Hamburg. In einem Alter, in dem andere schon die Tage bis zur Rente zählen, wagte der Hamburger Jörg Larisch einen Neuanfang.
Er war gut 30 Jahre Gastronom, dann wagte er etwas Neues: Mit 57 Jahren ist der Hamburger Jörg Larisch Auszubildender in der Altenpflege. „Das war die beste Entscheidung, die ich treffen konnte“, sagt der Azubi der Hartwig-Hesse-Stiftung. Es sei schön, die Dankbarkeit der alten Menschen zu spüren. Der gebürtige Niedersachse ist im zweiten Lehrjahr. Der Start in der Berufsschule war für ihn nicht leicht - und der Altersunterschied zu seinen Mitschülern groß. „Das sind schon Generationen.“
Er gibt zu: „Im Praktischen bin ich sicher besser als im Theoretischen. Auch das wird weniger bei Älteren.“ Es sei ihm anfangs sehr schwer gefallen, acht Stunden in einem Klassenraum zu sitzen. In der Corona-Krise kam ein weiteres Problem hinzu: „E-Learning fand ich schwer.“
Larisch ist der bisher älteste Lehrling der Hartwig-Hesse-Stiftung, die unter anderem Angebote in stationärer und ambulanter Pflege, Wohnanlagen und Wohn-Pflege-Gemeinschaften bietet. Der 57-Jährige absolviert seine Ausbildung beim ambulanten Pflegedienst in Hamburg-Mitte, fährt von Haus zu Haus. Einige Aufgaben kann er schon alleine übernehmen: Körperpflege, das Anziehen von Kompressionsstrümpfen, Blutdruck messen oder die Pflegebedürftigen anders positionieren, damit keine Druckstellen entstehen.
Zehntausende Pflegestellen sind unbesetzt
Er macht mit Senioren auch Ausflüge – etwa mit einem Transportfahrrad, von den Mitarbeitern liebevoll „Rikscha“ genannt. So auch an diesem sonnigen August-Tag. Er fährt eine Bewohnerin aus den Wohnanlagen der Stiftung an die Alster. „Das ist schön“, sagt die 77-jährige Brigitte Polz. „Ich war schon lange nicht mehr an der Alster.“ Sie findet es toll, dass Larisch in seinem Alter noch eine Ausbildung begonnen hat. „Sehr mutig“, sagt sie erkennend und genießt den Blick aufs Wasser.
2019 arbeiteten in der Kranken- und Altenpflege nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit rund 1,7 Millionen Menschen. Aktuell seien fast 40 000 Stellen aber unbesetzt. „Herr Larisch ist ein ganz wertvoller Mitarbeiter, seine Übernahme ist bereits besiegelt“, sagt Verena Meier, bei der Stiftung verantwortlich für Marketing.
Gerade zu Beginn der Corona-Pandemie bekamen Pflegekräfte viel Aufmerksamkeit und Applaus. „Zuerst hatte ich Gänsehaut“, berichtet Larisch. „Ich fand es schön, dass jetzt begriffen wird, was wir leisten. Ich bin mir nur nicht sicher, wie viele ernst gemeinte Klatscher dabei waren.“ Doch es gebe auch viele andere Berufe, die zu wenig Anerkennung erhielten. „Unsere Gesellschaft nimmt heute vieles zu selbstverständlich.“
Neuanfang mit 57 Jahren
Mit 57 Jahren sehnen viele schon die Rente herbei. Wieso setzt Larisch noch mal auf Neuanfang? „Die Gastronomie war mein Leben. Ich war in Berlin, auf Amrum – ich bin viel gewandert.“ Larisch arbeitete als Koch und Kellner. „Als ich 1978 in die Gastronomie ging, da gab es noch eine Wertschätzung beiderseits.“ Doch der Umgang der Gäste mit dem Personal habe sich sehr gewandelt. „Irgendwann war es nicht mehr das, was ich wollte“, berichtet Larisch. Bei der Suche nach einem neuen Arbeitsplatz landete er zuerst in einem Call-Center. „Das war mit Abstand die schlimmste Erfahrung, die ich gemacht habe.“
Ein Bekannter riet ihm, einen Betreuungsschein zu machen. „Er sagte, Du kannst doch gut mit Menschen umgehen“, erinnert sich Larisch. Nach einer dreimonatigen Weiterbildung fing er bei der Hartwig Hesse Stiftung an. An seinem Einsatzort in der Tagespflege Hamburg-Hohenfelde machte er Spaziergänge oder Gymnastik mit Senioren – durfte aber keine Pflegeaufgaben übernehmen. Dort sei er neugierig auf den Beruf geworden, so Larisch, der sich schließlich für eine Ausbildung entschied.
„Startet jemand mit über 50 Jahren mit einer klassischen Berufsausbildung, dann ist das eher die Ausnahme“, sagt der Sprecher der Agentur für Arbeit Hamburg, Knut Böhrnsen. „Wir gehen von etwa 20 Männern und Frauen aus, die sich derzeit in dieser Altersgruppe auf die Berufsschulbank setzen.“ Die Arbeitsagentur qualifiziere aber nicht selten Arbeitslose über 50 Jahre. „Wir nennen solche Weiterbildungen Umschulung, die maximal zwei Jahre dauern.“
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Krankheit oder Tod – in seinem Job wird Larisch auch mit schwierigen Themen konfrontiert. Es habe aber nie einen Moment gegeben, in dem er an seiner Entscheidung gezweifelt habe, betont er. „Ich habe kein Problem mit dem Sterben.“ Er überlege, nach der Ausbildung einen Zusatzlehrgang zur Palliativpflege zu machen. Sollte Larisch fit bleiben, will er auch nach Erreichen des Rentenalters noch weiterarbeiten. „Ich möchte noch eine Beschäftigung haben. Es ist ein tolles Gefühl, jemandem helfen zu können.“