Hamburg. Das neue Hamburg Institute for Advanced Study bringt Topforscher und Künstler aus aller Welt in einer Stadtvilla zusammen.
Am Eingang der Stadtvilla trocknet noch frische weiße Farbe. Im Erdgeschoss erstrahlen das Kastenparkett und die stuckverzierten Wände des künftigen Vortragssaals schon in neuem Glanz – die Küche nebenan steht allerdings noch leer. Auch im ersten und zweiten Stock fehlen Möbel. Doch spätestens bis zum 29. Oktober soll in dem 1892 erbauten Haus an der Rothenbaumchaussee 45 auf 550 Quadratmetern alles fein hergerichtet sein, damit Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank (Grüne) hier das Hamburg Institute for Advanced Study (HIAS) eröffnen kann.
Das Wissenschaftskolleg soll ein Treffpunkt für herausragende Forscher aus sämtlichen Disziplinen und Künstler sein, die hier bis zu zehn Monate lang frei von den Zwängen ihres Berufs an selbst gewählten Projekten arbeiten und darüber ins Gespräch kommen können. Kein Wissenschaftskloster, sondern ein Ort des intellektuellen Austauschs, von dem auch die Gesellschaft profitieren soll. „Wir bringen Persönlichkeiten aus Natur- und Geisteswissenschaften, Soziologie, Technik und Kunst zusammen, die Mauern zwischen den Disziplinen überwinden“, sagt Frank Fehrenbach, Sprecher des HIAS-Präsidiums und Professor am kunstgeschichtlichen Seminar der Universität Hamburg.
„Wir sind freier, offener, spielerischer“
Bezüge zum Alltag und die Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse seien dem HIAS zwar auch wichtig. Das Institut mache seinen Gastforschern aber keine Vorgaben für deren Projekte, sondern wolle einen Raum für Inspiration schaffen, für überraschende Einfälle, die etwa durch kontroverse Debatten entstehen können, sagt HIAS-Generalsekretärin Anna Neubauer, Kanzlerin der Hochschule für bildende Künste Hamburg.
Ihr zufolge will sich das HIAS inhaltlich breiter aufstellen als das The New Institute, jene jüngst von dem Unternehmer Erck Rickmers gegründete Hamburger Denkfabrik, die Nachhaltigkeit zu einem ihrer Schwerpunkte macht, „neue Antworten auf die drängenden ökologischen, ökonomischen und politischen Herausforderungen unserer Zeit“ finden will und auch Auftragsforschung betreiben könnte. Letzteres schließt Frank Fehrenbach für das HIAS aus. „Wir sind freier, offener, spielerischer“, sagt er.
Als Träger fungieren fünf staatliche Hamburger Hochschulen
Gegründet worden war das HIAS 2019 als gemeinnütziger Verein. Als Träger fungieren fünf staatliche Hamburger Hochschulen und die Helmut-Schmidt-Universität gemeinsam mit dem außeruniversitären Deutschen Elektronen-Synchrotron (Desy), der Akademie der Wissenschaften sowie der Bucerius Law School. All diese Einrichtungen könnten durch das HIAS Ideen für neue Projekte bekommen und ihre internationalen Kontakte ausbauen, sagt Anna Neubauer. Das ist zumindest eine Hoffnung.
Um sicherzustellen, dass es tatsächlich zu einem intensiven Austausch zwischen den hiesigen Wissenschaftlern und den Gastforschern kommt, sollen den HIAS-Fellows hochrangige „Tandempartner“ zur Seite stehen. So wird etwa die Neurowissenschaftlerin und Leibniz-Preisträgerin Brigitte Röder von der Universität Hamburg ihren Kollegen Rainer Goebel von der Universität Maastrich unterstützen, der 2021 als Fellow an das HIAS kommt.
Interessierten Bürgern sollen die Gastforscher ihre Projekte auf der jährlichen Konferenz „Hamburger Horizonte“ vorstellen, die das HIAS mit der Körber-Stiftung organisiert. Jeder Fellow bekommt ein Budget, um während seines Hamburg-Aufenthalts mindestens eine öffentliche Veranstaltung durchzuführen – wobei wegen Corona bisher völlig offen ist, ab wann und unter welchen Bedingungen diese stattfinden könnten.
Vier Gastwissenschaftler sind schon da
Vier Gastwissenschaftler sind schon da: die Mikrobiologin und Evolutionsforscherin Katrin Hammerschmid von der Universität Kiel, Anna Katharina Schaffner, Schriftstellerin und Literaturwissenschaftlerin von der University of Kent, Dietmar von der Pfordten, Rechts- und Sozialphilosoph von der Universität Göttingen, und Sophia Prinz von der Universität der Künste Berlin, die an der Schnittstelle von Kultursoziologie und Kunstwissenschaften forscht.
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Zu dem ersten Jahrgang aus insgesamt zehn Fellows zählen außerdem etwa der Schweizer Installationskünstler Thomas Hirschhorn und der deutschstämmige Wissenschaftshistoriker Philipp Lehmann von der University of California in Riverside. Diese beiden werden sich im kommenden Jahr zu der Forscher-WG in Rotherbaum gesellen. Übernachten werden die Fellows im Gästehaus der Universität Hamburg.
Im ersten Jahrgang noch nicht vertreten sind Ingenieurwissenschaftler. „Um Spitzenforscher aus dieser Disziplin anzulocken, werden wir noch mehr tun müssen“, sagt Prof. Andreas Timm-Giel, Vorsitzender des HIAS-Vorstands und Präsident der Technischen Universität Hamburg in Harburg.
Wie viel Geld es künftig von der Behörde geben wird, ist noch unklar
Zur Finanzierung der Fellows stellt die Universität Hamburg aus ihren Exzellenzmitteln, die sie vom Bund und den Ländern erhält, bis zu einer Million Euro pro Jahr bereit. Die Joachim Herz Stiftung und die „Zeit“-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius finanzieren zusammen mit 1,3 Millionen Euro zunächst bis Ende 2022 zwölf Stipendien für HIAS-Gastforscher. Die Akademie der Wissenschaften hat 100.000 Euro beigesteuert, um Stipendien für Nachwuchsforschende zu bezahlen.
Für den Aufbau des HIAS und die Geschäftsstelle stellte die Wissenschaftsbehörde in den Jahren 2019 und 2020 eine Anschubfinanzierung von insgesamt 550.000 Euro bereit. Wie viel Geld es künftig von der Behörde geben wird, sei noch unklar, sagt Anna Neubauer. „Wir gehen aber fest von einer Anschlussfinanzierung aus.“
Die für 230.000 Euro renovierte Villa, in der das Wissenschaftskolleg residiert, gehört der Stadt. So prominent das HIAS dort nun untergebracht ist – lange war nicht klar, ob das Institut überhaupt entstehen würde. Es war schon 2017 angekündigt worden, sollte eigentlich Mitte 2018 eröffnen. Doch die „Konzeptphase“ dauerte erheblich länger als geplant – wohl auch deshalb, weil sich so viele Hamburger Unterstützer einig werden mussten über das Prestigeprojekt.
Princeton als Vorbild
Vorbild für das HIAS ist insbesondere das 1930 gegründete Institute for Advanced Study (IAS) in der US-Stadt Princeton. Es hat bis heute 8000 Gastwissenschaftler beherbergt – unter ihnen 34 Nobelpreisträger. Vielerorts entstanden ähnliche Institute. Einen sehr guten Ruf genießt auch das 1981 gegründete Wissenschaftskolleg zu Berlin.
An dem Kolleg in Princeton arbeiten 200 Gastforscher, am Berliner Kolleg 40 Fellows pro Jahr – dagegen muss das HIAS kleinere Brötchen backen. Für den zweiten Jahrgang, der von Oktober 2021 bis April 2022 am HIAS arbeiten soll, seien allerdings schon 16 Fellows ausgewählt worden, sagen Anna Neubauer und Frank Fehrenbach. Langfristig sei geplant, bis zu 25 Fellows für ein akademisches Jahr nach Hamburg einzuladen.