Moorburg. Das erst 2015 eröffnete Kohlekraftwerk ist seit Jahren Zankapfel. Nun muss die Bundesnetzagentur entscheiden.

Es ist eine überraschende Wende in der an Irrungen und Wirrungen reichen Geschichte. Lange hatte der Betreiber Vattenfall gegen erbitterte Widerstände in der Hamburger Politik und bei Umweltschützern für sein Kohlekraftwerk Moorburg gekämpft, nun dreht Vattenfall den Spieß um und will das moderne Kohlekraftwerk stilllegen.

Nach Abendblatt-Informationen hat der Betreiber die Beschäftigten des Kraftwerks am Donnerstag darüber informiert, dass die Anlage womöglich schon Mitte 2021 vom Netz genommen wird. Das Unternehmen hat an der ersten Auktion der Bundesregierung zum Steinkohleausstieg zum 1. September teilgenommen. In dieser Auktion bietet die Bundesregierung den Teilnehmern Entschädigungszahlungen an, wenn sie Kapazitäten vom Netz nehmen. In der ersten Runde geht es um 4000 Megawatt Kraftwerkskapazität in Norddeutschland.

Die Unternehmen, welche die geringsten Entschädigungen fordern, bekommen den Zuschlag. Auf diesem Weg soll der CO2-Ausstoß bundesweit verringert werden. Zunächst sortiert nun die Netzagentur die Angebote der Konzerne danach, wie hoch die CO2-Einsparung wäre, dann wird geprüft, welche Auswirkungen ein Abschalten der Kraftwerke auf die Stabilität des Stromnetzes insgesamt hätte – und natürlich wie hoch die Entschädigungsforderung ist.

Moorburg sollte ursprünglich erst 2038 vom Netz gehen

Ursprünglich sollte Moorburg erst 2038 vom Netz gehen, der rot-grüne Hamburger Senat hatte aber bereits jüngst das Jahr 2025 anvisiert. Das Kraftwerk besteht aus zwei Blöcken mit je 800 Megawatt Leistung und wird von Umweltschützern als „Klimakiller“ tituliert. Andererseits ist es deutlich moderner als die meisten anderen Kohlekraftwerke der Republik und verfügt über einen höheren Wirkungsgrad.

„Es ist eine schwere Entscheidung, weil es ein junges, hocheffizientes Kraftwerk ist“, sagte nun Vattenfall-Chef Magnus Hall der „Süddeutschen Zeitung“. Auch für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sei das nicht leicht. „Wenn man aber andererseits Geld damit verliert, muss man etwas tun.“ Vattenfall hatte im vergangenen Jahr einen Verkauf geprüft – aber keinen Käufer gefunden. Die Baukosten in Höhe von rund drei Milliarden Euro hat der schwedische Staatskonzern bereits abgeschrieben.

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Alexander van Ofwegen, Verantwortlicher bei Vattenfall für die Kondensationskraftwerke, wird im Intranet des Unternehmens mit folgenden Worten zitiert: „Ich verstehe, dass diese Botschaft wirklich sehr hart für alle Kolleginnen und Kollegen hier in Moorburg ist. Wir als Management haben großen Respekt vor Ihrer ausgezeichneten Arbeit der letzten Jahre in einem Umfeld, das wirklich schwierig war und ist. Aber angesichts der negativen Cashflow-Prognosen für mindestens drei weitere Jahre und der sehr unklaren Perspektiven nach 2023 können wir nicht einfach abwarten. Wir müssen handeln.“

Auktion der Bundesregierung kommt Vattenfall gelegen

Die Bundesnetzagentur will spätestens am 1. Dezember bekannt geben, welche Konzerne bei der Auktion den Zuschlag bekommen haben. Bei dem Thema wurden auch schon die Tarifpartner mit ins Boot geholt. „Für die Teilnahme an der Auktion ist der Abschluss eines Tarifvertrags Bedingung. Vertreter des Unternehmens, der Arbeitgeberverband und die IG Metall haben am vergangenen Wochenende einen entsprechenden Tarifvertrag vereinbart. Dieser Tarifvertrag regelt für den Fall erfolgreicher Gebote wesentliche Rahmenbedingungen für die Beschäftigten“, teilte Vattenfall am Freitag mit.

Sollte das Kraftwerk Moorburg bereits in dieser ersten Auktionsrunde zum Zuge kommen und einen Ausgleich für die Stilllegung von Kapazitäten erhalten, müsste Vattenfall den kommerziellen Betrieb bereits Ende 2020 einstellen. Die Kohlebefeuerung würde nach einer Übergangszeit dann endgültig im Juli 2021 beendet.

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Seit Längerem arbeitet der schwedische Vattenfall-Konzern an Ausstiegsszenarien für sein Kohlekraftwerk an der Elbe. Es ist ein offenes Geheimnis, dass die Konzernzentrale in Stockholm lieber heute als morgen Moorburg abschalten würde. Bisher hat man sich jedoch aus wirtschaftlichen Gründen dagegenentschieden. Die Auktion der Bundesregierung kommt dem Konzern nun gelegen, weil er zum einen Entschädigungszahlungen bekäme, zum anderen das ungeliebte Kraftwerk endlich los wäre. Auch in Deutschland setzten die Marketingexperten von Vattenfall auf ein grünes Image. Der Slogan in der Werbung lautet: „Fossilfrei in einer Generation“.

Moorburg ist seit Jahren Zankapfel in der Hamburger Politik

Das Kraftwerk Moorburg ist offiziell erst seit 2015 in Betrieb. Ob es bei der Auktion der Bundesnetzagentur den Zuschlag erhält, ist offen. Beim CO2-Ausstoß hat Moorburg als modernes Kraftwerk eher bessere Werte pro erzeugter Stromeinheit als ältere Mitbewerber. Zudem spielt die Versorgungssicherheit eine Rolle. Moorburg gilt als wichtiger Baustein in der norddeutschen Stromversorgung.

Das Kraftwerk ist seit Jahren ein Zankapfel in der Hamburger Politik. Es wurde Mitte der Nuller-Jahre geplant und fiel auf Wunsch des damaligen CDU-Senats unter Ole von Beust mit zwei Blöcken doppelt so groß aus wie zunächst vorgesehen. Den Grünen gelang es später in Senatsverantwortung aus rechtlichen Gründen nicht, den Bau zu stoppen, wie sie es zuvor angekündigt hatten. Die geplante Nutzung als kombiniertes Strom- und Wärmekraftwerk für die Hamburger Fernwärmeversorgung kam wegen der Proteste in der Stadt nicht zustande, sodass Moorburg heute vorwiegend Strom produziert.

Das Hamburger Kohlekraftwerk Moorburg könnte zum Jahresende seinen kommerziellen Betrieb einstellen.
Das Hamburger Kohlekraftwerk Moorburg könnte zum Jahresende seinen kommerziellen Betrieb einstellen. © dpa

Das Kraftwerk kann bis zu elf Terawattstunden Strom pro Jahr erzeugen und stößt bei voller Last jährlich rund acht Millionen Tonnen CO2 aus. Im vergangenen Jahr waren es 4,7 Millionen Tonnen. Die in Hamburg unter Bürgermeister Peter Tschentscher regierende SPD hatte im Februar überraschend angekündigt, früher als geplant aus der Kohleverstromung aussteigen zu wollen. Einer der beiden Blöcke des Kraftwerks soll stillgelegt, der andere zu einem Gaskraftwerk umgebaut werden, hatte Tschentscher damals kurz vor der Bürgerschaftswahl angekündigt. Nun hat auch Vattenfall seine Pläne geändert.

CDU erwartet keine schnelle Abschaltung

„Das ist eine überraschende Nachricht“, sagte Umweltsenator Jens Kerstan dem Abendblatt. „Sollte es so kommen, wäre das ein Riesenfortschritt für den Klimaschutz in Hamburg und in Deutschland. Die angedachte Umrüstung auf Gas wäre damit hinfällig“, sagte er. Den Standort Moorburg hält Kerstan aber für „ideal, um dort innovative und klimafreundliche Energiepolitik zu betreiben. Die Produktion von grünem Wasserstoff, ein Elektrolyseur oder Hochtemperaturspeicher können unabhängig vom Kraftwerk dort vorangetrieben werden.“

Ein Kauf des Geländes oder des Kraftwerks ist seiner Ansicht nach nicht mehr notwendig. Mögliche Versorgungsengpässe sieht Kersten nicht, die Auktionen seien unter Sicherstellung der Versorgungssicherheit konzipiert worden.

Die CDU erwartet dagegen keine schnelle Abschaltung, weil das Kraftwerk systemrelevant sei: In den windärmeren Monaten werde Hamburg bis zu rund 90 Prozent mit Strom aus Moorburg versorgt. „Sollte es dennoch zu einer Abschaltung kommen, wäre es ein teurer Schildbürgerstreich“, sagte der Abgeordnete Stephan Gamm. „Das effizienteste Kohlekraftwerk Europas abzuschalten, während das älteste und schmutzigste Kohlekraftwerk in Wedel auf unbestimmte Zeit weiterläuft, ist an Absurdität nicht zu überbieten.“

BUND ist zufrieden

Der BUND, der gerade einen Sieg vor Gericht gegen das Kraftwerk erstritten hatte, zeigte sich zufrieden: „Die Abschaltung von Norddeutschlands größtem Klimakiller ist überfällig. Vattenfall hat mit diesem Projekt bereits Milliardenverluste eingefahren, und auch der laufende Betrieb ist wirtschaftlich nicht darstellbar“, sagte Manfred Braasch, Landesgeschäftsführer des BUND Hamburg. Die Entscheidung komme kaum überraschend.

Laut Stephan Köppe von der IG Metall sind im Kraftwerk rund 170 Arbeitnehmer beschäftigt. Er sagt: „Die Kolleginnen und Kollegen sind völlig überrannt von der Unternehmensentscheidung. Der Schock sitzt tief.“ Der IG Metall sei eine Vereinbarung gelungen, um Beschäftigung zu sichern.