Hamburg. SPD und Grüne haben auf 205 Seiten ihr Programm bis 2025 aufgeschrieben. Offene Fragen beim neuen Zuschnitt der Ressorts.
Der Auftritt geriet Corona-bedingt etwas staatstragender, als er vielleicht gedacht war. Angeführt von Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) schritten die Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank (Grüne), die Parteichefinnen Melanie Leonhard (SPD) und Anna Gallina (Grüne) sowie die Fraktionschefs Dirk Kienscherf (SPD) und Anjes Tjarks (Grüne) in den Großen Festsaal des Rathauses.
Rot-Grün: 205 Seiten umfassender Koalitonsvertrag
Bei abstandsgerecht eingenommenen Plätzen, noch dazu erhöht auf einem Podium, geriet die Präsentation des 205 Seiten umfassenden Koalitionsvertrages fast zu einem feierlichen Akt. „Zuversichtlich, solidarisch, nachhaltig – Hamburgs Zukunft kraftvoll gestalten“, lautet das Motto des Einigungswerks.
Viel war denn auch von Optimismus, Zuversicht, ambitionierten Zielen und gesellschaftlichem Zusammenhalt die Rede. Tschentscher lobte den „sehr guten, sehr detailreich formulierten Vertrag“. Fegebank befand, dass beide Parteien „inhaltlich doch recht nahe beieinander“ seien, und sprach von „einer klaren Antwort auf den Wählerwillen“.
Fegebank: "Ringen auf Augenhöhe"
So einig sich die Spitzen beider Parteien in der inhaltlichen Fortsetzung des rot-grünen Bündnisses sind, so deutlich wurde das „Ringen auf Augenhöhe“ (Fegebank), als es um den Zuschnitt der Ressorts ging.
Warum das Amt für Bezirke statt in der Finanz- nun in der Wissenschaftsbehörde besser aufgehoben ist, blieb letztlich ebenso unbeantwortet wie die Frage nach dem Sinn der Aufteilung der Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz auf gleich drei Behörden.
Die nicht ausgesprochene Wahrheit ist wohl relativ einfach: weil die Grünen entsprechend ihrem Wahlergebnis mehr Macht bekommen sollten, ohne einen fünften Senatsposten zu erhalten. Dass das Ressort Verkehr und Mobilitätswende als Topthema eine eigene Behörde wird und mit Anjes Tjarks (Grüne) einen Senator erhält, ließ sich dagegen gut begründen. Die wichtigsten Punkte des rot-grünen Koalitionsvertrags:
Wohnungsbau/Stadtentwicklung
Die Stadt soll Grundstücke künftig „wesentlich stärker als bisher“ im Erbbaurecht vergeben, mit Laufzeiten von bis zu 100 Jahren. Rot-Grün will auch künftig Baugenehmigungen für jährlich 10.000 neue Wohnungen erteilen, dabei allerdings den sogenannten Drittelmix – ein Drittel geförderter Wohnungsbau, ein Drittel frei finanzierter Mietwohnungsbau, ein Drittel Eigentumswohnungen – „weiterentwickeln“. In zentralen, nachgefragten Lagen soll es bis zu 50 Prozent sozialen Wohnungsbau geben. Der Bau geförderter Wohnungen soll schrittweise auf 4000 Sozial- und Acht-Euro-Wohnungen pro Jahr erhöht werden. Die Mietpreisbindung für diese Wohnungen soll für 30 Jahre gelten.
Klima und Umwelt
Während die SPD Hamburg ursprünglich bis 2050 zur klimaneutralen Stadt machen wollte, heißt es nun, dieses Ziel solle „deutlich vor 2050“ erreicht werden. Die Flugkapazitäten des Flughafens sollen nicht erweitert werden, und der Hamburg Airport darf nicht lauter werden und den CO2-Ausstoß des Jahres 2019 „möglichst“ nicht mehr überschreiten. Der Vollhöfner Wald wird aus dem Hafenerweiterungsgebiet genommen. Bis 2030 soll die Hamburger Fernwärme ohne Kohle erzeugt werden. Die Kraftwerke Wedel und Tiefstack werden abgeschaltet, ein genaues Datum wird dafür im Vertrag nicht genannt.
Wissenschaft
Die künftigen Budgetvereinbarungen mit den sechs staatlichen Hochschulen sollen für sieben Jahre gelten statt wie bisher für fünf Jahre. Anders als zuletzt soll die Stadt künftig Tarif- und Inflationssteigerungen bis zu einer Höhe von zwei Prozent übernehmen und so die Hochschulen entlasten. Insgesamt ergebe sich bis 2027 eine Budgetsteigerung um rund 750 Millionen Euro für die Hochschulen. Für ein neues naturkundliches Forschungsmuseum wollen SPD und Grüne ein „geeignetes Gebäude“ schaffen. Hamburg soll zu einem „nationalen Zentrum der Friedens- und Sicherheitsforschung ausgebaut werden“. Dafür soll auch das Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Uni Hamburg zu einem Leibniz-Institut werden, allerdings erst „mittelfristig“. Zusätzlich zu dem schon beschlossenen Ausbau von Wohnheimen für Studierende und Azubis um 700 Plätze bis zum Wintersemester 2021/22 soll das Studierendenwerk 2000 weitere Wohnheimplätze bis zum Jahr 2035 schaffen.
Verkehr
Der Anteil des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) am gesamten Verkehrsaufkommen soll von zuletzt 22 Prozent bis 2030 auf 30 Prozent gesteigert werden, der des Radverkehrs von zuletzt 15 auf 25 bis 30 Prozent. Dafür sollen jährlich 60 bis 80 Kilometer neue Radwege entstehen. HVV-Schülertickets sollen bis 2025 kostenlos werden. An den geplanten Großprojekten wie der U 5 wird festgehalten. U-Bahnen sollen „werktags zwischen 6 und 21 Uhr mindestens im Fünf-Minuten-Takt fahren, in der inneren Stadt bis zu alle drei Minuten“. Die Innenstadt soll bis 2025 „autoarm“ werden – durch „zusätzliche Fußgängerzonen, Kommunaltrassen und die deutliche Reduzierung von Parkplätzen im öffentlichen Raum sowie die Vermeidung von Durchgangsverkehr“.
Schule
In allen 13.000 Unterrichtsräumen soll es bis 2025 geschütztes WLAN und eine digitale Tafel geben. Die Klassen fünf bis zehn an den Gymnasien sollen kleiner werden. Das Projekt „D23+“ für starke Schulen in sozialen Brennpunkten soll um zehn Schulen erweitert werden. Für die Ausbildung von Pflegekräften wird kein Schulgeld mehr erhoben, stattdessen gibt es eine Ausbildungsvergütung.
Demokratie
SPD und Grüne streben ein Paritégesetz an, um jeden zweiten Platz auf den Kandidatenlisten auf Landes- und Bezirksebene mit einer Frau zu besetzen. Die Deputationen sollen abgeschafft und durch ein Bekenntnis zu einer bürgernahen und transparenten Verwaltung in der Verfassung ersetzt werden.
Justiz
Der Kampf gegen Internetkriminalität und gegen Hasskriminalität im Netz soll verstärkt werden. Sexualisierte Hasskriminalität soll statistisch erfasst werden. Hamburg will sich auf Bundesebene dafür einsetzen, das sogenannte Containern zu entkriminalisieren.
Inneres
Bis 2025 soll die Polizei um insgesamt rund 1000 Polizeibeamte und -angestellte gegenüber 2016 verstärkt werden. Mit einer „neuen Hightech-Einsatzzentrale und modernen Neubauten für die Polizeiakademie“ werde „die Infrastruktur der Polizei von morgen erstellt“. Der Verfassungsschutz soll gestärkt werden, einen Schwerpunkt legt der neue Senat auf die Bekämpfung des Rechtsextremismus. Ausgebaut werden soll auch die Feuerwehr. Der Personalaufbau werde „mit dem Ziel einer Verstärkung um insgesamt rund 400 Feuerwehrleute fortgesetzt“, heißt es im Vertrag. Zudem soll es neue Wachen geben, etwa in Schnelsen.
Soziales/Arbeit
Der Mindestlohn für städtische Beschäftigte von 12 Euro soll ausgeweitet und auch zum Kriterium im Vergabegesetz werden: Wer einen Auftrag der Stadt bekommen will, müsste also den Mindestlohn einhalten. Bis 2030 sollen hamburgweit mindestens 2500 neue Wohnheimplätze für Azubis entstehen. Die Obdachloseneinrichtung Pik As bekommt einen Neubau. Der Ausbau von Kita-Plätzen und die Verbesserung der Personalschlüssel werden fortgesetzt. Künftig gilt: Auf den neuen Schulgeländen soll „überall dort, wo die Flächensituation es möglich macht“, eine Kita entstehen. Insgesamt werden dabei 5000 neue Kitaplätze bis 2025 angestrebt.
Gesundheit/Alter
Mit dem Neubau des AK Altona soll „eines der modernsten Krankenhäuser Deutschlands“ entstehen und zu einem Gesundheitszentrum für den Stadtteil werden. Angesichts steigender Geburtenzahlen soll es mehr Personal in den Kreißsälen geben, so dass Gebärende „in den entscheidenden Phasen der Geburt eine 1:1-Betreuung durch eine Hebamme“ bekommen können. Der Hausbesuch zum 80. Geburtstag wird dauerhaft in allen Bezirken durchgeführt.
Kundenzentren
Sobald die coronabedingten Beschränkungen beendet werden können, sollen die Kundenzentren wieder zu „einheitlichen längeren täglichen Öffnungszeiten“ zurückkehren. Auch die testweise Öffnung am Sonnabend soll fortgeführt werden.
Kultur
An den staatlichen Museen soll es einen eintrittsfreien Sonntag geben – wahrscheinlich einmal pro Monat. Ebenfalls sonntags soll künftig die Ausleihe in den Bücherhallen möglich sein.