Hamburg. Der Hamburger Virologe Schmidt-Chanasit fordert bessere Kontrollen. Aber es gehe auch um Freiräume, gerade für junge Leute.

Prof. Jonas Schmidt-Chanasit vom Bernhard-Nocht-Institut zählt zu den renommiertesten deutschen Virologen. Das Interview zur aktuellen Corona-Situation.

Hamburger Abendblatt: Herr Prof. Schmidt-Chanasit, haben Sie mit einem solchen massiven Anstieg der Corona-Infektionen gerechnet?

Prof. Jonas Schmidt-Chanasit: Nein, das hat mich auch überrascht. Aber auf der anderen Seite haben wir die Bilder von großen privaten Feiern etwa in Hotspots wie Berlin-Neukölln gesehen. Ich frage mich, warum man die klaren Regeln nicht durchsetzen konnte. Es ist klar, dass die Ämter dort personell nicht so ausgestattet sind, wie es hätte sein müssen. Aber darauf hätte man viel früher reagieren müssen.

Braucht es jetzt neue schärfere Regeln?

Schmidt-Chanasit: Nein, es muss darum gehen, die bestehenden Regeln endlich durchzusetzen. Es kann nicht sein, dass sich in Bars Leute als Mickey Maus in die Gästebögen eintragen. Umso besser finde ich, dass Bezirksamtschefs wie Falko Droßmann dagegen jetzt entschlossen vorgehen. Es macht dagegen überhaupt keinen Sinn, jetzt zu fordern, dass man sich überall eine Maske aufzieht. Was soll das bringen, wenn ich allein in der Straße unterwegs bin? Das ist vollkommen kontraproduktiv und verringert die Akzeptanz, die wir dringend brauchen. Deshalb finde ich den Kurs von Peter Tschentscher, behutsam mit Regel-Verschärfungen vorzugehen, auch völlig richtig.

Derzeit werden viele Hoffnungen mit Antigen-Schnelltests verbunden, die etwa massenhaft in Pflegeheimen eingesetzt werden sollen. Aber wie zuverlässig sind diese Tests?

Schmidt-Chanasit: Darauf gibt es keine generelle Antwort. Sie müssen dafür den grundsätzlichen Unterschied zwischen PCR-Tests und die Antigen-Tests kennen.

Klären Sie uns bitte auf.

Schmidt-Chanasit: Bei einem PCR-Test wird das Erbgut des Virus vervielfacht. Durch diesen Prozess kann man auch sehr kleine Mengen nachweisen. Bei Antigentests wird kein Virus-Erbgut analysiert, sondern die Virus-Proteine. Dafür wird das Material auf einen Streifen gegeben, damit die Proteine mit spezifischen Antikörpern interagieren können. Unterschiedliche Teststreifen zeigen dann ein positives oder negatives Ergebnis an. Das geht viel schneller und ist viel günstiger als das PCR-Verfahren. Aber wir brauchen dazu die Proteine in ausreichender Konzentration.

Empfohlener externer Inhalt
An dieser Stelle befindet sich ein externer Inhalt von Youtube, der von unserer Redaktion empfohlen wird. Er ergänzt den Artikel und kann mit einem Klick angezeigt und wieder ausgeblendet werden.
Externer Inhalt
Ich bin damit einverstanden, dass mir dieser externe Inhalt angezeigt wird. Es können dabei personenbezogene Daten an den Anbieter des Inhalts und Drittdienste übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

Vereinfacht gesagt gilt also: Je höher die Virenlast, umso größer ist die Chance, dass eine aktive Infektion nachgewiesen wird.

Schmidt-Chanasit: Genau. Und deshalb sind auch pauschale Angaben zur Sensitivität, wie empfindlich Antigentests sind, im Prinzip unsinnig. Wenn der Betroffene stark infektiös ist, wird der Antigentest das Virus-Antigen mit einer Wahrscheinlichkeit von an die 100 Prozent nachweisen. Wenn die Virenlast aber nur sehr gering ist, sinkt die Trefferquote sehr stark. Hinzu kommt, dass das Farbsignal mit dem menschlichen Auge beurteilt wird.

Dann machen doch Antigen-Tests gar keinen Sinn.

Schmidt-Chanasit: Doch, sie müssen nur an den richtigen Stellen von den richtigen Leuten eingesetzt werden. Dann ist das ein ganz wichtiger Baustein. Es geht nicht darum, die PCR-Tests komplett zu ersetzen. Aber wenn die Virenlast nur sehr schwach ist, sinkt auch das Ansteckungsrisiko massiv. Deshalb sind die Antigentests etwa im Pflegeheim sehr wichtig. Sie können damit bei einem Ausbruch die hochinfektiösen Bewohner sofort identifizieren, dann isolieren und dann in Ruhe mit PCR-Tests nacharbeiten. Sie müssen sich das wie bei der Feuerwehr vorstellen. Die löscht auch erstmal den großen Brand, kümmert sich dann um die kleineren Brandnester.

Wäre es sinnvoll, dass alle Besucher eines Pflegeheims einen solchen Schnelltest machen?

Schmidt-Chanasit: Ja, auf jeden Fall. Das Zeitfenster, wo man als nicht infektiös gilt, ist zwar viel kürzer als bei einem negativen PCR-Test. Aber ein Antigen-Test zeigt, dass man für etwa ein, zwei Stunden nicht ansteckend ist. Es wäre also die Chance, sich mal ohne Masken in den Arm zu nehmen.

Werden die Antigen-Tests denn immer besser?

Schmidt-Chanasit: Ja, die werden jetzt auch mit entsprechenden Maschinen kombiniert, so dass auch kleinste Farbänderungen erkannt werden. Aber diese Schnelltests sollen ja preiswert und schnell sein, damit stößt dieses System naturgemäß an seine Grenzen.

Für beide Testverfahren arbeitet man mit einem tiefen Rachenabstrich, was nicht nur Betroffene mit einem ausgeprägten Würgereiz als extrem unangenehm empfinden. Sie haben nun einen Speicheltest entwickelt.

Schmidt-Chanasit: Ja, allerdings nur auf PCR-Basis. Dieser kann für einen Personenkreis wichtig sein, der sich nicht an eine Arztpraxis oder Testzentrum für einen Rachenabstrich wenden möchten. Denken Sie nur an Prostituierte. Es ist uns klar, dass es bei der selbstständigen Speichel-Entnahme Zugeständnisse geben muss. Aber es kann ein pragmatischer Weg sein, Infizierte in sonst schwer zugänglichen Situationen auszumachen. Einen Rachenabstrich selbst durchzuführen, ist alles andere als trivial und weniger zuverlässig als die Speichelabgabe.

Empfohlener externer Inhalt
An dieser Stelle befindet sich ein externer Inhalt von Youtube, der von unserer Redaktion empfohlen wird. Er ergänzt den Artikel und kann mit einem Klick angezeigt und wieder ausgeblendet werden.
Externer Inhalt
Ich bin damit einverstanden, dass mir dieser externe Inhalt angezeigt wird. Es können dabei personenbezogene Daten an den Anbieter des Inhalts und Drittdienste übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

Für einen schnellen Antigen-Test machen Speichelproben keinen Sinn?

Schmidt-Chanasit: Nein, bei dieser Kombination wäre das Risiko zu groß, dass auch Hochinfektiöse nicht erkannt werden.

Eine Hamburger Firma verspricht nun PCR-Tests mit einem Ergebnis binnen einer Stunde. Kann das funktionieren?

Schmidt-Chanasit: Ja, es gibt aber auch viele andere Anbieter von sogenannten Kartuschen-Systemen. Eine Laborinfrastruktur ist dafür nicht mehr notwendig. Das Problem ist aber die Verfügbarkeit großer Testmengen. Ob die Hamburger Firma dies zuverlässig leisten kann, bleibt abzuwarten.

Sie begleiten das Projekt des Hamburger Unternehmers Axel Strehlitz, der unter anderem die Panik-City betreibt, wissenschaftlich. Mit einer Kombination aus Antigen- und PCR-Tests sollen Leute sich quasi für eine Party oder eine Veranstaltung freitesten können. Sie könnten dann auch ohne Maske nur unter sich feiern.

Schmidt-Chanasit: Es geht zunächst darum, ein Verfahren zu erproben. Wie kann man zuverlässig auf dem Kiez Abstriche in einer bestimmten Zeit entnehmen? Können Verwechslungen wirklich verhindert werden? Wenn das alles gesichert ist, wäre es kein Problem, ein solches Zeitfenster von zwölf oder 24 Stunden zu schaffen. Aber nochmal: Es geht zunächst nur um ein Pilotprojekt. Das wäre auch für unsere Epidemiologen von großem Interesse.

Aber mit Verlaub: Braucht es solche Feier-Möglichkeiten denn derzeit überhaupt?

Schmidt-Chanasit: Ja, wir können gerade den jungen Leuten nicht sagen: Ihr verzichtet jetzt bitte über viele Monate auf jede Party. Das wird nicht funktionieren. Wir müssen Freiräume anbieten, die sicher und vertretbar sind. Eine reine Verbotskultur wird nicht ins Ziel führen. Beim Profifußball hat man einen guten Weg gefunden.

Diese Corona-Regeln gelten in Hamburg:

  • Seit Sonnabend gilt in der Gastronomie eine Sperrstunde zwischen 23.00 und 5.00 Uhr
  • Berufs- und Oberstufenschüler müssen seit Montag auch im Unterricht Masken tragen
  • Veranstaltungen ohne feste Sitzplätze sind im Freien nur noch mit bis zu 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmern und in geschlossenen Räumen mit bis zu 50 Teilnehmerinnen und Teilnehmern zulässig
  • Feierlichkeiten im Familien-, Freundes- oder Bekanntenkreis außerhalb des eigenen Wohnraums sind nur noch mit bis zu 25 Personen zulässig
  • Private Feierlichkeiten im eigenen Wohnraum sind mit höchstens 15 Personen erlaubt

Viele Eltern haben Angst, dass die Schulen wieder schließen werden.

Schmidt-Chanasit: Das darf auf keinen Fall passieren. Die Daten zeigen, dass die Schulen keine Hauptinfektionsherde sind. Und deshalb muss jede/r darauf achten, dass die Infektionen nicht in die Schulen getragen werden. Da sind wir alle gefordert.

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder hat die Corona-Warn-App kritisiert. Die App sei bisher ein zahnloser Tiger, zeige kaum warnende Wirkung. Wie sehen Sie das?

Schmidt-Chanasit: Vielleicht war die Euphorie am Anfang zu groß. Dennoch kann die App ein Baustein in der Pandemie-Bekämpfung sein. Ich würde weiter jedem raten, die App zu installieren. Aber man muss sie weiter entwickeln. Vielleicht kann man dort ein Corona-Tagebuch integrieren, in das man seine Kontakte einträgt, um eine gute Idee von Christian Drosten aufzugreifen. Gut wäre auch ein Bonus-System. Wer sie benutzt, kriegt Freikarten für ein Kultur- oder Sportevent. Vor allem aber müssen wir diese App bedeutsamer machen für Bürger aus anderen Kulturkreisen. Diese Chance, Sprachbarrieren abzubauen, wurden bisher zu wenig genutzt. Thailand könnte dort ein Vorbild sein.

Wieso?

Schmidt-Chanasit: In Thailand gibt es sogenannte Village-Health-Volunteers, Freiwillige, die im ganzen Land, in jedem Dorf vom Gesundheitsministerium ausgebildet wurden. Die sind in jeden Haushalt gegangen, um über Corona aufzuklären. Jeder kann diese Health-Volunteers anrufen und fragen: Soll ich ins Krankenhaus? Soll ich mich testen lassen? Natürlich kann man das nicht eins zu eins auf Deutschland übertragen. Aber gerade Bürger, die der deutschen Sprache kaum mächtig sind, hätte man so besser aufklären können. Das hätte man viel stärker machen müssen. Zudem muss man in Thailand in jeden Laden, in jedes Restaurant mit einer QR-App einchecken. Man weiß sofort, wer zu welcher Zeit wo war. Dadurch kann man Infektionsketten viel leichter nachvollziehen. Aber mir ist klar, dass dieses Verfahren mit dem deutschen Datenschutz schwer vereinbar ist.

Herr Schmidt-Chanasit, im Internet werden Sie oft als Verharmloser tituliert. Wie sehr trifft sie das?

Schmidt-Chanasit: Wissen Sie, diese Pandemie ist ein so komplexes medizinisches und gesellschaftliches Problem, dem man weder mit Verharmlosung noch mit Alarmismus bei kommt. Als Virologe, und das habe ich auch schon häufig geäußert, müsste ich dafür plädieren, das gesamte gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben lahm zu legen, dann würde das Infektionsgeschehen buchstäblich zusammenbrechen. Ohne Kontakte hat das Virus keine Chance, einen Wirt zu finden. Aber was passiert dann mit uns, wirtschaftlich, kulturell, sozial? Das möchte ich mir nicht in meinen schlimmsten Träumen vorstellen. Deshalb versuche ich immer beides im Blick zu behalten, die Reduzierung des Infektionsgeschehens und die Aufrechterhaltung des gesellschaftlichen Lebens. Das ist schwer mit- und gegeneinander auszubalancieren, aber genau darin besteht unsere Aufgabe. Wie können wir den Menschen auch in diesen schwierigen Zeiten, die eben nicht in ein oder zwei Wochen vorbei sein werden, helfen, ein halbwegs normales Leben zu führen. Das ist das, was mich umtreibt und das hat nichts mit Verharmlosung zu tun.