein nicht dagegen, als 68erin bezeichnet zu werden.
Sie sei eine „Liedermacher-Seele“, sagt Ebstein
„Als Liedermacher-Seele orientiere ich mich zunächst an der Sprache, dann an der Musik“, sagt sie heute. Ihre Vorlieben aus dem angloamerikanischen Raum sind bis heute Bob Dylan, Neil Young, die Beatles, Queen und Joan Baez. Auch Mahalia Jackson und viele Jazzer. „Eine Frau mit Herz und Haltung“, diese Kategorisierung, „na ja, das könnte einigermaßen passen“, meint sie. Aber „Ikone“ der deutschen Musikszene, wie es oft heißt? „Ikone ist etwas Abgeschlossenes ohne weitere Entwicklung, etwas Eindimensionales und Statisches und kommt ziemlich unlebendig daher. Das bin ich nicht, ich bin noch im Werden.“
Katja Ebstein bleibt neugierig aufs Leben. „Mitglied einer Partei war ich nie. Ich denke, man muss seine eigene Meinung und seinen nicht manipulierbaren politischen Kopf behalten“, lautet ihr Credo. Das Engagement der jungen Generation für Fridays for Future begeistert sie: „Endlich gehen Kinder für ihre Zukunft auf die Straße.“
Auf dem Couchtisch stehen zwei Smoothie-Flaschen. Wenn schon kein Gang nach draußen, dann wenigstens Obst und Milch: „Was ich kann, mache ich, um auf der Bühne nicht fit zu scheinen, sondern fit zu sein.“ Als sie für den Fotografen schließlich ins Hotel-Foyer kommt, wirkt sie beinahe verspielt, in jedem Fall sehr professionell. Und statt zum Spaziergang ist sie im Restaurant mit Klezmer-Klarinettist Giora Feidman (84) verabredet. Noch eine Begegnung.
„Das ganze Leben ist Begegnung“, Verlag Fischer Krüger, 254 Seiten, 20 Euro