Hamburg. Täter geben sich gegenüber 88-Jährigen als Polizisten aus. Betrüger gewinnen mit fieser Masche das Vertrauen der Frau.

Es ist ein mieses Spiel mit alten Leuten: Zwar scheitern Kriminelle mit der Masche „falscher Polizist“ in den allermeisten Fällen – doch bei Martha B. landeten sie Anfang August einen unfassbaren Coup. Auf Geheiß der Täter stellte die 88-Jährige eine Tüte, gefüllt mit 10.000 Euro Bargeld und Schmuck im Wert von rund 190.000 Euro, vor die Garage ihrer Villa in Wellingsbüttel. Dann machten sich die Täter mit der Beute aus dem Staub. Der Tathergang? Geradezu klassisch für diese Variante des Trickbetrugs.

Am 4. August gegen 20 Uhr klingelt das Telefon von Martha B. Es ist nicht ihr echter Name – die Scham wiege zu schwer, sagt sie. Am Apparat ist eine angebliche Kriminalbeamtin, sie gibt sich als „Frau Adenauer“ aus. „Furchtbar nett“ sei die Dame gewesen, erinnert sich Martha B.

Man habe nahe ihrer Villa einen Einbrecher festgenommen und in seiner Tasche eine Liste mit potenziellen weiteren Tatopfern entdeckt, erzählt die „Beamtin“. Auch Martha B.s Name stehe darauf. Die Polizei habe Erkenntnisse, dass Komplizen des gefassten Einbrechers auf der Jagd nach Beute noch durchs Viertel streifen. Die alte Dame bleibt zunächst argwöhnisch: Erst müsse die Polizistin ihre Identität bestätigen.

Betrüger fordern Opfer auf, die 110 zu wählen

Um Vertrauen aufzubauen, greifen die Betrüger zu einer List: „Frau Adenauer“ bittet Martha B., den Notruf 110 zu wählen, die Rentnerin soll kurz in der Leitung bleiben. Es knackt im Hörer, ein Freizeichen ertönt, Martha B. wählt 110 – doch die Täter gaukeln ihr eine Unterbrechung der Leitung lediglich vor. Ein Mittäter versichert der 88-Jährigen sodann, dass bei der Polizei tatsächlich eine „Frau Adenauer“ arbeite und verbindet sie mit der angeblichen Beamtin. Martha B. ist nun überzeugt davon, mit der Polizei zu sprechen und gibt bereitwillig Auskunft über die zu Hause verwahrten Wertsachen. Dann verbindet sie Martha B. mit ihrem „Vorgesetzten“.

Der Chef stellt sich als ein „Herr Baader“ vor. Wie „Baader-Meinhof“, erinnert sich Martha B. und seufzt. Er habe sie gefragt, ob sie helfen könne, die Einbrecher dingfest zu machen. Sie solle dafür ihren Tresor ausräumen, die Wertsachen in eine Tüte packen und vor die Tür stellen – als Köder für die Bande. In der Nähe seien überall Polizisten postiert, ihre Habe sei deshalb nicht gefährdet, versichert ihr „Herr Baader“. Martha B. schluckt die Lüge. Die Falle schnappt zu.

Opfer schämt sich nach der Tat

Im Tresor der 88-Jährigen liegen Juwelen, Diamanten und Goldmünzen. Außerdem 10.000 Euro, die Martha B. ihrer Tochter für ein Projekt schenken möchte. Sie stopft alles in eine Tüte, stellt sie wie verabredet vor dem Garagentor auf ihrem Grundstück ab. Die Täter rufen im Viertelstunden-Takt an – offenbar, um sich zu vergewissern, dass die alte Dame noch „auf Linie“ ist, nicht vor die Tür geht und auch nicht die echte Polizei alarmiert. „Herr Baader“ will ihr eigentlich um 22.45 Uhr den Schmuck zurückbringen, taucht aber nicht auf. Martha B., allmählich nervös, geht nach draußen und stellt fest: Die Tüte ist weg.

Sie könne rückblickend nicht verstehen, wie sie auf die Masche hereinfallen konnte, sagt Martha B. Dass sie geglaubt habe, unter der Notrufnummer mit der echten Polizei zu sprechen, dass sie bei den Namen „Adenauer“ und „Baader“ nicht hellhörig geworden sei, dass sie den Tätern die Räuberpistole abgekauft habe.

„Ich dachte nur: Du bist nicht ganz dicht.“ Sie schäme sich sehr. „Es war, als hätten mich die Täter hypnotisiert“, sagt Martha B. Dabei sei sie ein „sehr misstrauischer Mensch“ und geistig voll auf der Höhe. Von Enkeltrickbetrügern habe sie schon gehört, nicht aber von „falschen Polizisten“. Nicht nur sie, ihre ganze Familie sei „völlig geschockt“.

Falsche Polizeibeamte – was die „echte“ Polizei dringend rät

 

Erst vor wenigen Wochen erreichte die Zahl der angezeigten Anrufe durch falsche Polizisten einen rekordverdächtigen Wert: 46 Taten allein im Hamburger Stadtgebiet zählte die Polizei am 29. Juli, am Tag davor waren es 39. Bereits Ende Mai hatte ein 72-Jähriger auf der Uhlenhorst 100.000 Euro an die Trickbetrüger verloren. Wie kann man sich schützen? Fälle wie der von Martha B. kommen immer wieder vor, sagt Polizeisprecher Florian Abbenseth. Die geschulten Täter gingen äußerst geschickt vor. So nutzen sie häufig eine spezielle Technik, die bei einem Anruf auf dem Telefon-Display die Notrufnummer 110 (Call-ID-Spoofing) erscheinen lässt.

 

Auf diese Weise soll Vertrauen aufgebaut werden. Aber: „Wenn die Polizei Sie anruft, erscheint niemals die Rufnummer 110 im Display“, betont Abbenseth. Und weiter: „Lassen Sie sich nicht mit vollem Namen im Telefonbuch eintragen, denn die Täter suchen gezielt nach altmodisch klingenden Vornamen.“

 

Gut zu wissen: Polizisten fordern Bürger nicht zur Herausgabe von Geld oder Wertgegenständen auf, befragen sie am Telefon nicht zu persönlichen oder finanziellen Verhältnissen und schon gar nicht zu ihren Geldverstecken. „Polizeibeamte setzen Sie niemals unter Druck und warnen am Telefon nicht vor korrupten Bankmitarbeitern, die es auf die Vermögenswerte auf dem Konto oder im Schließfach abgesehen haben“, so Abbenseth. „Seien Sie misstrauisch, wenn sich Anrufer nicht selber mit Namen melden. Lassen Sie sich auch bei einem angeblichen Notfall nicht unter Druck setzen.“

 

Große Geldbeträge oder viel Schmuck sollten nicht zu Hause aufbewahrt werden. Auch solle man kein Geld an Unbekannte übergeben oder am Telefon mit Unbekannten über die finanziellen Verhältnisse reden. Wichtig: „Rufen Sie beim geringsten Zweifel die Polizei unter 110.“ 

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Trickbetrüger erbeuten dieses Jahr schon 650.000 Euro

In dem Fall ermittelt das für Trickbetrug zuständige LKA 433 der Hamburger Polizei. Wie Polizeisprecher Florian Abbenseth auf Abendblatt-Anfrage mitteilte, seien bis Ende Juni dieses Jahres 915 Anrufe falscher Polizisten zur Anzeige gebracht worden. Zwar scheiterten 896 Taten am Misstrauen der Bürger, auch weil die Polizei viel in die Aufklärung investiert hat. Kommen die Täter jedoch zum Zug, fällt der Schaden immens aus: So erbeuteten sie bei den 19 vollendeten Trickbetrügereien bis Ende Juni 650.000 Euro – im Schnitt verlor jedes Opfer also 34.000 Euro. Im Vorjahr blieben sogar 3622 Trickanrufe erfolglos. Trotzdem gelang es den Betrügern, 52 Hamburger um rund zwei Millionen Euro zu erleichtern. Bundesweit liegt der Schaden bei rund 100 Millionen Euro.

Der Modus Operandi ähnelt dem Enkeltrickbetrug – mit dem Unterschied, dass die Täter keine Notlage vortäuschen, sondern die Glaubwürdigkeit der Polizei missbrauchen. Nicht selten tischen sie den Opfern diese Legende auf: Einbrecher treiben im Viertel ihr Unwesen, zu Hause seien Geld und Wertsachen nicht sicher, ein Polizist komme vorbei, um die Habe abzuholen und zu verwahren. Immer wieder im Visier der bandenmäßig organisierten Kriminellen: alte Menschen, im Idealfall wie Martha B. gut betucht. Die Hintermänner durchforsten die Telefonverzeichnisse nach altmodisch klingenden Namen, wählen so ihre Opfer aus und rufen von ausländischen Callcentern aus an. Ein Komplize holt schließlich die Beute ab.

Martha B. ist die Sache äußerst peinlich. Sie schätzt den Schaden auf mindestens 200.000 Euro und will ihn ihrer Versicherung melden. Die Rentnerin: „Wenn ich helfen kann, andere Hamburger vor diesen Ganoven zu warnen, hat das Ganze wenigstens noch einen Sinn.“