Im Kinofilm „Schwesterlein“ ist der gefragte Schauspieler als krebskranker Zwillingsbruder mit Nina Hoss zu sehen.
Lars Eidinger gibt immer alles, auf der Theaterbühne wie im Film – und aktuell in der Serie „Babylon Berlin“. Am kommenden Donnerstag läuft bundesweit in den Kinos „Schwesterlein“ an. Da spielt der 44-Jährige an der Seite von Nina Hoss einen Krebskranken.
Im Fernsehen „Babylon Berlin“ und demnächst „Gott“, im Kino nach „Persischstunden“ nun „Schwesterlein“: Sie gibt es immer nur geballt. Stört Sie das oder ist das auch eine gute Gelegenheit, Ihre Bandbreite zu zeigen?
Lars Eidinger Natürlich ist es als Schauspieler toll zu zeigen, wie unterschiedlich man sein kann. Aber wenn ich ganz ehrlich bin, ist meine Vorfreude auf alle Premieren derzeit ein wenig getrübt. Ich ertappe mich dabei, dass ich immer darauf warte, dass der Anruf kommt: „Findet doch nicht statt“. Ich trau dem Ganzen noch nicht so richtig.
Die Corona-Verordnungen machen Ihnen zu schaffen?
Ich hätte nicht gedacht, dass ich so ein körperlicher Typ bin. Ich hätte geglaubt, ich brauch das nicht, jeden zu umarmen. Aber ich merke jetzt, dass mir das total fehlt. Gerade das Ausschweifende, Überbordende, was ja zum Freuen und Feiern dazugehört, darf man sich gerade nicht erlauben.
In „Schwesterlein“ spielen Nina Hoss und Sie Zwillingsgeschwister. Sie waren zusammen an der Schauspielschule, aber haben nie wirklich miteinander gearbeitet. War das ein Reiz, es endlich mal zu tun?
Wir waren ja sogar im selben Jahrgang. Ich kenne Nina seit 25 Jahren. Allerdings haben wir auf der Schauspielschule nie gemeinsam gespielt, erst ganz am Ende bei einer Studioinszenierung. Aber selbst da hatten wir nicht eine Szene zusammen. Obwohl, halt! Es gibt doch einen Film mit uns, „Fenster zum Sommer“. Da habe ich richtiggehend gezittert vor unseren Szenen, dass ich gar nicht richtig mit ihr spielen konnte.
Wieso haben Sie gezittert?
Weil ich sie immer schon bewundert habe. Von Anfang an war sie jemand, zu dem ich aufgeschaut habe. Und das völlig neidlos. Es gab immer wieder Kollegen, denen ich ihren Erfolg geneidet habe. Oder gedacht habe, das würde ich auch gern spielen. Aber Nina hat etwas Unangreifbares, als Schauspielerin wie als Mensch. Ich verehre sie wirklich sehr.
Diesmal haben Sie nicht mehr gezittert?
Diesmal wich die Angst der Vorfreude. Weil ich so glücklich war, dass man sich auf Augenhöhe begegnen kann. Und das ist auch etwas, was Nina zulässt. Sie könnte bei ihrem Status ja auch eine Überheblichkeit an den Tag legen, aber im Gegenteil. Wenn man Geschwister spielt und hier gar Zwillinge, ist das natürlich immer eine Behauptung. Aber wir konnten auf eine sehr lange Beziehung zurückgreifen. Und das hat eine Vertrautheit geschaffen, wie es sie eigentlich nur zwischen Geschwistern gibt.
Sie geben in „Schwesterlein“ viel von sich selber preis. Ihre Figur Sven ist zwar schwul und krebskrank. Aber er ist Schauspieler an der Schaubühne, man sieht Ihre „Hamlet“-Inszenierung, die Krone, die auch Sie im Stück tragen, und Sven wohnt in Ihrem Berliner Kiez. Ist das nicht zu nah, wenn das so verschmilzt? Oder ist das ein besonderes Spiel? Haben Sie das womöglich mit in die Arbeit hineingebracht?
Ganz im Gegenteil. Das war sogar eher eine Hürde. Ich habe in den letzten zwei Jahren zwei, nein, sogar drei Drehbücher angeboten bekommen, in denen ich Lars Eidinger spielen sollte. Und ich habe jedes Mal abgelehnt. Ich kenne das, dass man von anderen sagt – und ich habe es manchmal auch gesagt: Der Schauspieler ist nicht so interessant, der spielt sich immer nur selbst. Mittlerweile glaube ich, das ist die schwierigste Disziplin überhaupt, das ist sogar unmöglich, sich selbst zu spielen.
Deshalb habe ich mich schon in einer gewissen Verantwortung gesehen, wenn ich in „Schwesterlein“ einen Theaterzusammenhang zeige. Ich habe mich demgegenüber stärker verpflichtet gefühlt, als wenn ich einen Richter spiele. Ich kann das total verstehen, wenn man das so sieht, dass ich hier viel von mir preisgebe. Aber ich habe mit der Filmfigur genauso wenig oder viel zu tun wie mit dem SS-Mann in „Persischstunden“ oder dem Mörder im „Tatort“.
Ihre Figur stirbt an Krebs. Fordert man da das Schicksal nicht heraus, wenn man das so persönlich anreichert?
Ich kenne Schauspieler, die solche Rollen kategorisch ablehnen, weil sie sich gar nicht vorstellen wollen, wie es wäre, Krebs zu haben. Einfach aus Angst, sie könnten dann tatsächlich einen Tumor bekommen. Ich kann das bis zu einem gewissen Punkt nachvollziehen. Ich habe das allerdings ein bisschen verdrängt. Ich glaube, ich bin inzwischen schauspielerisch an einem anderen Punkt, an dem ich als Schauspieler gar nicht mehr so viel steuern muss. Früher dachte ich immer, ich muss eine Rolle wahnsinnig gestalten und hatte einen eher technischen Ansatz.
Und jetzt?
Je länger ich den Beruf ausübe, desto mehr löse ich mich davon. Weil ich gemerkt habe, es geht viel mehr um ein Sicheinlassen auf eine Situation. Ich versuche, mich dem Impuls hinzugeben. Aber was der Impuls auslöst, das überrascht mich oft selbst. Weinen etwa - das kann ich nicht technisch herstellen. Ich weiß aber inzwischen, wie ich mich öffnen muss, um es geschehen zu lassen. In der Konsequenz hat man schon ein bisschen Angst, der Körper könnte das missverstehen und mit einem Tumor reagieren. Kann schon sein, dass man in der Hinsicht das Schicksal herausfordert. Aber ein Stück weit ist das auch das Besondere an diesem Beruf, an Kunst überhaupt. Je länger ich das mache, desto mehr bewahrheitet sich, was ich immer schon als Credo hatte – dieses Katja-Ebstein-Zitat: „Alles ist nur Theater und ist doch auch Wirklichkeit“.
Ich hätte nie gedacht, dass Sie mir Ihren Beruf mit Katja Ebstein erklären würden.
Wieso nicht? Katja Ebstein hat es nur gesungen, aber der Text ist von Bernd Meinunger, einem genialen Autor, der mit dem Kosmos, den er in diesem Lied entwirft, auch wenn’s ein Schlager ist, von der gedanklichen Dimension her an Shakespeare heranreicht. Als jemand, der das wirklich lange macht, finde ich die Beschreibung, was Theater ist, sehr treffend. In dem Moment, in dem ich etwas spiele, ist es tatsächlich meine Wirklichkeit. Auch wenn ich das in der Fiktion erlebe, ist es ein Teil meines erlebten Lebens. Das finde ich eine totale Qualität von Kunst. Deshalb schätze ich mich auch so glücklich, dass ich das Privileg habe zu spielen. Auch durchspielen zu dürfen, dass ich sterbe. Das hat immer auch einen therapeutischen Aspekt.
Sie sterben ja oft – im Film, erst recht auf der Bühne.
Ja, jeden Abend eigentlich.
Ist das schon Routine? Oder denkt man mit zunehmendem Alter anders darüber nach?
Die Frage ist, wie sehr man sich der Realität verpflichtet fühlt. Es kann schon eine Befreiung sein, nicht immer authentisch sein zu müssen. Das schränkt ja auch ein. Das Tolle an der Fiktion ist doch, dass sie sich davon entfernen kann. Deshalb liebe ich das Theater auch so. Auf der Bühne, würde ich pauschal sagen, stirbt es sich leichter als im Film.