Hamburg. Jacek L. soll versucht haben, Rentner in mehreren Städten auszunehmen. Dann wurde er hereingelegt – von einer Hanseatin.
„Hoss“, so lautet der Spitzname des Clan-Paten, ist seit März auf freiem Fuß. Wieder einmal. Wenige Stunden nach seiner erneuten Entlassung aus polnischer Haft schmiss Arkadiusz L., angeblicher Erfinder des Enkeltrickbetrugs, im Kreise seiner Liebsten eine rauschende Party. Der Champagner sprudelte, die Familie ließ sich ein Festmahl schmecken. Protz und Prunk à la „Hoss“, der in der Vergangenheit auch schon mal Gäste mit dem Hubschrauber zur mit Betrugsgeldern finanzierten Sause im Schloss einfliegen ließ.
Während das Gebaren der polnischen Justiz auch Hamburger Fahnder, die den Patron 2014 in Kooperation mit ihren Kollegen aus dem Nachbarland auffliegen ließen, langsam aber sicher verzweifeln lässt, treibt die weit verzweigte Sippe weiter ihr Unwesen. Nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa.
Enkeltrick-Clan-Mitglied Jacek L. könnte nun in Haft kommen
Seit Dienstag wird einmal mehr gegen einen Angehörigen des polnischen Clans in Hamburg verhandelt, gegen Jacek L., er trägt den gleichen Nachnamen wie der Patron. Als Mitglied einer Bande soll er seit 2013 versucht haben, seinen Lebensunterhalt mit dem Enkeltrickbetrug zu bestreiten.
Sollte er am Ende eine nicht mehr bewährungsfähige Freiheitsstrafe bekommen, könnte er im Gefängnis auf einen alten Bekannten stoßen: Marcin K., genannt „Lolli“, der Sohn von Clan-Boss Arkadiusz L. Das Hamburger Landgericht verurteilte „Lolli“ im Januar 2018 wegen bandenmäßigen Betrugs zu zwölfeinhalb Jahren Haft. Zudem sollte er an drei seiner Opfer 48.000 Euro Schadenersatz zahlen.
Dass die Strafe auch für Jacek L. so empfindlich ausfällt, gilt als unwahrscheinlich. Die Staatsanwaltschaft hat ihn vor dem Landgericht lediglich wegen bandenmäßigen Betrugs in sechs Fällen angeklagt, wobei es in fünf beim Versuch blieb, weil die Opfer selbst den Schwindel durchschaut oder Angehörige sie darauf hingewiesen hatten. Nach den Ermittlungen soll der Angeklagte jeweils mit 25 Prozent der Tatbeute gerechnet haben. Die Tatorte: Dortmund, Berlin (2), Essen, Hannover und Hamburg.
Das Miniatur Wunderland warnt mit einem Video vor dem Enkeltrick:
Täterjagd: In vielen Fällen drehen Opfer den Spieß um
Tristan Kopietz, in Enkeltricksachen erfahrener Verteidiger des 41-Jährigen, ist sogar davon überzeugt, dass seinem Mandanten lediglich zwei Fälle sicher nachzuweisen sind. Wie es beim Prozessauftakt am Dienstag hieß, soll die Polizei Telefongespräche von Jacek L. mit mindestens einem der Opfer aufgezeichnet haben. Eine Stimmenvergleichsanalyse soll dann einen Treffer für den Angeklagten ergeben haben. Am 3. März 2020 nahm die Polizei Jacek L. schließlich am Mittelweg in Harvestehude fest – wie fast alle anderen war auch dieser letzte Coup schief gegangen.
Was auch daran liegen mag, dass sich die Masche abgenutzt hat. Präventionskampagnen der Polizei und zahlreiche Medienberichte haben dem Enkeltrick viel Aufmerksamkeit verschafft. Inzwischen sind in den meisten Fällen die bevorzugten Opfer – betagte Menschen – auf der Hut. Nicht selten drehen sie den Spieß um und stellen den Tätern ihrerseits eine Falle.
Die Hamburger Polizei registrierte zwar im Vorjahr 388 Anrufe mutmaßlicher Enkeltrickbetrüger – doch Beute machten die Täter in nur elf Fällen, insgesamt 182.000 Euro. In diesem Jahr scheiterten bis zum 24. Juli 232 der 239 angezeigten Taten, bisherige Schadenssumme: Immerhin 120.000 Euro.
So gehen Betrüger beim Enkeltrick vor
Üblicherweise durchforsten die sogenannten „Keiler“ das Telefonbuch nach altmodisch klingenden Namen wie Gerlinde oder Isolde. Im weiteren Verlauf konstruieren sie eine Legende und täuschen damit eine (finanzielle) Notlage vor.
Die Lügengeschichten variieren, ebenso schwankt ihr Gehalt zwischen raffiniert und dümmlich: So hatte sich Anfang August eine Betrügerin gegenüber einer 95 Jahre alten Hamburgerin als Bekannte ausgegeben und allen Ernstes erzählt, sie sei an Covid-19 erkrankt und benötige 30.000 Euro für ein Beatmungsgerät. Wer glaubt so etwas schon?
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Das Geschehen, das Jacek L. in die Hamburger Untersuchungshaftanstalt gebracht hat, ist typisch für das Scheitern der Enkeltrickbetrüger an der kritischsten Stelle des Modus Operandi: der Abholung der Beute. Am 3. März 2020 klingelte das Telefon einer 79 Jahre alten Frau an der Sophienterrasse.
Sie hob ab und hörte zunächst das enkeltricktypische Eröffnungsgefasel: Sie solle raten, wer am Apparat sei. Sie durchschaute den Nepp sofort, nannte aber zum Schein den Namen ihres Enkels „Daniel“ – der Betrüger übernahm den Namen und ging der Rentnerin so auf den Leim.
Beim Abholen der Beute schnappte die Falle zu
Er sei in einen Verkehrsunfall verwickelt, so der Anrufer weiter, und benötige 18.000 Euro, um den Schaden zu begleichen. Aus Sorge um einen Führerscheinverlust wolle er die Polizei heraushalten. Die Frau erklärte sich einverstanden, schaltete aber die Polizei ein.
Sodann erzählte ihr „Daniel“, er könne das Geld nicht selber abholen, weil er sein Auto in die Werkstatt bringen müsse. Wenig später erschien dann ein „Herr Roth“ alias Jacek L. am vereinbarten Treffpunkt Mittelweg – nach der Übergabe der vermeintlichen Beute schnappten sich Hamburger Ermittler den Mann.
Für den Prozess gegen den 41-Jährigen sind Termine bis zum 28. Oktober angesetzt. Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung wollen sich jedoch über Strafober- und untergrenzen verständigen und das Verfahren so verkürzen – im Gegenzug für ein vollumfängliches Geständnis. Wie der Verteidiger ankündigte, wolle sein Mandant geständige Angaben zu den Vorwürfen machen.
Trickbetrüger: Das rät die Polizei:
- Gesundes Misstrauen ist keine Unhöflichkeit
- Seien Sie misstrauisch, wenn sich Anrufer am Telefon nicht selber mit Namen melden. Raten Sie nicht, wer anruft, sondern fordern Sie Anrufer immer dazu auf, ihren Namen selbst zu nennen
- Seien Sie misstrauisch, wenn sich Personen am Telefon als Verwandte oder Bekannte ausgeben, die Sie als solche nicht erkennen. Erfragen Sie beim Anrufer Dinge, die nur der richtige Verwandte/Bekannte wissen kann
- Lassen Sie sich auch bei einem angeblichen Notfall nicht unter Druck setzen. Nehmen Sie sich Zeit, um die Angaben des Anrufers zu überprüfen
- Rufen Sie die jeweilige Person unter der Ihnen schon lange bekannten Nummer an und lassen Sie sich den Sachverhalt bestätigen
- Sprechen Sie nicht über Ihre persönlichen oder finanziellen Verhältnisse und übergeben Sie niemals Geld oder Wertsache an unbekannte Personen
- Wenn ein Anrufer Geld oder andere Wertsachen von Ihnen fordert: Besprechen Sie dies mit Familienangehörigen oder anderen Ihnen nahestehenden Personen
- Legen Sie beim geringsten Zweifel auf, rufen Sie die Polizei unter 110 oder wenden Sie sich an Ihre örtliche Polizeidienststelle
- Lassen Sie sich nicht mit vollem Namen im Telefonbuch eintragen, denn die Täter suchen gezielt nach altmodisch klingenden Vornamen
- Auch Verwandte, Freunde und Nachbarn können helfen, solche Taten zu verhindern: Sprechen Sie schon im Vorfeld über die Möglichkeit solcher Anrufe und wie man darauf reagieren sollte
- Große Geldbeträge oder Wertsachen sollte nicht zu Hause aufbewahrt werden
- Sprechen Sie ungewöhnliche Beobachtungen an oder rufen Sie die Polizei