Hamburg. Bertelsmann-Studie übt Kritik an zu großen Gruppen und Qualifikation der Mitarbeiter, vergibt aber auch ein dickes Lob.
Zu wenig Personal, zu große Gruppen und ein leicht unterdurchschnittliches Qualifikationsniveau der Mitarbeiter „erschweren die Bildungsarbeit in Hamburger Kitas“ – zu diesem Ergebnis kommt die aktuelle Studie der Bertelsmann Stiftung, in der sie „Frühkindliche Bildungssysteme“ in allen 16 Bundesländern aufwendig analysiert und miteinander vergleicht.
Doch so verheerend wie das Fazit der Gütersloher Bildungsforscher auf den ersten Blick wirkt, ist es gar nicht, im Gegenteil: Was die Verbesserung der Personalschlüssel angeht, wird Hamburg sogar eine „bundesweit herausragende“ Entwicklung bescheinigt.
Zu viele Kinder pro Fachkraft an Hamburgs Kitas
Doch der Reihe nach: Zum Stichtag 1. März 2019 kamen in Hamburg in den Krippengruppen (Kinder unter drei Jahre) rein rechnerisch durchschnittlich 4,5 Kinder auf eine Fachkraft, und in Elementargruppen (ab drei Jahre) waren es 7,7. Aus Sicht der Bertelsmann-Stiftung, die eine Fachkraft-Kind-Relation von maximal 1 zu 3 und 1 zu 7,5 empfiehlt, war der Personalschlüssel daher für rund 42.300 oder 73 Prozent der Kita-Kinder nicht kindgerecht.
Kleiner Trost: Dieser Anteil liegt im bundesweiten Durchschnitt (74 Prozent). Die nicht kindgerechte Personalausstattung betreffe häufiger die Unter-Dreijährigen (82 Prozent) als die Über-Dreijährigen (67 Prozent), so die Studie.
"Bundesweit herausragende" Verbesserungen in Hamburg
Die positive Seite: Sechs Jahre zuvor, zum 1. März 2013, lag in Krippengruppen der Personalschlüssel noch bei 1 zu 5,4 und in Kindergartengruppen bei 1 zu 9,3. Diese enormen Verbesserungen seien „bundesweit herausragend“, so die Bertelsmänner. Nur Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt hätten ähnlich positive Entwicklungen aufzuweisen.
Trotz der positiven Entwicklungen müsse eine Fachkraft in Hamburg aber immer noch rein rechnerisch 1,5 Krippenkinder mehr betreuen als in Bremen, dem Bundesland mit der günstigsten Personalausstattung, so die Studie.
Einige Hamburger Maßnahmen in Studie nicht berücksichtigt
Wie berichtet, hatte sich der Hamburger Senat schon vor Jahren – auch aufgrund des Drucks einer Volksinitiative – vorgenommen, die Personalschlüssel zu verbessern und finanziert den Kitas seitdem deutlich mehr Personal. So ist in der Studie noch gar nicht berücksichtigt, dass allein von März 2019 bis März 2020 gemäß der aktuellen Kita-Statistik rund 1000 Mitarbeiterinnen hinzugekommen sind.
Hier zeigt sich allerdings auch ein Kuriosum: Während die Bertelsmann-Studie Hamburg schon einen recht guten Fachkraft-Kind-Schlüssel von 1:7,7 im Elementarbereich bescheinigt, hatte die Stadt mit der Initiative „nur“ 1:10 als Ziel für 2024 vereinbart.
Stadt und Stiftung nutzen unterschiedliche Daten aus Hamburgs Kitas
Hat sie ihr Ziel also viel schneller erreicht und ist sogar darüber hinausgeschossen? Keineswegs – die Stadt und die Stiftung arbeiten nur nicht mit den gleichen Daten und deuten diese zudem auch unterschiedlich. Ein Beispiel: So bezieht die Stiftung nur rund drei Viertel der 1100 Hamburger Kitas in ihre Studie mit ein, nämlich diejenigen, die „laut Angaben in der amtlichen Kinder- und Jugendhilfestatistik mit einer Gruppenstruktur arbeiten“, so die Autoren. Die vielen Hamburger Kitas, die ohne solche festen Strukturen arbeiten, fließen nicht mit ein.
Kritik üben die Autoren neuerdings auch an den absoluten Gruppengrößen in Hamburg: Die wissenschaftlichen Empfehlungen, wonach Gruppen für jüngere Kinder nicht mehr als zwölf Kinder umfassen sollten und für die Älteren nicht mehr als 18 Kinder, würden in der Hansestadt in zwei Drittel aller Gruppen nicht eingehalten (bundesweit: 54 Prozent).
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„Zu große Gruppen bedeuten für die Kinder und das Fachpersonal übermäßigen Stress, etwa durch Lautstärke, und können dazu führen, dass entwicklungsangemessene Aktivitäten nicht ausreichend durchgeführt werden“, so die Autoren. In der Hamburger Sozialbehörde wird diese Sichtweise vor allem für die Elementargruppen nur bedingt geteilt: „Wichtiger als die Gruppengröße ist, wie viele Fachkräfte für die Kinder da sind“, sagt Sprecher Martin Helfrich.
Hamburg fast Schlusslicht bei pädagogischer Qualifikation des Personals
Auch beim Qualifikationsniveau des pädagogischen Personals sehen die Bertelsmänner Luft nach oben: Von den gut 16.600 pädagogisch arbeitenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern seien nur 58 Prozent als Erzieherin oder Erzieher ausgebildet – nur Bayern weise einen niedrigeren Wert auf.
In den ostdeutschen Bundesländern liege dieser Anteil im Durchschnitt bei 82 Prozent. Und während in Hamburg 19 Prozent der Fachkräfte auf Assistenzniveau arbeiteten, also beispielsweise als Kinderpflegerin oder Sozialassistentin, treffe dies in Ostdeutschland im Durchschnitt nur auf zwei Prozent der Fachkräfte zu.
Bertelsmann-Stiftung: "Hamburg sollte sich in allen Bereichen verbessern"
„Die Mehrzahl der Kita-Gruppen in Hamburg ist zu groß, die Personalausstattung noch nicht kindgerecht und vor allem das Qualifikationsniveau der Fachkräfte zu niedrig“, fasst es Kathrin Bock-Famulla, Bildungsexpertin der Bertelsmann Stiftung, zusammen. „Hamburg sollte sich in allen Bereichen verbessern.“
Der zusätzliche Personalbedarf dürfe nicht durch einen Ausbau von Ausbildungsgängen unterhalb des Erzieherinnenniveaus angestrebt werden, so Bock-Famulla. Attraktive Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen sowie eine angemessene Bezahlung könnten stattdessen helfen, die Ziele zu erreichen. Dem akuten Personalmangel könne durch die Einstellung von Hauswirtschafts- und Verwaltungskräften entgegengewirkt werden, die das Kita-Personal entlasten.
Unterschiedliche berufliche Wege in die Kita "kein Manko, sondern großer Gewinn"
Auch diese Kritik teilt die Sozialbehörde nicht. „In Hamburgs Kitas sind motivierte und gut qualifizierte Fachkräfte eingesetzt“, so Behördensprecher Helfrich. Sie hätten nicht alle dieselbe Ausbildung, sondern manche von ihnen hätten auch einen ungewöhnlichen Weg in den Job genommen – zum Beispiel indem Menschen, die gern mit Kindern arbeiten, aber zunächst etwas Handwerkliches gelernt haben, durch eine Fortbildung in den Kita-Job gewechselt sind.
„Das sind oft tolle Fachkräfte, die besondere Kompetenzen und Erfahrungen mitbringen – und diese Erfahrungen werden von den Kindern besonders geschätzt“, so Helfrich. „Unterschiedlichkeit der beruflichen Wege ist daher kein Manko, sondern ein großer Gewinn.“