Hamburg. Lehrer fühlen sich mit der Einrichtung neuer Tablets und Laptops alleingelassen. Viele Computer liegen daher ungenutzt in Kellern.
Beim Ausbau des digitalen Unterrichts hat Hamburg zumindest den ersten Schritt im Eiltempo erledigt, glaubt man Bildungssenator Ties Rabe (SPD). Nur wenige Wochen nach dem Angebot der Bundesregierung im Frühjahr an die Länder, eine halbe Milliarde Euro für zusätzliche Mobilcomputer bereitzustellen, habe die Schulbehörde 39.000 Tablets und Laptops bestellt.
„Wir sind sehr schnell, wenn es darum geht, so ein Geschenk auch anzunehmen“, sagte Rabe bereits am 10. August an der Stadtteilschule Alter Teichweg in Dulsberg. Dort zelebrierte er auf dem Pausenhof die Übergabe von 270 Tablets. Zusammen mit schon vorhandenen Computern verfügten Hamburgs Schulen nun über rund mobile 50.000 Endgeräte.
Diese sollten „jetzt intensiv im Unterricht eingesetzt werden, damit im Falle einer erneuten Einschränkung des Unterrichts zügig auf digitalisierten Fernunterricht umgestellt werden kann“, erklärte Schulbehörde.
IT-Wissen wird benötigt
Zügig weitergegangen ist es seit der Lieferung aber vielerorts offenbar nicht – im Gegenteil: Etliche Schulen konnten mit der IT-Bescherung noch kaum etwas oder nichts anfangen. Das Motto laute wohl: „Seht selbst zu, wie ihr die Geräte zum Laufen bekommt“, sagt der stellvertretende Leiter einer Stadtteilschule.
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Seiner Schule wurden im September mehr als 100 Tablets und Laptops geliefert. Zum Einsatz gekommen seien die Geräte noch nicht. Der Grund: Wie an den meisten Schulen gebe es auch bei ihnen keine Fachkraft, die sich um die IT kümmere. Stattdessen sei ein technikaffiner Lehrer für fünf Stunden pro Monat vom Unterricht freigestellt, damit er sich um die vorhandenen Computer kümmern könne. Diese Zeit und das IT-Wissen des Kollegen reichten aber nicht aus, um „ruckzuck“ einen großen Schwung an Tablets und Laptops der jüngsten Generation für den Unterricht nutzbar zu machen – vom Anschluss an das Internet über Datenschutzeinstellungen bis hin zur Installation gewünschter Schreib-, Präsentations- und Lernprogramme.
Vater musste bei Einrichtung helfen
Und nun? „Der besagte Kollege wird sich bald einen Informatikkurs schnappen, mit den Schülern erst einmal die Geräte auspacken und diese dann in unser Netzwerk einbinden“, erzählt der stellvertretende Schulleiter, der anonym bleiben möchte. Um die Einrichtung der Mobilcomputer werde sich anschließend eine externe Firma kümmern. Die Kosten dafür trage die Schule.
Alleingelassen mit der neuen Technik fühlt sich auch der Leiter einer Hamburger Grundschule, die eine zweistellige Zahl an Tablets geliefert bekam. In seiner Schule gebe es gleich drei Herausforderungen. „Es gibt in unserem Kollegium keinen IT-Freak. Niemand hat das Know-how, die Tablets einzurichten“, sagt der Pädagoge, der ebenfalls anonym bleiben möchte. Vor Kurzem habe ein fachlich versierter Schülervater einen der neuen Mobilcomputer mit nach Hause genommen. „Er wird uns hoffentlich sagen, was wir brauchen, um die Geräte zum Laufen zu bekommen.“
Geräte gegen Diebstahl sichern
Die Frage ist allerdings, ob die neuen Tablets ans Internet angeschlossen werden können. Denn wie die meisten Grundschulen in Hamburg verfüge auch seine Schule noch nicht über WLAN, sagt der Schulleiter. Ursprünglich sei für 2021 geplant gewesen, dass seine Schule drahtlose Onlinezugänge bekommen sollte. Nun stehe in Aussicht, dass noch in diesem Jahr vier von elf Klassenräumen WLAN bekommen könnten.
Die dritte Herausforderung bestehe darin, die teuren Geräte gegen Diebstahl zu sichern. Ein mithilfe des Landeskriminalamtes ausgewählter Raum müsse noch umgebaut werden. „Bis der Raum gesichert ist, lagern wir die Tablets gut versteckt“, sagt der Grundschulleiter.
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Mit ähnlichen Schwierigkeiten haben Gymnasien zu kämpfen, sagt Christian Gefert, Vorsitzender der Vereinigung Hamburger Schulleiter an Gymnasien. Er spricht von „strukturellen Problemen“, die sich „mit der Lieferung neuer Geräte verschärft“ haben. „Wer Tausende von Endgeräten verteilt und WLAN einrichten lässt, muss sich Gedanken machen, wie man das organisiert – einen entsprechenden Plan für die Hamburger Schulen gibt es aber immer noch nicht“, sagt Gefert. Mit der Einrichtung neuer Mobilcomputer sei es im Übrigen längst nicht getan: „Es muss an Schulen auch Zuständige geben, die etwa Geräte verleihen und diese nach der Rückgabe kontrollieren und warten.“
Hausmeister für Digitalgeräte
Das bestätigt der Leiter einer Berufsschule, die 70 neue Laptops geliefert bekam. Dass hauptsächlich Lehrer diverse mit der IT verbundene Aufgaben übernehmen, dürfe kein Dauerzustand sein, sagt er. „Wir brauchen eine Art Hausmeister für unsere Digitalgeräte, der schnell reagieren kann.“ Das sieht der stellvertretende Leiter der erwähnten Stadtteilschule genauso: „In den meisten Unternehmen und Behörden gibt es IT-Abteilungen – so etwas muss es in Schulen künftig auch geben.“ In die gleiche Kerbe schlägt die Gewerkschaft für Erziehung und Bildung (GEW) in Hamburg.
Linken-Fraktionschefin Sabine Boeddinghaus sagt: „Uns wird berichtet, dass Lehrkräfte die Geräte nach Hause schleppen und sie in ihrer Freizeit konfigurieren.“ Infolge des Mangels an IT-Unterstützung sei Fernunterricht „technisch und pädagogisch nach wie vor nicht sicher durchführbar – auch das erfahre ich in vielen Zuschriften“. Die CDU-Bürgerschaftsabgeordnete Birgit Stöver sagt, sie habe etliche Rückmeldungen von Schulen erhalten, „die gelieferte Tablets und Laptops in Kellern lagern und noch nicht nutzen können“.
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Die Schulbehörde kommt zu einer anderen Einschätzung, was die Hilfsbedürftigkeit der Schulen betrifft. „Der bereits bestehende umfangreiche Gerätepark der Schulen zeigt, dass die Schulen bereits in den letzten Jahren in der Lage waren, neue Geräte zu konfigurieren“, sagt Sprecher Peter Albrecht. Ihm zufolge bekommen Hamburgs Schulen seit Jahren zusätzliche Personalstunden und Mittel im Umfang von 4,4 Millionen Euro pro Jahr, um ihre IT zu warten – auf eigene Initiative, indem sie externe Firmen beauftragen oder indem sie eine Firma beauftragen, die von der Behörde „akquiriert“ worden sei. Viele Schulen verfügten zudem über eigene Firmenkontakte. „Sollten einzelne Schulen trotzdem weitere Unterstützung benötigen, können sie sich jederzeit an die Schulbehörde wenden“, sagt Albrecht.
Insgesamt seien „bereits 37 professionelle IT-Kräfte in den Schulen im Einsatz“. Zur Einordnung: Es gibt 372 staatliche Schulen in Hamburg. Albrecht verweist auf den „Digitalpakt 3“, den die Bundesregierung und die Länder verabschiedet haben, um die Schulen bei den „immer umfangreicheren Supportaufgaben zu unterstützen“. Von diesem Geld sollen auch Hamburgs Schulen zusätzlich drei Millionen Euro pro Jahr für die Wartung ihrer IT- Geräte erhalten – vom kommenden Jahr an.