Hamburg. Architekturexperte kritisiert Verkehrsplanung für Jungfernstieg und Mönckebergstraße: Autos zu verbieten löst kein einziges Problem.

Zwei Nachrichten aus den vergangenen Wochen: Auf der Mönckebergstraße werden in einem halben Jahr keine Busse mehr fahren, private Pkw dürfen das schon länger nicht mehr. Aber warum sollten sie auch? Die großen Kaufhäuser werden Stück für Stück geschlossen werden: Eine Entwicklung, die durch Corona nur beschleunigt wurde, aber seit Jahren läuft; Amazon und Co. haben ja nicht erst in diesem Jahr wachsende Verkaufszahlen.

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Die zweite Nachricht: Der Stadtentwicklungspastor Frank Engelbrecht von St. Katharinen möchte – „Altstadt für alle!“ – diese für ein Wochenende „den Menschen zurückgeben“. Wem hat die eigentlich vorher gehört? Sind die Autos selbstständig dorthin gefahren und haben den Straßenraum besetzt? An allen Ecken und Enden wird der motorisierte Verkehr aus der Innenstadt verdrängt. Das ist schön – kein Lärm, keine Abgase, kein Feinstaub. Der zuständige Senator der Grünen lässt sich nur noch mit Fahrrad ablichten.

Kostenlosen Elektroverkehr am Rand der Innenstadt anbieten

Gert Kähler ist Mitglied der Deutschen Akademie­ für Städtebau­ und Landesplanung und der Freien Akademie der Künste in Hamburg.
Gert Kähler ist Mitglied der Deutschen Akademie­ für Städtebau­ und Landesplanung und der Freien Akademie der Künste in Hamburg. © Matthias Iken | Matthias Iken (FMG)

Ich habe nichts gegen saubere Luft. Aber ich wüsste gern, was Kaufhaus- und Ladensterben und die Straßen ohne Busse und Autos mit der Innenstadt machen werden? Hat darüber schon mal jemand nachgedacht? Herr Tjarks hat sich dazu noch nicht geäußert. Der Oberbaudirektor und die Stadtentwicklungssenatorin auch nicht. Es wäre aber dringend nötig; die Entwicklungen laufen seit Jahren, und nicht Corona ist schuld, sondern zeigt nur die Folgen schneller.

Erstens: Was wird mit dem Verkehr? Viele Leute haben in Zeiten von Corona keine Lust, den öffentlichen Nahverkehr zu nutzen. Die einen fahren dann mit dem Fahrrad. Und wer über 65 Jahre alt ist oder anderweitig gebrechlich, der wird diskriminiert – Achtung: Alters­diskriminierung? Eine Lösung: Wir müssten einen kostenlosen Elektro­verkehr mit Rollern, Lastenfahrrädern oder Golfcarts am Rand der Innenstadt anbieten und dort große Parkplätze für Pkw haben, damit man umsteigen kann.

Die Binnenalster wird in majestätischer Ruhe liegen

Zweitens: Die Innenstadt wird zukünftig­ immer weniger zum Einkaufen genutzt werden. Was tritt an die Stelle von Passagen, Einzelhandel und Warenhäusern­? Die „Belebung der Innenstadt“ wird seit 50 Jahren gefordert – aber wer sagt, was an die Stelle des Einkaufens tritt – Restaurants, Kinos, Museen? Nur: Wenn das eine weg ist, dann funktioniert auch das andere nicht. Die Binnenalster wird dann in majestätischer Ruhe liegen. Nachts finden genehmigte Autorennen um die Alster statt, und ab und zu fällt mal eines ins Wasser. Ein Naturkundemuseum auf der Mö wird diese nicht retten­. Die großen Museen schließen um 18 Uhr – und was geschieht danach?

Bauen wir also die Warenhäuser und Bürohäuser, die mit verstärktem Homeoffice weniger gebraucht werden, zu Wohnungen um? Das ist weder billig noch einfach; das Baurecht hat da seine eigenen Vorstellungen, die bei getrennten Treppenhäusern für Büro und Wohnungen sowie Spielplätzen für Kinder anfangen.

Keine Autos in der Altstadt löst kein einziges Problem

Kopenhagen ist das große Vorbild der Hamburger Stadtplaner. Wir könnten um die Binnenalster eine Art „Tivoli“ bauen, mit ganzjähriger Öffnung? Dann hätten die Schausteller und Budenverkäufer wieder Arbeit, und die Abgase der Autos würden durch Würstchendüfte ersetzt. Jedenfalls: Nur keine Autos auf der Mönckebergstraße, keine Autos in der Altstadt löst kein einziges Problem; wir müssen stattdessen die andere Frage stellen: Was soll stattdessen kommen? Darüber nachzudenken, ist es höchste Zeit. Und es ist schwieriger, als die Autos zu verbieten.

Die große Achse zwischen dem Neuen Wall und der HafenCity, von der schon Oberbaudirektor Jörn Walter geträumt hat, hat sich bisher nicht ergeben; wer will denn auch mit dem Einkauf vom Neuen Wall noch eineinhalb Kilometer zum Überseequartier laufen? Und die große Umgestaltung der Ausfallstraßen, von denen sein Nachfolger Höing träumt? Die können auf eine Spur verkleinert werden, weil niemand mehr in die Innenstadt fahren will.

Die Innenstadt neu erfinden – das wäre ein Thema für die nächste Stadtwerkstatt.