Hamburg. Betrüger haben die 73-jährige Hamburgerin um fast 1000 Euro gebracht. Die Spur zu den Verdächtigen führt ins Ruhrgebiet.
Kammerjäger sollten ihre Rattenplage im heimischen Garten beseitigen. Doch nun muss sich Heike M. mit (falschen) Kammerjägern herumplagen. Die beiden Männer, die am 13. Juni bei ihr auftauchten, haben die 73-Jährige um fast 1000 Euro erleichtert. Das LKA 5 ermittelt wegen Betrugs.
Nach Abendblatt-Recherchen führt eine Spur zu einem kriminellen Ruhrgebiets-Clan, der mit völlig überzogenen Preisen für technische Notdienstleistungen arglose Bürger in ganz Deutschland abzockt.
Anfang Juni: Es stinkt bestialisch im Gartenhäuschen von Heike M. Ratten haben ein Loch durch den Holzfußboden genagt und eine Liegenauflage für ihren Nestbau in den Erdgängen benutzt. Irgendwann hat Heike M. die Nase voll. Im Internet stößt sie auf die Website Kammerjaeger-24.de. „Die Seite machte einen professionellen Eindruck“, erinnert sich die 73-Jährige im Gespräch mit dem Abendblatt. Außerdem habe sie eine positive Bewertung überzeugt. Sie vereinbart einen Termin mit der „Firma“.
Falsche Kammerjäger berechnen überzogene Preise
Am 13. Juni treffen die Männer bei ihr zu Hause in Othmarschen mit einem weißen Transporter ein. Beide etwa 30 Jahre alt, sportlich, südländischer Typ, sie sprechen akzentfrei Deutsch, wirken freundlich. Gleich wedeln sie mit einem Auftragsformular, auf dem Posten wie Anfahrt, Einsatzpauschale (69,95 Euro) und Lohnkosten (29,90 je 15 Minuten) sowie ein Bio-Pestizid (79,95 Euro je 100 Milliliter) vermerkt sind.
Während Heike M. auf der Terrasse sitzt, gehen die Männer an die Arbeit. Das Loch im Holzfußboden füllen sie mit Silikon auf, versprühen aber kein Pestizid – was sie nach rund 15 Minuten Arbeit aber behaupten. 900 Milliliter Pestizid hätten sie verbraucht. Macht 975,08 Euro brutto, sofort zahlbar per EC-Karte.
Heike M. fühlt sich massiv eingeschüchtert – und zahlt. Als ihr Sekunden später dämmert, was passiert ist, folgt sie den Männern, die bereits im Transporter sitzen, stellt sich ihnen auf der Straße in den Weg. Doch sie fahren an ihr vorbei und flüchten.
Seniorin erstattet Anzeige bei der Polizei
Heike M. versteht noch immer nicht, wie gerade sie auf den Nepp hereinfallen konnte. Sie sei ein „sehr kritischer Mensch“, sagt die diplomierte Volkswirtin und Psychologin. Am Tag darauf erstattet sie Anzeige. Wie sich herausstellt, ist praktisch alles gefälscht – echt ist nur die horrende Abbuchung.
Die Firma „Hugt24h“ – nicht existent. Ihre Internetseite – gelöscht. Die dort angegebene Handynummer – nicht mehr erreichbar. Der im Impressum der Seite ausgewiesene „Ansprechpartner“, angeblich ein in Berlin lebender Ingenieur – ebenfalls ein Opfer. Offenbar hatten die Täter wahllos einen Namen und eine Telefonnummer aus öffentlichen Verzeichnissen kopiert.
Als das Abendblatt den Mann anruft, reagiert er leicht genervt. In den vergangenen acht Wochen hätten sich 15 Menschen aus dem Bundesgebiet bei ihm gemeldet, die glaubten, er stecke mit den Betrügern unter einer Decke. Und schließlich: Auch die mit den Ziffern 111 beginnende Steuernummer auf dem Auftragsformular – angeblich das Finanzamt Oberhausen-Nord – stimmt nicht. 111 steht für das Finanzamt Essen-Nordost.
Die Abrechnungen aus Hamburg und Hannover sind identisch
Nach Essen führt auch die Spur jener Männer, denen Heike M. auf den Leim gegangen ist. Ein Familienvater aus Hannover hatte wegen einer Mottenplage ebenfalls im Internet einen Kammerjäger gesucht. Am 30. Juni fuhr ein weißer Transporter mit Essener Kennzeichen vor. Am Ende stellte der „Profi“ eine Rechnung über 189,90 Euro – tatsächlich abgebucht wurden 810,26 Euro. Vom Auftraggeber unbemerkt hatte der Täter den höheren Betrag im Kartenlesegerät eingegeben.
Das Auftragsformular und die Abrechnung sind im Fall des Hannoveraners und Heike M. praktisch identisch. Zweimal floss das Geld nach Essen. Im NRW-Lagebild „Clankriminalität 2019“ ist zwar nur die Rede von „Schlüsseldiensten, die von Clanangehörigen betrieben werden“.
Offenbar haben sie ihre Machenschaften aber auf weitere Notdienste ausgeweitet. Allein im Raum Emsland wurden 177 Ermittlungsverfahren gegen einen Essener eingeleitet „wegen Verdachts auf Leistungsbetrug/ Wucher im Zusammenhang mit Schlüsselnotdienst-Leistungen“.
Schlüsseldienst verlangte 3500 Euro in Eppendorf
Ähnliche Fälle mit Verbindung in die Ruhr-Metropole gibt es auch in Hamburg immer wieder. So verlangte ein „Schlüsseldienst“ für das Öffnen einer Tür – unter Androhung körperlicher Gewalt – 3500 Euro von einem jungen Mann aus Eppendorf, ein 70-Jähriger aus Wilhelmsburg zahlte 3441 Euro für ein neues Schloss, eine Frau aus Bergedorf verlor 3000 Euro, ein 23-Jähriger aus Barmbek 1100 Euro.
„Im Moment soll es vermehrt zu Fällen in Verbindung mit Schädlingsbekämpfern kommen. Saisonal bedingt geht es da oft um Wespennester“, sagt Hamburgs Polizeisprecher Daniel Ritterskamp. Schlüsseldienste seien natürlich auch dazwischen.
So läuft die Masche der Betrüger ab
So läuft der Nepp: Die Betrüger bieten über das Internet diverse Notdienste an, erkaufen sich eine gute Reihung bei Google. Über ein Callcenter, häufig eine 0800-Nummer, werden die Anrufe dann zum Handy der Kriminellen weitergeleitet. „Diese Callcenter selbst sind kaum oder gar nicht haftbar zu machen, da sie die Aufträge nur an Subunternehmer vermitteln“, sagt Steffi Klotz vom Deutschen Schädlingsbekämpferverband (DSV).
Lesen Sie auch:
- Seniorin will Prepaid-Handy aufladen – und wird abgezockt
- 200.000 Euro weg: Hamburgerin fällt auf Trickbetrüger rein
- Enkeltrick: Wie ein Clan-Mitglied in Hamburg aufgeflogen ist
Alle paar Tage wechselten die Betrüger ihre Handynummer. „Das von Frau M. beschriebene Vorgehen der Täter und die Firma Hugt24h sind uns bekannt“, so Klotz. „Seit zwei Jahren registrieren wir verstärkt Beschwerden aus dem gesamten Bundesgebiet.“ Wie die Ermittlungsbehörden gehe auch der Verband davon aus, dass Clans aus dem Ruhrgebiet hinter den meisten Betrugs- oder Wuchertaten stecken. In Hamburg gab es im Vorjahr 67 bekannt gewordene Fälle von Wucher, 43 wurden aufgeklärt.
Schaden durch Abzocke bundesweit im „Milliardenbereich“
Bundesweit liegt der Schaden durch die Abzocke nach DSV-Schätzungen im „Milliardenbereich“. Um ausgebildete Kammerjäger handele es sich bei den Tätern nicht. Obgleich sie die Arbeiten häufig gar nicht oder verpfuscht ausführen, wird kassiert. Bei einem Rattenbefall würde ein seriöser Anbieter höchstens 450 Euro abrechnen – bei extrem hohem Aufwand.
„Und er wird definitiv kein Pestizid, sondern Köder verwenden“, sagt Klotz. Ginge es ums Bezahlen, ließen die Täter die Maske fallen, träten plötzlich einschüchternd auf. „Es gab Fälle, da haben sie die ‚Kunden‘ genötigt, mit ihnen zur Bank zu fahren.“ Aus Angst erstatteten viele Opfer keine Anzeige.
Zum Schutz der Verbraucher hat der DSV auf seiner Internet-Seite eine Liste mit zertifizierten Schädlingsbekämpfern veröffentlicht. Die Verbraucherzentralen und die Polizei empfehlen, nicht den erstbesten Kammerjäger aus dem Internet, sondern regional ansässige Anbieter mit Festnetzanschluss zu beauftragen.
Heike M. ist ihre 1000 Euro wohl los. Weil sie mit der EC-Karte gezahlt hatte, konnte sie den Transfer nicht stornieren. Bei Kreditkarten hingegen beträgt die gesetzliche Frist für eine Zurückbuchung bis zu acht Wochen. „Für das Geld“, sagt sie heute, „hätte ich mir gleich drei neue Gartenschuppen kaufen können.“